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Flüchtlingskrise Stahlknecht: „Grenzen kontrollieren“

Flüchtlinge sollen an der deutsch-österreichischen Grenze zurückgewiesen werden. Das fordert Innenminister Holger Stahlknecht (CDU).

18.01.2016, 23:01

Volksstimme: Herr Minister, in Deutschland wird seit Wochen über eine Obergrenze für Flüchtlinge gestritten. Die CSU fordert eine Grenze von 200 000 pro Jahr, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat die Zahl 400 000 im Blick. Wie soll der Zuzug Ihrer Meinung nach begrenzt werden?

Holger Stahlknecht: Wir müssen in Deutschland geltendes Recht anwenden – und ich sage bewusst, wieder anwenden. Das ist unsere wichtigste Aufgabe. Im Grundgesetz ist klar geregelt, dass ein Asylsuchender, der aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder aus einem anderen sicheren Drittstaat einreist, keinen Anspruch auf ein Asylverfahren in Deutschland hat, sondern in dem Land, in welches er zuerst eingereist ist. Die Kanzlerin hat diese Rechtslage im September faktisch außer Kraft gesetzt, als tausende Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen durften. Nun kann man sagen, das war damals ein Gebot der Humanität, eine Art rechtfertigender Notstand. Aber dieser Zustand darf kein dauerhafter sein.

Hilft eine Obergrenze wirklich dabei, den Zuzug zu reduzieren?

Wir brauchen eine Obergrenze. Doch entscheidend ist nicht allein eine politische, sondern die juristische Begründung. Wir dürfen das Grundgesetz nicht auf Dauer außer Kraft setzen. Wenn wir unsere Verfassung, das Grundgesetz, wieder einhalten, werden wir automatisch zu einer Begrenzung kommen. Im Jahr 2015 sind etwa eine Million Menschen zu uns nach Deutschland gekommen. Wenn nur die Hälfte davon über ein EU-Land oder ein sicheres Land eingereist ist, ergibt dies eine Zahl von rund 400.000 oder 500.000 Menschen, die laut unserer Verfassung gar nicht erst hätte nach Deutschland einreisen dürfen. Dies ergibt in etwa die Zahl, die der Ministerpräsident als Obergrenze genannt hat.

Wie wollen Sie das umsetzen?

Das geht nur durch Grenzkontrollen. Die Europäische Union muss ihre Außengrenzen sichern. Wenn sie dazu jedoch nicht in der Lage ist, dann gilt der Grundsatz, dass innerhalb Europas die Binnengrenzen wieder zu kontrollieren sind. Das heißt nicht, dass die Grenze geschlossen oder keiner mehr reingelassen wird. Es geht darum, dass denen die Einreise verwehrt wird, die aus einem sicheren Drittstaat oder der EU einreisen. Wenn die Bundespolizei die Grenzkontrollen personell nicht leisten kann, müssen die Länder eben mit ihrer Länderpolizei helfen. Am Ende geht es auch darum, dass die Bundesländer ihrer Kernaufgabe der inneren Sicherheit nachkommen können.

Die meisten Flüchtlinge reisen über Österreich – einen EU-Staat – ein. Flüchtlinge sollen also an der deutsch-österreichischen Grenze zurückgewiesen werden?

Das ist richtig. Dieser deutsche Staat, der ein Staatsvolk hat, hat den Anspruch, dass sich nicht nur Flüchtlinge rechtstreu verhalten, sondern dass diejenigen, die in politischer Verantwortung stehen, ihre eigene Verfassung, nämlich unser Grundgesetz, auch beachten und anwenden. Daher müssen wir zur Verfassungstreue zurückfinden. Das bedeutet, dass der überwiegende Teil der Flüchtlinge, der jetzt an der deutsch-österreichischen Grenze zu uns kommt, nicht nach Deutschland gelassen werden darf. Das ist geltendes Recht. Jeden Tag, an dem es anders gehandhabt wird, wird gegen die eigene Verfassung verstoßen. Damit entsteht der Eindruck, dass das eigene Staatsvolk nicht mehr ernst genommen wird, das auf Grundlage dieser Verfassung lebt.

Wollen Sie dort wie die ungarische Regierung Zäune und Schlagbäume errichten?

Nein. Sehen Sie, die erste Hälfte meines bisherigen Lebens war ich viel in Europa unterwegs. Am Brenner beispielsweise gab es Grenzkontrollen. Dazu brauchte man aber keinen Schlagbaum. Es hat gelegentlich einen Stau gegeben, den wir heute nur nicht mehr gewöhnt sind. Es gab doch auch vor Schengen kein Europa der geschlossenen Grenzen oder ein Europa der Schlagbäume. Da saß ein Zöllner im Häuschen, der hat teilweise durchgewunken und teilweise kontrolliert. Wir haben dieses Bild vergessen, weil wir uns an das freie Europa so sehr gewöhnt haben. Das funktioniert so im Moment aber nicht mehr, weil die europäischen Außengrenzen nicht hinreichend gesichert und die Lasten innerhalb der EU ungleich verteilt sind. Grenzkontrollen ja, Schlagbäume nein – das ist unsere nationale Aufgabe.

Ab wann sollen diese Maßnahmen greifen?

Da bin ich mit Seehofer einer Meinung: Grundsätzlich sofort. An jedem Tag, an dem wir das nicht tun, handeln wir gegen unsere Verfassung und außerhalb des rechtsgültigen Rahmens.

Wenn Deutschland die Grenzen schließt, dürften andere Staaten nachziehen.

Ich halte einen Dominoeffekt in Europa nicht für falsch: Dadurch werden andere EU-Staaten diszipliniert. Beispielsweise reicht Italien die Flüchtlinge doch deshalb durch, weil es weiß, dass wir Deutschen das Dublin-Abkommen und unsere eigene Verfassung derzeit nicht anwenden. Alle Staaten können jetzt sagen: „Die Deutschen machen sowieso ihr eigenes Ding.“ Das muss ein Ende haben.

Wenn die Binnengrenzen geschlossen werden, dürfte es in den Staaten an den EU-Außengrenzen, zum Beispiel in Griechenland, zu einem massiven Flüchtlingsstau kommen.

Das könnte passieren, ja. Aber der Verteilungsdruck ist notwendig. Andere Nationalstaaten werden dann über einen europäischen Verteilungsschlüssel für Asylsuchende reden müssen. Es kann nicht sein, dass sich einige europäische Nationalstaaten wie zum Beispiel Polen weiterhin aus der Verantwortung ziehen.

Würde Deutschland damit nicht einfach nur den Druck auf schwächere EU-Staaten abwälzen?

Nein. Es könnte beispielsweise mit EU-Geldern in Griechenland menschenwürdige Unterkünfte geschaffen werden. Das kann man ja steuern. Mir geht es aber zunächst um unsere eigene nationale Verantwortung und um die Verantwortung der Bundesländer, auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. Es geht für uns nicht darum, welche Lasten eine Nation über Wochen oder Monate schultern kann – das haben wir bewiesen, dass wir es können. Aber das kann nicht auf Dauer so weitergehen. Wir müssen zum verfassungsgemäßen Handeln zurückkehren und damit auch in die Lage versetzt werden, weiterhin die öffentliche Sicherheit für unsere Bevölkerung zu gewährleisten. Dass dies in Köln nicht funktioniert hat, das muss man mal ganz deutlich sagen. So etwas führt zu einem nachhaltigen Vertrauensverlust in staatliches Handeln.