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Landwirtschaft Im Fleischland Deutschland

Immer weniger Betriebe produzieren immer mehr Fleisch. Der jetzt veröffentlichte „Fleischatlas“ zeigt den Wandel.

Von Oliver Schlicht 20.01.2016, 00:01

Magdeburg l Die Fleischproduktion in der Landwirtschaft ist zunehmend von industrieartiger Massentierhaltung geprägt, die im Widerspruch zu einem Verbrauchertrend hin zu qualitativ hochwertigem, nachhaltig produziertem Fleisch steht. Dies ist das Fazit des jetzt erschienenen "Fleischatlas".

Die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) geben in Deutschland die Schriftenreihe "Fleischatlas" gemeinsam heraus. Das jetzt veröffentlichte Heft widmet sich der regionalen Fleischproduktion in den Bundesländern.

Vor dem Hintergrund der 2015 sich zuspitzenden rechtlichen Auseinandersetzungen mit der Straathof-Unternehmensgruppe nimmt das Heft in Sachsen-Anhalt die Schweineproduktion ins Visier. Die Verbote durch den Landkreis Jerichower Land gegen die Person Adrianus Straathof und seinen Betrieb in Gladau seien „in dieser Größenordnung in Deutschland einmalig“, heißt es im Fleischatlas. Dem Ferkelzüchter werden Tierschutzverstöße wie zu enge Kastenstände und zu wenig Trinkwasser vorgeworfen. Der Tierbestand in Gladau, rund 70 000 Tiere, wurde im August 2015 aufgelöst. Der Standort, so heißt es, werde inzwischen aber erneut zur Fleischproduktion genutzt.

Die Kontrollen der Anlagen durch die Behörden seien häufig ungenügend. Es gebe zu wenige Kontrolleure, und es herrsche bei manchen Kreisbehörden gegenüber wirtschaftlich wichtigen Großbetrieben eine gewisse Nachsicht. Gut sei, dass vom Magdeburger Oberverwaltungsgericht im November 2015 entschieden wurde, dass zukünftig kein Interpretationsspielraum bei der Nutztierhaltungsverordnung mehr angewendet werden darf. Diese Entscheidung sei bundesweit wegweisend für mehr Tierschutz, heißt es. In Deutschland nimmt generell die Anzahl von Betrieben mit Massentierhaltung zu.

In Sachsen-Anhalt sind das Jerichower Land mit 40 400 Zuchtsauen und der Bördekreis mit 23 000 Zuchtsauen Spitzenreiter. Bundesweit spielt Sachsen-Anhalt, was die Tierdichte in der Landwirtschaft betrifft, eine eher durchschnittliche Rolle. Bei der Schweine- und Rinderhaltung nehmen das westliche Niedersachsen, der Norden von Nordrhein-Westfalen und Bayern Spitzenpositionen ein.

Der Trend zu immer weniger, aber größeren Betrieben ist aber auch hierzulande nachweisbar. Lediglich bei der Rinderhaltung gibt es seit 2013 Zuwächse an Betrieben, was dem Wegfall der Milchquotenregelung im Frühjahr 2015 geschuldet ist.

Obwohl die Zahl der Schweinetierhaltungen seit 2013 in Sachsen-Anhalt um 900 abgenommen hat, wurden von 2012 bis 2015 genau 53 203 Mastschweine-Plätze neu beantragt. Noch extremer ist der gegenläufige Trend in der Geflügelproduktion. Dort ist die Zahl der gemeldeten Hühnerhaltungen um 500 rückläufig, gleichzeitig wurden im Land rund 836 000 Masthähnchen-Tierplätze neu beantragt. Nach Brandenburg (1,2 Millionen) ist das der zweithöchste Zuwachs in den neuen Bundesländern. Bundesweit ist laut Statistischem Bundesamt die Erzeugung von Geflügelfleisch seit 1994 um mehr als drei Viertel gestiegen, während die Zahl der Betriebe, die Masthühner halten, um 95 Prozent von knapp 70 000 auf 4500 zurückging. 1994 importierte Deutschland noch mehr Schweine- und Geflügelfleisch, als es exportierte. Durch den Produktionsanstieg ist mittlerweile ein Exportüberschuss bei allen Fleischarten entstanden.

Der zunehmende Exporthunger der Fleischproduzenten befördert die Entstehung von agrar-industriellen Mastanlagen. Vorreiter dieser Entwicklung ist der Kreis Vechta bei Cloppenburg. Die Region im Westen Niedersachsens ist so etwas wie die deutsche Schweinefleisch-Kernzone.

Im Jahr 2010 gab es dort knapp 800 Schweinemastbetriebe mit insgesamt 1,06 Millionen Tierplätzen. Allein 2013 und 2014 sind dort über 87 000 neue Plätze genehmigt worden – mehr als in ganz Schleswig-Holstein oder Hessen. Zu den größten Anlagen, die in Deutschland genehmigt wurden, gehört ein Geflügelbetrieb im Emsland, der für die Haltung von 320 000 Hähnchen ausgelegt ist.

Für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region in Bezug auf die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen ist der Neubau von großen Fleischproduktionsanlagen kaum von Belang. In dieser Einschätzung stimmt der Deutsche Bauernverband mit den Autoren des „Fleischatlas“ überein. Anlässlich der Grünen Woche in Berlin veröffentlichte der Bauernverband eine Statistik, wonach trotz deutlich höherer Erträge in der Feldwirtschaft und der Erhöhung der Milchproduktion von 1950 zu heute die Zahl der Beschäftigten drastisch zurückgegangen ist. Pro Hektar wurden 1950 29,2 Arbeitskräfte eingesetzt, heute sind es 3,1 Arbeitskräfte. 1950 ernährte ein Landwirt durchschnittlich zehn Personen, heute mehr als 140. Nur noch 1,5 Prozent der deutschen Erwerbstätigen arbeiten aktuell in der Landwirtschaft.

Möglich wurde dieser Strukturwandel durch Melkmaschinen, automatische Fütterung und Ausmist-Spaltböden, um nur drei Beispiele zu nennen. Viele bäuerliche Betriebe geraten unter Konkurrenzdruck einer industrieähnlichen Tierproduktion. Die Folge: weniger Tierarten auf den Höfen, immer größere Betriebe.