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Rappbode-Talsperre Mildes Urteil für Tunnel-Raser

Ein Tunnel im Harz lockt trotz Rüttelstreifen immer wieder Raser an. Ein Unfall-Verursacher musste sich nun vor Gericht verantworten.

Von Dennis Lotzmann 02.03.2016, 00:01

Wernigerode l Waren es ein Fahrfehler und unglückliche Umstände, die am 19. Oktober 2014 im Rappbode-Tunnel in eine Tragödie mündeten? Oder war der Unfall, bei dem eine Frau schwerste Beinverletzungen erlitt, Resultat eines illegalen Rennens oder einer waghalsigen Show-Einlage? Zwei Fragen, die am Dienstag vor dem Amtsgericht Wernigerode zu beantworten waren. Mit Blick auf den Angeklagten ging es um eine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr oder fahrlässiger Körperverletzung.

Der Tunnel selbst bereitet den Verantwortlichen seit Jahren Kopfzerbrechen. Die Engstelle zieht Biker, Autofahrer und Schaulustige geradezu magisch an. Immer wieder muss die Polizei anrücken, um illegale Rennen und Shows zu beenden. Der nun verhandelte Unfall markiert den vorläufigen Höhepunkt in einer Serie von schweren Unglücken in und an der engen Tunnelröhre.

Angeklagt war ein 30 Jahre alter Mann aus Wernigerode, der damals zusammen mit Freunden zu einer Saisonabschlussfahrt gestartet war. Kurz nach 16 Uhr starteten die fünf Opel-Fans mit ihren Autos durch den Tunnel Richtung Staumauer. Damit waren sie an jenem sonnigen Herbsttag in guter Gemeinschaft. Viele waren unterwegs, auch als Passanten in der engen Röhre.

In der rund 220 Meter langen Röhre genießen viele Biker und Autofahrer den Sound ihrer Motoren. Ob auch die fünf Opelfahrer mit Hilfe des Gaspedals besagte Soundkonzerte aufführen wollten, war eine der Kernfragen vor dem Amtsgericht Wernigerode. Zwar berichteten Zeugen, die damals zu Fuß im Tunnel unterwegs waren, von Lärm, hochdrehenden Motoren und durchdrehenden Reifen. Dass dies aber bewusst herbeigeführt werden sollte, blieb unbewiesen.

Für den Angeklagten, der als letzter in der Kolonne der fünf herausgeputzten Opel-Oldtimer fuhr, und das Opfer endete die Tunnelfahrt in einer Tragödie. Der 30-Jährige beschleunigte am Tunneleingang so stark, dass sein heckgetriebener Opel Ascona ausbrach und auf den Fußweg schleuderte. Während es mehreren Fußgängern gelang, zur Seite zu springen, wurde das 34 Jahre alte Opfer vom Auto erfasst. Die Frau erlitt schwerste Beinverletzungen. Bis heute, so das Opfer, das mit Gehhilfe vor Gericht erschien, seien zahlreiche Operationen nötig gewesen.

Der Angeklagte beteuerte, an der Tunneleinfahrt normal beschleunigt und dabei die Gewalt über sein Fahrzeug verloren zu haben. Doch was ist normal bei einem Opel Ascona, der weniger als eine Tonne wiegt, mit einem 150-PS-Motor bestückt ist und der obendrein einen Überrollbügel besitzt?

Entlastung erfuhr der Angeklagte von den Sachverständigen. Sie berechneten anhand von Video-Sequenzen das Tempo des Unfallwagens auf 60 bis 66 Kilometer pro Stunde und attestierten einen mängelfreien Zustand. Obendrein schlossen sie bewusste Fahrmanöver aus.

Das Auto sei aufgrund zu starker Beschleunigung auf feuchter Fahrbahn wohl ins Schleudern und so außer Kontrolle geraten. Was mit den Reifen womöglich noch verstärkt wurde: Am getunten und tiefergelegten Opel seien Pneus mit eher schlechtem Nassverhalten montiert gewesen, hieß es.

Letztlich sah der Staatsanwalt „nur“ fahrlässige Körperverletzung bewiesen. Das Gericht folgte seinem Antrag und verurteilte den 30-Jährigen zu 50 Tagessätzen à 50 Euro und Übernahme der Verfahrens-kosten. Die Nebenklage, die Freiheitsstrafe und Führerschein-Entzug forderte, konnte sich nicht durchsetzen. „Wir haben es hier mit einem tragischen Geschehen wegen unangepasster Geschwindigkeit zu tun“, so die Richterin beim Urteilsspruch.

Jenes höchst tragische Unglück blieb vor Ort jedoch nicht ohne Konsequenzen: Kritiker, die schon lange bauliche Lösungen und Schikanen zur wirksamen Temporeduzierung am und im Rappbode-Tunnel gefordert hatten, fanden nun Gehör. Vor dem Start der Biker-Saison wurden im April 2015 beiderseits der Tunneleinfahrten Rüttelstreifen installiert.

Diese haben aus Sicht des Harzer Polizeisprechers Uwe Becker bislang zu einer deutlichen Beruhigung beigetragen. Forderungen nach weiteren baulichen Schritten sind vorerst verstummt. Für die Polizei bleibt der Rappbode-Tunnel aber aktuell: Trotz der Rüttelstreifen hat die enge Röhre nichts von ihrer Anziehungskraft für Biker verloren.