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Psychiatrien Zoff um Unterricht für kranke Kinder

Experten werfen dem Kultusministerium vor, in Psychiatrien zu wenige Schulstunden anzubieten.

04.11.2015, 12:16

Magdeburg l Gesundheitsexperten werfen dem Land seit Jahren vor, dass Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalts Psychiatrien kaum unterrichtet werden. Diese Kritik hat der Psychiatrieausschuss bei der Vorstellung des Landespsychiatrieberichts am Mittwoch erneuert. Während es in anderen Bundesländern Krankenhausschulen mit festem Personal gibt, werden die Patienten in Sachsen-Anhalt nur stundenweise von Lehrern verschiedener Schulen unterrichtet. „Das ist sehr misslich", sagte der Kinder- und Jugendpsychiater Hans-Henning Flechtner.

Im Durchschnitt erhält ein Schüler nur fünf bis acht Schulstunden pro Woche. „Wir sind verärgert. Die Kinder- und Jugendlichen leiden darunter. Viele ihrer Probleme hängen mit der Schule zusammen. Deswegen muss die Schule ein zentraler Bestandteil im Therapieprozess sein", sagte Flechtner. Der Kinder- und Jugendpsychiater kritisiert, dass das zuständige Kultusministerium die Gespräche mit dem Ausschuss zur Problematik „einseitig" abgebrochen hat.

Das Haus von Minister Stephan Dorgerloh (SPD) weist die Vorwürfe zurück. Der Landespsychiatrieausschuss gehe von völlig falschen Erwartungen aus, erklärte ein Sprecher auf Anfrage der Volksstimme. „Sachsen-Anhalt hat keine Schule für Kranke, bei uns im Land wird das über den Sonderunterricht geregelt", sagte er. Der Landtag und die Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie seien „in ausreichendem Maße" an der Entwicklung des Konzepts beteiligt gewesen. „Mit dem Krankenhausunterricht wird den betroffenen Kindern und Jugendlichen ein Angebot unterbreitet, damit sie den Anschluss nicht verlieren", erklärte der Sprecher.

Das sieht Flechtner anders. „In so wenigen Stunden kann ein Lehrer die Schüler nicht richtig betreuen", sagte er. Das Konzept sei auch nicht mit den Kliniken abgestimmt gewesen. „Das Ministerium legte das einfach fest." Laut Flechtner werden jedes Jahr mehrere Hundert Kinder und Jugendliche in psychiatrischen Kliniken stationär behandelt.

Neben dieser Kritik thematisiert der Psychiatrieausschuss noch andere Entwicklungen:

Eingliederungshilfe: Menschen mit einer dauerhaften psychischen Behinderung haben Anspruch auf Eingliederungshilfe. Der Ausschuss kritisiert, dass in Sachsen-Anhalt besonders viele psychisch kranke Menschen in Heimen leben. Bundesweit sind je 1000 Einwohner rechnerisch 2,6 Menschen stationär untergebracht; in Sachsen-Anhalt sind es dagegen 4,3. Das ist der höchste Wert in Deutschland und verhindere jede Integration, bemängeln die Experten.

Maßregelvollzug: Jahrelang haben die Experten kritisiert, dass es bei der Behandlung psychisch kranker Straftäter im Maßregelvollzug Uchtspringe (Landkreis Stendal) erhebliche Defizite gebe. Ärzte und Pfleger fehlten, einige Therapien wurden nicht angeboten. Nun lobt der Ausschuss die Verbesserungen, die das Sozialministerium inzwischen veranlasst hat. „Eine gute Therapie ist die beste Vorsorge vor Rückfälligkeit", erklärte der Ausschussvorsitzende Bernd Langer. Sozialminister Norbert Bischoff (SPD) sagte, dass es jedoch weiterhin schwierig sei, qualifiziertes Personal zu finden.

Flüchtlinge: Durch den hohen Zustrom an Flüchtlingen zeichnet sich ein erhöhter Therapiebedarf ab. Diese Menschen würden häufig psychische Störungen aufweisen, die mit traumatisierenden Erlebnissen in ihrer Heimat und auf der Flucht zusammenhingen, heißt es im Psychiatriebericht. Im Zuge ihrer Aufnahme müsse das Land auch die psychiatrische Grundversorgung gewährleisten. Dies sei kosten- und personalintensiv und müsse bei allen Planungen berücksichtigt werden.