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Flüchtlinge Zähne ziehen in der Grauzone

Die Heilberufler des Landes fordern die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt.

Von Steffen Honig 14.01.2016, 00:01

Magdeburg l Zuerst zum zuständigen Sozialamt, dann zum Arzt – das ist das Behandlungsprinzip für Flüchtlinge und Asylbewerber. Das bedeutet jede Menge Aufwand und führt zu der skurrilen Situation, dass Verwaltungsmitarbeiter einschätzen müssen, was der Patient aus Syrien oder Afghanistan wohl an notwendiger medizinischer Leistung brauchen wird.

Abhilfe fordern die Heilberufler Sachsen-Anhalts – Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Apotheker – mit der geballten Macht ihrer Kammern. In einer am Dienstag in Magdeburg vorgelegten gemeinsamen Erklärung fordern sie „die landesweit einheitliche Einführung einer Gesundheitskarte“. Die Flüchtlinge hätten einen gesetzlichen Anspruch auf die Gewährung von gesundheitlicher Betreuung. Dies sei eine immense Herausforderung, die die Heilberufler gern annehmen würden. Doch die bisherige Praxis führe zu Verunsicherungen, „da zuwenig konkret geklärt ist, welche Leistungen vom Land, den Landkreisen und den Städten übernommen werden“, wird moniert.

Noch beherrschbar sind die Probleme bei den Allgemeinmedizinern. Burkhard John, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung, verwies auf eine Erhebung, nach der sich die Mehrbelastung in Grenzen hält. Demnach seien in 1300 Praxen durchschnittlich unter zehn Patienten hinzugekommen, in 170 bis zu 30 neue Behandlungsfälle.

Schwierig sei jedoch die Kommunikation. „Aber nicht jeder kann mit einem Dolmet-scher kommen“, erklärte John. Diskutiert würden deshalb Zentralpraxen speziell für Flüchtlinge mit Hilfen bei der Verständigung nach sächsischem Vorbild.

Sehr viel schärfer wirken sich Verständigungsprobleme bei der zahnärztlichen Versorgung aus, erläuterte Frank Dreihaupt, Präsident der Zahnärztekammer. Seine Berufskollegen bewegten sich bei jeder Notbehandlung eines Flüchtlings auf einem juritistisch schmalen Grat. Laut Gesetz muss dem Patienten nämlich die Behandlung von der Diagnose bis zur Therapie verständlich erklärt werden. „Dolmetscher können Sie vergessen,“ so Dreihaupt.

Denn an Sprachmittlern gibt es viel zu wenige. Die Dentisten handeln also bei fehlenden Verständigungsmöglichkeiten in einer Grauzone: Die Behandlung ohne Patienten-Aufklärung ist rechtlich eigentlich nicht möglich, wird aber aus ethischen Gründen praktiziert.

Wie Dreihaupt erklärt, versuche er seit vier Wochen bei der Landesregierung zu intervenieren – bislang jedoch habe er keinen Termin erhalten.

Mit der Einführung einer Gesundheitskarte, die zumindest einiges vereinfachen würde, kann es aber noch dauern. Holger Paech, Sprecher des Gesundheitsministeriums erklärte auf Volksstimme-Anfrage: „Die Vorbereitungen zur Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte benötigen noch Zeit.“ Die Abstimmungen mit den Beteiligten, vor allem Kommunen und Krankenkassen, würden sich im Detail komplizierter gestalten als ursprünglich gedacht.

„Im Kern geht es um den Leistungskatalog und die Frage, wer ist für die Durchsetzung und Kontrolle verantwortlich und wer übernimmt die Haftung, wenn Leistungen erbracht werden, die nicht im gesetzlichen Rahmen liegen“, erläuterte Paech: „Das Gesundheitsministerium kann ja keine Gesundheitskarte befehlen.“

Das Ministerium habe, erklärte der Sprecher, habe bereits im Oktober 2015 einen Entwurf für eine Rahmenvereinbarung vorgelegt: Kritik an Landesregierung oder Gesundheitsministerium wies er daher zurück: „Wir sind da die falsche Adresse. Es sind die Kommunen und Kassen, die sagen müssen, ob eine solche Karte nun als Vorteil gesehen und gewünscht wird oder nicht.“ Die Heilberufler haben ihre Antwort gegeben.