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Asylpolitik Härtere Gangart

Innenminister Stahlknecht will 4.200 abgelehnte Asylbewerber konsequenter zur Heimreise bewegen. Abschiebungen werden nicht mehr angekündigt.

Von Jens Schmidt 30.10.2015, 00:01

Volksstimme: Herr Minister, die Flüchtlingszahlen steigen alle paar Wochen. Bleibt es bei 40.000 bis Jahresende?

Holger Stahlknecht: Nach derzeitigem Stand – ja. Täglich kommen knapp 300 Menschen bei uns an. In dieser Woche waren etwas weniger, da es in Slowenien stockt. Doch das wird sich wieder ändern. Derzeit leben etwa 18.000 Flüchtlinge in den Gemeinden sowie zirka 4.500 in den Landes-Erstaufnahmen – wie etwa in Halberstadt, Halle oder Klietz.

Das ist eine Herausforderung für uns alle. Ich möchte an dieser Stelle aber auch mal sagen: Diese Aufgabe ist beherrschbar, wenn wir bundes- und europaweit bald in ein geordnetes Verfahren übergehen. Wir sind 2,3 Millionen Menschen in Sachsen-Anhalt – bei einem immer noch kleinen Ausländeranteil von unter drei Prozent. Zudem dürfen wir nicht außer Betracht lassen, dass nicht alle Flüchtlinge dauerhaft in Sachsen-Anhalt bleiben werden.

Also sind keine Obergrenzen nötig?

Doch. Bis zu 40.000 Flüchtlinge in einem Jahr aufzunehmen und zu integrieren, halte ich einmalig für machbar. Auf Dauer kann das so jedoch nicht weitergehen - der Zuzug braucht Grenzen.

Warum wollen Sie Abschiebungen beschleunigen?

Weil wir in einem Rechtsstaat leben. Und da gilt: Wird ein Antrag auf Asyl abgelehnt, dann ist der Betroffene verpflichtet, Deutschland zu verlassen. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, verstößt gegen geltendes Recht. Dies muss allen klar sein.

Wie viele abgelehnte Asylbewerber leben in Sachsen-Anhalt?

Das sind derzeit etwa 4.200 Menschen. Sie sind ausreisepflichtig. Am liebsten ist es mir, wenn das freiwillig geschieht. Wo das jedoch nicht klappt, müssen und werden wir abschieben. In etwa 400 Fällen steht dies kurz bevor, hier ist die Ausreise vollziehbar. Wir haben bereits diese Woche wieder in Größenordnungen mit einem Sammelcharter in das Kosovo abgeschoben, weil keine Hinderungsgründe mehr vorlagen.

Und bei den anderen 3.800 Betroffenen?

Es gibt eine Reihe Gründe, die eine Ausreise verzögern. Das größte Problem sind fehlende Papiere. Viele der Betroffenen geben an, ihre Pässe verloren zu haben. Andere befinden sich aufgrund von Erkrankungen in medizinischer Behandlung. Es gibt aber auch familiäre Gründe: Manche stehen kurz vor einer Heirat, manche Frau erwartet ein Kind. In einigen Herkunftsländern wiederum bestehen politische Konstellationen, die eine Rückführung derzeit verhindern - wie etwa in Libyen.

Was machen Sie, wenn die Papiere weg sind?

Hier sind Botschaftsvorführungen möglich. Durch Gespräche in den Vertretungen finden die Mitarbeiter dort heraus, woher die Betroffenen stammen. Das ist sehr zeitaufwändig.

Etwa 4.000 Menschen kamen allein 2015 aus Balkanländern hier an, deren Asyl-Aussichten gering sind, wo die Verfahren aber noch laufen. Wie viele Abschiebungen kommen da noch zu den bekannten 4.200 Fällen hinzu?

Präzise, ländergenaue Angaben vom Bund liegen uns derzeit nicht vor. Bundesweit sind allerdings 300.000 Altverfahren noch nicht entschieden.

Das klingt nicht nach beschleunigter Rückkehr.

Ich bin da nicht so pessimistisch. Gut 2.000 abgelehnte Asylbewerber sind bisher in diesem Jahr wieder nach Hause zurück – 1.300 freiwillig, knapp 800 durch Abschiebung. Mein Ziel ist es, die Zahl im nächsten Jahr möglichst auf 4.000 zu erhöhen. Wir brauchen den Platz für die wirklich Schutzbedürftigen.

Wie wollen Sie das schaffen?

Wir kündigen Abschiebungen nicht mehr an. So stellen wir sicher, dass wir die Leute auch antreffen. Das war bislang ein großes Problem. Zudem haben wir im Harz eine Zentrale Abschiebestelle mit 10 Beamten eingerichtet und werden diese weiter verstärken. Und: Wir werden zudem auch weitere Sammelabschiebungen vornehmen und die Betroffenen dazu auch aus den Gemeinden zurückführen. Von Leipzig aus starten dann die Rückflüge. Ich hätte auch nichts dagegen, eine Transall einzusetzen, um noch mehr Ausreisepflichtige zurückzuführen. Das hätte auch eine bestimmte Signalwirkung.

