1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Aus der Braunkohle nach Bonn

25 Jahre Einheit Aus der Braunkohle nach Bonn

Am 2. Dezember 1990 zogen erstmals ostdeutsche Abgeordnete in den Bonner Bundestag ein. Einer von ihnen war der Wittenberger Ulrich Petzold.

Von Steffen Honig 02.12.2015, 00:01

Wittenberg l Als der frisch gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete Ulrich Petzold aus Wittenberg Ende 1990 das erste Mal nach Bonn kam, um sein Büro zu besichtigen, war er beeindruckt von dessen Größe. Doch ein Kollege aus dem Westen sah das ganz anders: Der rümpfte kräftig die Nase über die nach seiner Meinung viel zu kleinen Räume.

Es trafen zwei Welten aufeinander, damals in Bonn. So unterschiedlich die Sicht, so einmalig war die Situation vor 25 Jahren: Erstmals wählten die Deutschen in Ost und West zwei Monate nach der staatlichen Vereinigung gemeinsam einen Bundestag. Sie hatten die Wahl zwischen 23 Parteien und einer Listenverbindung.

Für die ehemaligen DDR-Bürger war es bereits der vierte demokratische Urnengang innerhalb von zehn Monaten: Am 18. März stimmten sie über die (letzte) Volkskammer ab, es folgten am 6. Mai die Kommunalwahlen, am 14. Oktober waren Landtagswahlen. Ausgenommen Ost-Berlin, für die gesamte Stadt wurde am 2. Dezember mit dem Bundestag auch ein neuer Senat gewählt.

Der damals 39-jährige Diplom-Ingenieur Ulrich Petzold kam aus der Braunkohle nach Bonn und war zuletzt vor der Wahl stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Braunkohle-instandsetzungskombinates Gräfenhainichen gewesen. Er ahnte nicht, dass seine Direktwahl mit 41,2 Prozent im Wahlkreis 288 – Wittenberg, Gräfenhainichen, Jessen, Roßlau und Zerbst – eine Lebenswende einleiten würde. Bis heute ist er Bundestagsabgeordneter der Christdemokraten. Viermal wurde er seither direkt gewählt, zweimal kam er über die CDU-Liste in den Bundestag. „Das letzte Wahlergebnis war 2013 mit 45 Prozent mein bestes“, merkt Petzold stolz an.

Der heutige Parlaments-Senior war 1990 als einer von 128 Abgeordneten aus dem Osten bei 662 Mandatsträgern noch ein junger Hüpfer im Bundestag. Aber auf der Seite der Sieger: Die Union hatte, getragen von der Einheitseuphorie, unter Führung von Helmut Kohl (CDU) die Wahl gewonnen und bildete mit den Liberalen eine schwarz-gelbe Koalition.

Die Hauptkontrahenten Union und SPD hatten im Wahlkampf vor allem über die Finanzierung der deutschen Einheit gestritten. Während Bundeskanzler Kohl versprach, dass dies ohne Steuerhöhungen machbar sei, kündigte SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine dem Wahlvolk finanzielle Zusatzbelastungen durch die Einheit an. Das war wenig populär, weshalb Lafontaine auch verlor. Er sollte aber letztlich recht behalten.

Die deutsche Vereinigung wirkte sich auch organisatorisch auf die Wahl aus. Erstmals durften die Westberliner den Bundestag mitwählen. Außerdem wurde die Republik in ein westdeutsches und ein ostdeutsches Wahlgebiet gegliedert. Eine Partei musste nur in einem dieser Teile die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, um ins Parlament einziehen.

Diesem Umstand verdankte die SED-Nachfolgerin PDS ihre Präsenz im Bundestag, da sie im Osten deutlich über fünf Prozent der Stimmen verbuchen konnte. Während die westdeutschen Grünen nur auf 4,8 Prozent kamen, sicherte das Bündnis 90/Die Grünen mit 6,2 Prozent in Ostdeutschland die grüne Farbe im Bundestag. Wie die PDS wurden aber auch die Bündnisgrünen nicht als Fraktion, sondern als parlamentarische Gruppe eingestuft, was vor allem finanzielle Nachteile bedeutete.

Der Wittenberger Petzold lernte derweil den parlamentarischen Alltag kennen. Ihn verblüffte dabei der weitschweifige Diskussionsstil. „Ich war als Ingenieur gewöhnt, dass es Besprechungen 1, 2, 3 und fertig hieß.“ In den Bundestagsauschüssen habe damals jeder reden können, so lange er wollte. Das habe sich geändert, das Zeitregime sei heute „sehr viel ergebnisorientierter“, sagt Petzold.

Der beste Lehrmeister sei für ihn in der Anfangszeit Friedhelm Ost gewesen, bekannt vor allem als Regierungssprecher. Petzold: „Er hat mir vieles beigebracht, wir stehen heute noch in Kontakt.“

Ost-West-Unterschiede erlebte Ulrich Petzold auch im Treuhanduntersuchungsauschuss: „Da habe ich viele Kollegen erlebt, die nicht die geringste Ahnung von dem hatten, was in der DDR lief.“ Spätestens mit dem Berlin-Umzug sei dies aber deutlich besser geworden. Ganz nach vorn in der Fraktion ist der CDU-Abgeordnete, der aktuell im Umwelt- und im Kulturausschuss sitzt, in 25 Jahren nie gerückt. Sein Kalender ist dennoch gut gefüllt mit Berliner Terminen und jenen im Wahlkreis. Mehrere Jahre stand er der sachsen-anhaltischen CDU-Abgeordnetengruppe im Bundestag vor.

Als wichtigstes Resultat seiner parlamentarischen Arbeit sieht er die Mitarbeit bei der Angleichung des Bergrechts der neuen Länder an das Bundesbergrecht. „Die Übereinstimmung mit den Grünen dabei war nicht selbstverständlich“, betont Petzold.

Bevormundung im Bundestags hat der Wittenberger nach eigenem Bekunden nie erlebt: „Wer in der Fraktion seine Meinung sagt, kann dies auch im Plenum.“

Die Gleichheit kennt aber ihre Grenzen, weiß Petzold: „Helmut Kohl ins Gesicht zu sagen, das einem etwas nicht passt, war nicht einfach. Man musste sich vergewissern, dass man sich nicht aufs Glatteis begab.“