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Enteignung „Ich möchte doch nur 26 Bilder“

Jochen Krogel versucht, die Bilder seines aus der DDR geflohenen Vaters Heinz-Werner Krogel zu bekommen - bisher ohne Chance.

Von Fabian Laaß 26.09.2015, 01:01

Salzwedel/Minden l Kommt man in das Haus von Jochen Krogel, fällt eines sofort auf. An den Wänden gähnende Leere. Kein einziges Bild hängt dort. „Ich habe sie extra leer gelassen. Dort sollen die Bilder meines Vaters hin“, sagt der gebürtige Salzwedeler, der seit Kindestagen in Minden lebt. Seit fast 20 Jahren versucht er, die Werke seines 1971 verstorbenen Vaters aus der Hansestadt Salzwedel in der Altmark zu sich zu holen. Bislang vergeblich. „Man hat mir gesagt, dass es rechtlich nicht mehr möglich ist, mir die Bilder zu übergeben. Es habe Fristen gegeben, an die ich mich nicht gehalten hätte“, berichtet der 67-Jährige.

Heinz-Werner Krogel war ein Salzwedeler Künstler. 1918 in Leipzig geboren, avanciert er bald zum Meisterschüler an der Staatlichen Akademie Leipzig. Krogel lernt unter anderem bei den bekannten Professoren Tiedemann, Buhe, Drescher und Schneider. Später bildet er sich in Grafik und anderen künstlerischen Techniken weiter. Zeichnungen seiner Schüler sind bei der Weltausstellung in Basel zu sehen. Er selbst stellt in Berlin, Leipzig, Halle und Magdeburg aus. In den 50er Jahren arbeitet er am heutigen Salzwedeler Jahngymnasium als Kunsterzieher. Krogel leitet den „Zirkel für Bildnerisches Schaffen“, ist Vorstandsmitglied im Verband Bildender Künstler.

Doch 1961 flieht er aus politischen Gründen mit seiner Familie über Berlin in die Bundesrepublik. In seiner Salzwedeler Wohnung lässt er nicht nur Möbel, sondern auch nahezu alle Werke zurück. Da er in der DDR fortan als Republikflüchtiger gilt, wird sein Hab und Gut eingezogen. Während sich Krogel mit seiner Familie in Minden ein neues Leben aufbaut, werden die zurückgelassenen Bilder dem Salzwedeler Danneilmuseum übergeben.

„In Minden haben wir natürlich nichts über den Verbleib der Werke meines Vaters erfahren. Wir wussten nicht, ob es sie überhaupt noch gibt“, sagt Jochen Krogel. Erst nach der politischen Wende tauchen die Krogel-Bilder wieder auf. 1991 zeigt das Danneilmuseum Heinz-Werner Krogels Werke erstmals in einer Ausstellung. Jochen Krogel erfährt davon nichts.

Doch der Zufall will es, dass ein Bekannter der Familie, der Salzwedeler Siegfried Jagenholz, 1996 Kontakt zu Jochen Krogel aufnimmt. Er berichtet ihm von einer weiteren Ausstellung im Danneilmusem.

„Als ich das gehört habe, bin ich natürlich gemeinsam mit meiner Mutter Anni zur Ausstellungseröffnung gefahren. Sie hat die Bilder nach fast 50 Jahren wiedergesehen und wollte sie, genau wie ich, nach Hause holen“, erinnert sich der Mindener. Doch das sollte sich als fast unmöglich herausstellen. Jahrelang bekommt Jochen Krogel keine Informationen vom Danneilmuseum. Im September 2005 schickt Museumsleiter Ulrich Kalmbach lediglich eine Auflistung aller in seiner Einrichtung gelagerten Werke des Künstlers.

„In den folgenden Jahren habe ich immer wieder versucht, eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Gehört habe ich aber nichts mehr“, so Jochen Krogel. Nach weiteren zehn langen Jahren des Wartens ergreift er im Februar dieses Jahres dann erneut die Initiative und schreibt dem Danneilmuseum einen Brief. Darin listet er insgesamt 26 Werke seines Vaters auf, die er schnellstmöglich aus Salzwedel abholen will.

Museumsleiter Ulrich Kalmbach antwortet prompt, verweist darauf, dass Krogels Anspruch auf die Bilder seines Vaters nicht amtlich festgestellt worden sei. Dennoch wendet er sich mit dem Problem an den Altmarkkreis Salzwedel, der das Museum betreibt. Im April 2015 bekommt Jochen Krogel schließlich Post aus dem Rechtsamt der Kreisverwaltung.

Darin heißt es: „... hätten Sie als vermeintlicher Erbe Ihres Vaters die Möglichkeit gehabt, bei dem Amt für Regelung offener Vermögensfragen im Landkreis Salzwedel schriftlich einen Antrag auf Rückübertragung zu stellen. Ein solcher Antrag konnte für bewegliche Sachen, also auch für Bilder [...] jedoch nach dem 30. Juni 1993 nicht mehr gestellt werden. [...] Eine Antragstellung nach dem Vermögensgesetz in heutiger Zeit, also 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, wäre vollkommen zwecklos, denn er müsste schon aus formellen Gründen abgelehnt werden. Im Übrigen haben Sie keinerlei Nachweise, aus denen sich eine entschädigungslose Enteignung im Zusammenhang mit dem Verlassen der DDR Ihres Vaters ergibt.“

Diese Aussagen kann Jochen Krogel nicht nachvollziehen. „Auf der Flucht konnte mein Vater seine Bilder nicht mitnehmen. Damit gehören sie aber nicht automatisch dem Altmarkkreis Salzwedel, der sie als ‚Nachlass‘ verbucht hat“, sagt der Mindener.

Museumsleiter Ulrich Kalmbach kann Jochen Krogels Anliegen zwar nachvollziehen, eine Lösung der Angelegenheit sieht er aber nicht. „Die Bilder sind im Museum inventarisiert und somit erstmal Eigentum des Landkreises. Das ist für uns verbindlich“, sagt er gegenüber der Volksstimme.

Das Verständnis für derartige Aussagen hat Jochen Krogel längst verloren. „Ich will doch niemandem schaden. Ich möchte doch nur 26 Bilder, die für mich von großer emotionaler Bedeutung sind. Schließlich war ich bei ihrer Entstehung dabei. Einige zeigen meine mittlerweile verstorbene Mutter oder mich als Kleinkind“, sagt der 67-Jährige, während er sich eine Träne vom Gesicht wischt.

Die Hoffnung auf ein Happy End macht auf Volksstimme-Anfrage Michael Ziche, Landrat des Altmarkkreises Salzwedel. „Meine Mitarbeiter haben sich an die Gesetze gehalten. Ich habe großes Verständnis für die Situation von Herrn Krogel. Deshalb werden wir auch noch einmal das Gespräch mit ihm suchen“, so Michael Ziche. Er könne sich vorstellen, dass auf politischer Ebene eine positive Entscheidung für alle Seiten herbeigeführt werden könne.

Nach knapp 20 Jahren zähen Ringens könnten ein paar Bilder von Heinz-Werner Krogel so endlich an ihren Bestimmungsort gelangen. An die Wände im Haus seines Sohnes Jochen.