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Milchkrise Aeikens: „Ich kann mitfühlen“

Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens (CDU) erklärt im Gespräch, wie er Milchbauern helfen will.

05.02.2016, 23:01

Herr Aeikens, Sie tragen das Blut eines Landwirtes in sich. Ihr Vater hat in Ostfriesland einen Milchviehbetrieb bewirtschaftet. Jetzt sind Sie Minister und die Milchbauern erhalten für Milch so wenig Geld wie noch nie. Leiden Sie mit?

Hermann Onko Aeikens: Ja. Ich kann mitfühlen, wie es ist, jeden Tag in den Kuhstall zu gehen und kein Geld zu verdienen. In dieser Situation muss die Politik den Milchbauern zur Seite stehen und helfen.

Wie wollen Sie die Landwirte unterstützen?

Wir haben verschiedene Instrumente entwickelt, um den Betrieben über die Runden zu helfen. Mit dem Liquiditätshilfeprogramm unterstützen wir Milch- und Schweineerzeuger kurzfristig durch Zuschüsse. Zudem können wir Betrieben auch mit Landesbürgschaften unter die Arme greifen. Unser drittes Angebot besteht darin, mit unserer Landgesellschaft, betroffenen Bauern Flächen abzukaufen. So kommen die Betriebe zu Geld und können ihren Verpflichtungen nachkommen. Von der Landgesellschaft bekommen die Bauern dann die Flächen zurückverpachtet. Für mindestens sechs Jahre verpflichtet sich die Landgesellschaft zudem, die Flächen nicht zu verkaufen. So haben die Landwirte die Chance, ihren Boden zum ursprünglichen Verkaufspreis plus der Kosten zurückzuerwerben. Das halte ich für ein faires Angebot.

Landwirte, die ihre Flächen freiwillig veräußern, sind im Allgemeinen allerdings schwer zu finden.

Das ist richtig. Aber man muss es folgendermaßen sehen: Es ist besser eine Fläche zu verkaufen, um wieder liquide zu werden, als den ganzen Betrieb zu gefährden.

Etwa 100 Betriebe aus Sachsen-Anhalt haben sich dazu entschlossen, das Liquiditätshilfeprogramm in Anspruch zu nehmen. Erst ein Bauer hat seinen Grund und Boden verkauft. Ist der Leidensdruck doch nicht groß genug?

Die Situation bei den Betrieben ist unterschiedlich. In Sachsen-Anhalt haben wir gegenüber anderen Regionen in Deutschland einen Vorteil: Viele Milchproduzenten sind nicht ausschließlich von der Milch abhängig. Sie können in ihrem Betrieb eine Zeitlang zum Beispiel durch den Ackerbau quersubventionieren.

Im Dezember bekamen die etwa 600 Milchviehbetriebe in Sachsen-Anhalt nur zwischen 23 und 28 Cent pro Kilogramm Milch. Wann geht es wieder aufwärts?

Experten gehen von einer Entspannung in der zweiten Hälfte des Jahres aus.

Lohnt sich die Milchviehhaltung dann wieder?

Langfristig sind die Perspektiven auf dem Weltmarkt gut. Die Bevölkerung und die Kaufkraft, vor allem im asiatischen Raum, wachsen. Dann werden die Erzeuger auch wieder mehr Geld für die Milch bekommen. Durch den Handel mit der Welt müssen sich die Milchbauern aber auch stärker mit volatilen, also schwankenden, Preisen auseinandersetzen.

Ist das bisher versäumt worden?

Die Milchbauern und Molkereien hätten sich eher vorbereiten können. Allerdings ließ sich mit Milch und Milchprodukten in den zurückliegenden Jahren auch gutes Geld verdienen. In der Situation hat sich die Branche zu wenig darum gekümmert, was nach Auslaufen der Milchquote und bei möglichen schlechteren Preisen erforderlich ist.

Was muss jetzt passieren?

Wir müssen uns Rahmenbedingungen überlegen, wie wir mit den Schwankungen auf dem Weltmarkt besser fertig werden. Zum Beispiel muss darüber nachgedacht werden, die Verträge zwischen Milchviehbetrieben und den Molkereien flexibler zu gestalten. Bisher ist es so: Der Landwirt ist verpflichtet seine Produktion zu 100 Prozent der Molkerei zu überlassen und die ist in der Pflicht, sie ihm auch abzunehmen. Für manche Bauern ist dieses Geschäft mittlerweile wie eine Fessel.

