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Bundeswehr Liebesgrüße aus Mazar-e Sharif

In Burg werden am Freitag die Soldaten der Auslands­einsätze 2015 beim „Rückkehrerappell“ begrüßt. 300 Soldaten waren weltweit aktiv.

Von Matthias Fricke 15.01.2016, 00:01

Burg l Marina Katharina Jung hält die Sachsen-Anhalt-Fahne fein säuberlich zusammengefaltet in der Hand. Die 23-jährige Soldatin des Logistikbataillons 171 wird sie heute ganz offiziell auf dem Appellplatz zunächst ihrem Kommandeur übergeben. Der wiederum reicht sie mit militärischen Ehren an Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) weiter.

Eben jene Fahne flatterte von Juni bis November im Camp „Marmal“ in Mazar-e Sharif in Nord­afghanistan. Direkt neben dem an einem Mannschaftszelt aufgestellten Ortsschild der Stadt Burg im Jerichower Land. Bürgermeister Jörg Rehbaum hatte es den Burger Soldaten mit auf den Weg gegeben.

130 Tage fern der Heimat. Da kann auch ein Ortsschild vor dem Feldlagerzelt oder eine flatternde Landesfahne im nordafghanischen Wind nicht immer das Heimweh verhindern. „Die Tage zählen viele. Manche haben sogar eine extra Tagebär-App“, sagt Marina Jung, vom Rang eines Oberbootsmanns. Gemeint ist ein kleines elektronisches Programm, das die Tage auf dem Smartphone rückwärts zählt. Sie selbst nimmt dafür eine kleine Tabelle, auf der sie die Tage abstrich.

Die größte Sorge bereitete bei ihrem ersten Auslandseinsatz nicht die eigene Sicherheit als Transportfeldwebel in Mazar-e Sharif, sondern die Angst um ihren Lebensgefährten Daniel Sagaßer. Der saß nicht etwa im rund 5000 Kilometer entfernten Deutschland in der gemeinsamen Wohnung in Gerwisch, sondern arbeitete zeitgleich als Luftumschlagoffizier auf einer amerikanischen Airbase im türkischen Incirlik. Marina Jung: „Da ging das gerade mit den massiven Bombardierungen in Syrien los. Es wurde mir mulmig.“ Kontakt hielt das Paar über Smartphone via Internetverbindung – Liebesgrüße aus Mazar-e Sharif nach Incirlik und zurück.

Die beiden hatten sich vor einigen Jahren auf der Kieler Woche kennengelernt und zogen letztendlich nach Gerwisch im Jerichower Land. „Über unseren jeweiligen Einsatz haben wir im Detail aber nie gesprochen, um den anderen nicht zu beunruhigen“, sagt die Soldatin.

Ihr Freund Daniel Sagaßer erinnert sich: „Das wurde etwa nach einem Drittel meines Einsatzes kritisch. Tag für Tag flogen immer mehr Kampfjets über unseren Stützpunkt und die Sicherheitsstufen wurden weiter hochgeschraubt. Da ist uns dann schon etwas mulmig geworden.“ Nicht wegen möglicher Raketenangriffe. Der Stützpunkt ist entsprechend mit Abwehrvorrichtungen gesichert. Vielmehr wuchs in der Basis die Angst vor Selbstmord­attentätern. Sagaßer: „Jeden Morgen strömten Hunderte Menschen auf den Stützpunkt zur Arbeit, da wächst dann auch die Sorge, dass etwas übersehen werden könnte.“

Es blieben aber nicht die einzigen Tage mit Bauchschmerzen. „Als ich den Fernseher anstellte und bei CNN die Schlagzeile ,Earthquake Afghanistan‘ (Erdbeben in Afghanistan) las, wurde mir ganz anders. Man konnte auf der kleinen Karte einfach nicht erkennen, wo das nun genau war“, sagt er. Seine Freundin Marina blieb unverletzt. „Ich habe das Beben gespürt. Es hatte bei uns aber keine größeren Auswirkungen“, sagt sie ihm später.