Wird der Flugplatz Cochstedt auch für Rückflüge genutzt?

Das ist perspektivisch denkbar. Dort ist jedenfalls eine Erstaufnahme mit 190 Plätzen geplant. Jetzt aber nutzen wir gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen den Flughafen Leipzig.

Werden Familien um fünf Uhr früh rausgeklingelt?

Wir gehen verhältnismäßig vor. In besonderen Fällen werden wir immer auch entsprechende Rücksicht nehmen. Aber: Ausreisepflichtig sind auch viele alleinstehende Männer. Wer einen Bescheid hat, Deutschland zu verlassen, den wecken wir auch früh um fünf und warten nicht bis zum Frühstück. Abschiebung ist ein exekutiver Akt, der eine gewisse Härte in sich birgt. Ziel muss es sein, dass wir schneller nach einem ablehnenden Bescheid abschieben.

Freiwilligen Rückkehrern wird ein Bonus gezahlt?

Es gibt verschiedene Hilfsprogramme, ja. Dazu gehören neben reinen Reisekosten auch Starthilfen für die Heimat in Höhe von bis zu 750 Euro pro Kopf. All diese Hilfen sind aber kostengünstiger, als wenn abgelehnte Asylbewerber hier bleiben und die gesetzlichen Leistungen erhalten würden.

Was passiert mit abgelehnten Bewerbern, die wieder kommen?

Wenn sie neue Tatsachen vorbringen, startet das ganze Verfahren wieder von vorn. Allerdings verbleiben Wiedereingereiste in der Landeserstaufnahme - sie kommen nicht in die Gemeinden.

Sie haben mal gesagt: Wer schon lange hier lebt und gut integriert ist, kann trotz abgelehnten Asylantrags in Sachsen-Anhalt bleiben. Gilt das noch?

Bei dieser Aussage bleibe ich. Wer hier schon acht, zehn oder noch mehr Jahre lebt, fließend deutsch spricht, arbeiten kann und will, und dessen Kinder hier groß geworden sind, der soll auch hier bleiben dürfen. Das haben wir mit den Ausländerbehörden der Kommunen auch so besprochen. Der größte Teil der 4.200 Geduldeten aber muss wieder nach Hause.

Die Zahl sicherer Herkunftsländer wurde erweitert. Welche Konsequenzen hat das?

Die Verfahren können beschleunigt werden. Allerdings muss das Bundesamt für Migration auch endlich mehr Leute einstellen. Wir wollen, dass die Behörde mit mobilen Teams in unsere Erstaufnahmestellen kommt, um vor Ort Anträge aufzunehmen. So, wie jetzt in Klietz. Es darf nicht sein, dass es oft drei Monate und länger dauert, ehe ein Asylbewerber überhaupt seinen Antrag abgeben kann.

Zudem gilt ab ab 1. November: Wer aus Albanien, Montenegro oder Kosovo kommt, bleibt in der Erstaufnahme und wird nicht mehr auf die Kommunen verteilt. Das entlastet die Städte und Gemeinden.

Aber es kommen ja kaum noch Albaner und Kosovaren...

Ja, die Signale sind in den Ländern schon angekommen.

...und viele, die im ersten Halbjahr kamen, sind schon in kommunalen Unterkünften. Daher hatte Ministerpräsident Haseloff angekündigt, dass diese bald aus den Gemeinden zurück in die Erstaufnahme-Zentren ziehen sollen, um Platz zu machen für die Syrer. Wann wird das angepackt?

Sobald wir genügend Kapazitäten haben, werden wir das machen.

Wann?

Ich denke, Mitte 2016, wenn sich die Lage hoffentlich etwas entspannt hat. Sofort ist das nicht umsetzbar.

Warum nicht?

Dafür müssen wir zunächst entsprechende räumliche Kapazitäten schaffen und wir brauchen auch die Leute, um solche Umzüge zu organisieren. Oberste Priorität hat jetzt, die Menschen aus den Zelten herauszubekommen und alle winterfest unterzubringen. Am 1. November sollen alle DRK-Zelte in Halberstadt leer gezogen sein.

Haben auch Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern Anrecht darauf, dass eine Ablehnung gerichtlich überprüft wird?

Ja. Unser Grundgesetz gibt im Artikel 19 allen Menschen eine Rechtswegegarantie. Und das muss auch so bleiben. Bedenklich ist allerdings, dass es zwei getrennte Verfahren und daher zwei Rechtswegmöglichkeiten gibt: Gegen den abgelehnten Asylantrag und gegen die Ausreiseaufforderung. Ich meine, das sollte zu einem Verfahren zusammengefasst werden, um Zeit und Personal sparen. Da ist der Bundestag gefragt.