Es bedarf neuer Instrumente, die den Erzeugern mehr Möglichkeiten geben, mit ihrer Milch flexibel zu agieren. Und wir müssen darüber reden, wie es der Milchwirtschaft gelingen kann, mehr Wertschöpfung zu realisieren und höhere Auszahlungspreise zu erzielen. Das kann zum Beispiel durch kleine Regional-Molkereien funktionieren oder durch hochwertige Qualitätsprodukte. Hier muss die Branche kreativer und innovativer werden.

Welche neuen Rahmenbedingungen muss die Politik langfristig schaffen?

Politik hat bezüglich der Rahmenbedingungen eher eine moderierende Funktion. Es müssen nicht wieder sofort Gesetze geändert werden. Denn die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen bieten reichlich Spielraum an, um etwas zu tun.

Dennoch hat Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) einen Brief an die Bundeskanzlerin geschrieben und um steuerliche Entlastung für Landwirte gebeten. Warum?

Das hat gesellschaftspolitische Gründe. Früher ist die Landwirtschaft in der Mitte der Bevölkerung verankert gewesen. Heute haben viele Menschen den Bezug zu Bauern und der Arbeit auf dem Hof verloren. Mit unserem Vorschlag wollen wir der Landwirtschaft auf steuerlichem Wege beistehen. Erstens durch eine sogenannte Risikoausgleichsrücklage: Betriebe sollen, wenn sie Rücklagen für schlechte Zeiten bilden, ihre Steuerlasten mindern können.

Zweitens ist die Erhöhung des steuerlichen Freibetrags nötig. Wenn man das Ziel hat, eine breite Streuung landwirtschaftlicher Betriebe aufrechtzuerhalten, macht es Sinn, Bauern über einen Freibetrag in ihrer Existenz zu helfen. Darüber habe ich auch schon mit dem Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) gesprochen. Er hat mir seine Unterstützung zugesichert.

Was wird das Programm den Steuerzahler kosten?

Das ist seriös noch nicht abzuschätzen und hängt von der Ausgestaltung des Pakets ab. Der bisherige Freibetrag für verheiratete Landwirte liegt bei 1800 Euro im Jahr – wenn man ein bestimmtes Einkommen nicht überschreitet. Diese Summe muss deutlich nach oben gehen. Wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sagt, wir müssen mal zwei Milliarden Euro für die Automobilindustrie locker machen, um der Elektromobilität auf die Sprünge zu helfen, dann halte ich es auch für legitim, etwas für die Landwirtschaft zu fordern, was mit Sicherheit nicht zwei Milliarden Euro kosten wird und einer Branche hilft, die unter großem Druck steht.

Was halten Sie von der Wiedereinführung eines Instrumentes zur Regulierung des Milchmarktes?

Gar nichts. Die Milchquote, die es gab, hat auch nicht dazu beigetragen, Preistäler zu vermeiden. Das Auslaufen der Quote innerhalb der Europäischen Union ist auch jetzt nicht schuld, dass die Preise im Keller sind, denn sie entstehen global. Weltweit hat die Produktion von Milch zugenommen. Die Nachfrage hat aufgrund zunehmender ökonomischer Probleme in der Welt aber nicht mithalten können. Dazu zählt zum Beispiel die schwächere Entwicklung in China und teilweise auch das Embargo von Russland.

In ihrer Doktorarbeit haben Sie 1979 schon geraten keine Quote einzuführen. Warum?

Weil eine Quotenregelung immer das Zementieren der Produktion bedeutet und die Entscheidungsfreiheit der Betriebe einengt. Die Milchquote hat Kosten verursacht und den Landwirten langfristig geschadet. An der gestiegenen Nachfrage auf dem Weltmarkt haben die europäischen Bauern 30 Jahre lang kaum teilnehmen können. Natürlich gibt es europäische Milch im Ausland, weil immer mehr produziert wurde als in der EU absetzbar war. Aber ohne Quote hätte noch eine bessere Position erzielt werden können. In einer Marktwirtschaft ist so etwas auch ein Stück weit systemfremd. All dies ahnend, habe ich als junger Wissenschaftler der Politik geraten, keine Quotenregelung einzuführen. Und fünf Jahre später kam dann die Quote.

Politiker sollten also mehr auf Wissenschaftler hören?

In bestimmten Punkten sicher. Man sieht ja oft, dass Wissenschaftler einen Vorlauf von 20 bis 30 Jahren haben. Und dann erst folgt die Politik häufig der Wissenschaft.