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Luchs Wieder zu Hause

Der Luchs ist wieder heimisch im Harz. Zu verdanken ist das einem Auswilderungsprojekt des Nationalparks.

Von Elisa Sowieja 22.01.2016, 00:01

Sankt Andreasberg l Der Schnee unter den Wanderschuhen knirscht im Vier-Viertel-Takt. Hier, mitten im Wald, hört man weit und breit nichts anderes. Plötzlich verstummt das Geräusch. Ole Anders ist stehengeblieben und starrt jetzt konzentriert auf den Boden. Es dauert drei, vier Takte, dann schüttelt er den Kopf. „Kein Luchs. Das ist eine zugeschneite Rotwild-Spur. Hinweise bekommen wir hier nur aus der Fotofalle.“ Der Förster stapft weiter bis zu einem Holzpfahl, an dem ein Kasten so groß wie eine Autobatterie hängt. Er setzt den Akkuschrauber an und baut das Gerät ab.

Anders ist Leiter des Projekts zur Wiederansiedelung des Luchses im Nationalpark Harz. Nachdem die Raubkatze vor 200 Jahren in Mitteleuropa ausgerottet war, wurden hier zwischen 2000 und 2006 insgesamt 24 Tiere ausgewildert. Bis heute verfolgt Anders anhand verschiedener Spuren, wie sich die Zahl der Rückkehrer entwickelt.

Er nimmt DNA-Proben von Haaren, Kot und Speichel, ortet Nachwuchs mit Hilfe von Sendehalsbändern der Mütter, geht Hinweisen aus der Bevölkerung nach, sucht Pfotenabdrücke im Schnee. Die größte Hilfe aber sind Fotofallen. An 60 Orten in den Harzwäldern Sachsen-Anhalts und Niedersachsens sind die Kameras aufgestellt. Immer nach 100 Tagen werden sie ab- und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Laut einer Hochrechnung leben im Harz heute 82 Luchse. Ein Ergebnis, das neben viel Arbeit im Nationalpark einst auch Mut in der Politik gekostet hat. „Die Idee, die Tiere hier wieder anzusiedeln, gab es an der Göttinger Universität schon in den 70er Jahren“, erzählt der Förster. Sie wurde damals aber nicht durchgebracht: „Man hatte Angst um den Tourismus. Der Luchs wurde von vielen als Bedrohung angesehen.“

Ende der 90er Jahre dann beschlossen das Land Niedersachsen und die dortige Jägerschaft, die Wiederansiedelung anzugehen. Kurz darauf legte Anders in der Nationalparkverwaltung in Sankt Andreasberg los. Mit dem Land Sachsen-Anhalt wurde die Entscheidung nicht abgestimmt. Der Förster erinnert sich: „Da war der eine oder andere schon verschnupft.“ Einige Jahre später stieg Sachsen-Anhalt aber als Partner ein.

Da das Luchs-Projekt das erste in Deutschland war, fuhren Anders und eine Kollegin zunächst nach Polen, um sich über Erfahrungen zu informieren. Im Gegensatz zu den meisten anderen Projekten arbeitet man dort mit Tieren aus Gefangenschaft. „Das hat den Vorteil, dass man sie nach Alter und Geschlecht aussuchen kann“, erklärt der Fachmann. „Außerdem zahlen wir nur den Transport.“ Im Pfälzer Wald, wo kürzlich ein Projekt mit Wildfängen gestartet ist, rechne man für Fang und Transport pro Tier mit 10 000 Euro.

Zootiere haben aber auch einen Nachteil: Sie sind an den Menschen gewöhnt. Deshalb musste im Harz jeder Luchs vor der Auswilderung einen Test bestehen: Nachdem das Tier einige Wochen lang in einem vier Hektar großen Gehege gelebt hatte, spazierte Anders hinein. Wich der Luchs aus, hatte er bestanden, zeigte er keine Scheu, wurde er zurück in den Zoo geschickt. Eine Handvoll solcher Tiere hat Anders in der Auswilderungsphase erlebt.

Dabei hätte er wegen der Sicherheit keine Bedenken gehabt, sagt er: „Es ist normal, dass sich Luchse manchmal nicht darum scheren, ob ein Mensch in der Nähe steht. Sie werden nicht aggressiv. Aber es wäre schwierig gewesen, das den Menschen zu erklären.“ Die Akzeptanz für den zurückgekehrten Harzbewohner sei in der Bevölkerung inzwischen groß, sagt Anders: „Bei meinen Vorträgen war die Sicherheit anfangs fast immer ein Thema, heute ist das kaum noch der Fall. Manche Ortschaften werben sogar mit dem Luchs.“

Vielen Jägern allerdings bereitet das Tier Bauchschmerzen. Denn auf seinem Speiseplan ganz oben steht das Reh. Dadurch bleiben dem Jäger weniger Rehe zum Schießen. Zudem sind sie schwieriger zu finden, denn sie verstecken sich nun besser. Die Zahl der erlegten Rehe im Altkreis Wernigerode etwa sank so vom Jahr 2002 auf 2006 um ein Drittel. Allerdings hat sie sich inzwischen etwas erholt, im Jahr 2013 wurde im Vergleich zu 2002 nur noch ein Fünftel weniger Rehe geschossen.

Bei den Mufflons sieht es kritischer aus. Die Population der Wildschafe ging durch den Luchs so weit zurück, dass die Jäger sie seit Jahren nur in Ausnahmefällen erlegen, um den Bestand zu schonen. Anders berichtet, der Luchs sei in der Jägerschaft anerkannt, es gebe aber auch Diskussionen. Der Landesjagdverband in Sachsen-Anhalt sieht klar Handlungsbedarf. „Prinzipiell darf keine Art für eine andere geopfert werden“, sagt Verbandschef Wilko Florstedt. Er fordert, dass die Zahl der Luchse und Beutetiere künftig nicht mehr nur hochgerechnet, sondern im gesamten Gebiet dauerhaft gezählt wird. Je nach Ergebnis müsse man dann Abhilfe schaffen.

Um eine Ausnahmegenehmigung, das geschützte Tier schießen zu dürfen, ginge es ihm momentan nicht, sagt Florstedt. Stattdessen schlägt er vor, Luchse umzusiedeln. Sachsen-Anhalts Jäger wollen nun ein Projekt anstoßen, bei dem Tiere mit Hilfe von Wärmebildkameras gezählt werden, die Mittel sollen nach ihrem Wunsch vom Land kommen. Dieses sei grundsätzlich offen dafür, sagt auf Volksstimme-Nachfrage eine Sprecherin des Landesverwaltungsamts.

Geht man nach der Prognose von Ole Anders, dürfte sich das Problem zumindest nicht verschärfen: „Luchse, die jetzt geboren werden, müssen den Harz verlassen, weil die Territorien besetzt sind. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Population konstant bleibt.“