Am Ende landen beide im November gesund und munter wieder in Deutschland. So wie die anderen rund 300 Einsatzkräfte aus Sachsen-Anhalt auch. Oberstleutnant Thomas Poloczek vom Landeskommando in Magdeburg: „Wir hatten im vergangenen Jahr bei Auslandseinsätzen keine Verletzten.“ Das war in den vergangenen Jahren nicht immer so.

Seit Anfang der 1990er Jahre sind 385 000 Soldaten ins Ausland geschickt worden. Viele mehrmals. 106 kamen bei den Missionen ums Leben, 37 davon starben in Gefechten oder bei Anschlägen. 35 allein in Afghanistan.

Die Sorge von Oberstleutnant Karl-Wilhelm Wenz ist bei Auslandseinsätzen eine andere. „Ich will immer alle Kameraden gesund wieder mit nach Hause nehmen.“ Für sein Logistikbataillon ist dies auch 2015 gelungen. Als Kommandeur des deutschen Unterstützungskontingentes war er aber auch für 900 Soldaten und mehrere hundert Einheimische zuständig.

„Leider ist ein Soldat in meiner Zeit eines natürlichen Todes gestorben. Dafür kann zwar keiner was, aber wenn man es so will, habe ich nicht alle wieder mit zurückbringen können“, so der 43-Jährige.

Zwar zählt er nicht die Tage bis zum Heimflug, dafür aber seine beiden Söhne Julian (vier Jahre) und Niklas (zwei Jahre).

„Das ist schon nicht ganz einfach, wenn man so lange von seinen Kindern getrennt ist. Spätestens nach einem Monat kommt die Frage ,Wann kommt Papa endlich nach Hause?‘. Um diese Zeit greifbar zu machen, haben wir uns aber etwas einfallen lassen“, sagt der Kommandeur. In einem großen durchsichtigen Glas deponierte er laute kleine Überraschungen.

Wenz: „Für jeden verstrichenen Tag durften sich die Kinder dann entsprechend eine Überraschung herausnehmen.“ Sozusagen eine Art Weihnachtskalender für Bundeswehrangehörige. Der Kommandeur hielt jeden Tag Kontakt mit seiner Familie. Die 30 Freiminuten über das Bundeswehr-Festnetz reichen da selten in den vier Monaten, fern der Heimat . „Ich habe mir deshalb eine Flatrate für das afghanische Mobilfunknetz geholt. Das ist sehr preiswert und funktioniert auch für das Internet sehr gut“, sagt er.

Wenn Kommandeur Karl-Wilhelm Wenz heute seine Soldaten zum Rückkehrer-Appell in Burg antreten lässt, wird auch Oberbootsmann Kay B. aus Magdeburg in den Reihen stehen. Der 35-Jährige ist zwar mit einer kurzen Unterbrechung seit 2001 Bundeswehrsoldat, er war aber im vergangenen Jahr das erste Mal im Auslandseinsatz. Der Oberbootsmann zählt zu den 80 Soldaten, die 2015 im Kosovo im Einsatz waren. Als Kompanie-Truppführer war er für die Organisation zuständig. Die KFOR ist seit 1999 auf dem Balkan im Einsatz. Im Feldlager des 35-Jährigen waren etwa 600 Soldaten aus verschiedenen Nationen stationiert. „Es blieb bei uns aber relativ ruhig“, so der Soldat. Es sei ideal für den Einstieg bei Auslandseinsätzen gewesen.

Nur vier Monate vor dem Abflug in das Feldlager nach Prizren hat der 35-jährige Magdeburger noch geheiratet. „Wir waren da schon zehn Jahre zusammmen. Man weiß nie, was kommt, deshalb wollten wir auch vorher alles geregelt haben“, sagt er. Die 141 Tage im Feldlager-Einsatz strich sich der Soldat in seinem Bürokalender jeden Tag ab. Man dürfe sich da aber nicht reinsteigern.

Die nächsten Soldaten stehen für 2016 bereits in den Startlöchern. Oberstleutnant Thomas Poloczek: „Nach derzeitigem Stand rechnen wir damit, dass Sachsen-Anhalt dieses Jahr mit 130 Soldaten deutlich weniger Einsatzkräfte ins Ausland schickt.“