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Koch Vom Börde-Rasthof ins Sterne-Restaurant

Sternekoch Erik Arnecke steht beim „Feinschmecker“ in der Endrunde der Wahl zum besten Nachwuchskoch. Gelernt hat er in der Börde.

Von Elisa Sowieja 21.10.2015, 01:01

Bornstedt l Am Tisch, an dem die Mama heute Mittag noch großzügig Bolognese über Nudelberge goss, hockt jetzt Erik Arnecke mit der Pinzette und drapiert Kaupzinerkresse um eine Jakobsmuschel. Obenherum mit schicker Kochjacke, untenrum mit Karo-Schlappen. Der 32-Jährige ist auf Heimatbesuch im Bördedorf Bornstedt – und bei der Gelegenheit verabredet zum Interview. Und, wie es der schnurrbärtige Bastler Jean Pütz formulieren würde: Er hat da mal was vorbereitet.

In einer schwarzen Styropor-Box hat Arnecke diverse Gläser, Flaschen und Schachteln mitgebracht. Alles, um eine einzige Vorspeise zu kochen, fürs Foto: Gebratene Jakobsmuschel mit Kürbis, Ebereschenbeeren und Wildkräutern – angerichtet als verspieltes, makelloses Kunstwerk. „Das stand bis vor kurzem bei uns auf der Karte“, erzählt er mit einem offenen Lächeln. Mit „uns“ meint der Sachsen-Anhalter das „Philipp Soldan“ im hessischen Frankenberg, ein Restaurant mit Michelin-Stern. Dort ist er seit Februar Chefkoch.

Nun könnte der nächste Karriere-Coup folgen. Der „Feinschmecker“, renommiertes Gourmet-Magazin, hat ihn als einen von sechs Nachwuchsköchen für die Leserwahl „Aufsteiger des Jahres“ nominiert. Bis vor drei Wochen konnte abgestimmt werden, das Ergebnis wird voraussichtlich im Dezember verkündet. So manche Gewinner aus der Vergangenheit kamen später groß raus: Steffen Henssler aus dem Fernsehen etwa oder Joachim Wissler, heute Küchenchef in einem nordrhein-westfälischen Drei-Sterne-Tempel – mehr geht bei Michelin nicht.

„Unsere Chancen stehen glaub ich ganz gut, denn wir haben sehr viel Werbung gemacht“, sagt Arnecke, während er einen Punkt vom Teller wischt, den der Laie nur mit zusammengekniffenen Augen erkennt. Wenn es um den Titel geht, spricht er meist im Plural. Denn er sieht ihn als Teamleistung, das betont er mehrmals.

Um Arneckes Chancen zu erhöhen, haben die Kellner im "Philipp Soldan“ fleißig Postkarten mit einem QR-Code verteilt, der zur Internetabstimmung führte. Außerdem haben seine Kollegen mit ihm ein Video gedreht, das sie über Facebook verbreiteten – 10 000 Mal wurde es angeklickt. Und dann hat der Sachsen-Anhalter noch Kontakte zu alten Kollegen aktiviert, zum Beispiel zu seinem Ex-Chef im Ritz Carlton in Wolfsburg. Oder auch zum allerersten Vorgesetzten: seinem Ausbilder in der Raststätte Uhrsleben. Mit dem ist er bis heute befreundet, erzählt er. „Dass ich nur in einem Rasthof gelernt habe, hat mich nie gestört.“ Im Gegenteil: „Ich war dort nicht nur einer unter vielen. Andere in meiner Berufsschulklasse, die in Hotels lernten, hatten in Grundlagen wie Soßenzubereitung bei weitem nicht dieselben Kenntnisse.“

Vielleicht auch deshalb schloss Erik Arnecke als Klassenbester ab. Auf den Geschmack mit der gehobenen Küche kam er aber erst, als er ein Jahr später für die Bundeswehr auf einem Nato-Stützpunkt auf Sardinien kochte. Ein Kollege dort erzählte ihm von seinem letzten Job in einem Sternerestaurant. „Ich kannte damals nur das Essen in gutbürgerlichen Restaurants“, erinnert er sich.

Dementsprechend Muffensausen hatte er kurz darauf in seiner ersten Woche im Ritz. Wegen seiner Top-Zeugnisse hatte der Restaurantchef ihm eine Chance gegeben. „Ich war total schüchtern“, erzählt der Edelkoch. „Und manchmal sollte ich Sachen aus dem Kühler holen, die ich gar nicht kannte.“ Doch dank des Teams, sagt er, fühlte er sich ganz fix gut aufgehoben.

Von dem schüchternen Neuling ist heute nicht mehr viel zu erkennen. Wenn Erik Arnecke von seinem Job erzählt, wirkt er selbstbewusst, wortgewandt und sehr entspannt. „Das ist mit der Erfahrung von selbst gekommen“, sagt er. Immerhin hat der 32-Jährige inzwischen schon in einem Restaurant mit drei Sternen gearbeitet und für ein anderes im Duo sogar selbst zwei Sterne erkocht. Auch, wenn sich ein Promi ansagt, bleibt sein Puls mittlerweile ruhig. Schließlich hat er schon diverse Bekanntheiten bekocht – Sigmar Gabriel zum Beispiel, Felix Magath, Ferdinand Piech oder Günther Jauch.

Bei einer Sorte Gäste ist er nach wie vor aufgeregt: Testessern. Die geben sich zwar nicht zu erkennen, aber der Chefkoch hat inzwischen einen Riecher für sie: „Es gibt Indizien, an denen man merkt, dass einer im Restaurant sitzen könnte“, verrät er. Zum Beispiel, dass jemand einen Tisch für zwei vorbestellt und dann allein kommt.

In Arneckes Sterneküche finden sich bis heute Einflüsse aus der Heimat. Das fängt schon bei der Grundrichtung an: Seinen Kochstil bezeichnet er als Bodenständiges auf hohem Niveau. Das kann zum Beispiel eine edle Version von Gulasch oder Würzfleisch sein. Quasi die aufgemotzte Version dessen, was er einst in Uhrsleben lernte. In manchen Gerichten finden sich sogar Zutaten aus der Börde wieder. Ein Beispiel: „Vor kurzem hatten wir Langostino mit Rose und Avocado auf der Karte. Die Rosenblätter habe ich aus dem Garten meiner Eltern mitgebracht.“

Bei seinen Besuchen in der Heimat allerdings ist seine Mutter der Küchenchef. „Ich finde das gut – vor allem, wenn sie ihren Grünkohl macht.“ Außerdem ist sein Rat ja trotzdem gefragt, dann nämlich, wenn es ums Abschmecken geht.

Apropos schmecken: Das Jakobsmuschel-Gericht ist nach dem Foto-Shooting übrigens im Magen der Interviewerin gelandet – irgendjemand musste den Teller ja für den Abwasch leeren. Auf eine Beschreibung, wie es gemundet hat, wird an dieser Stelle bewusst verzichtet – aus Rücksicht auf hungrige Leser.