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AfD Lucke rechnet mit seiner alten Partei ab

Im Volksstimme-Interview spricht Bernd Lucke über "dumpfen Rechtsnationalismus" in der AfD und kritisiert Petry und Poggenburg scharf.

03.03.2016, 23:01

Herr Lucke, was geht in Ihnen vor, wenn Sie sehen, dass die AfD bundesweit in Umfragen bei rund 10 Prozent steht, in Sachsen-Anhalt gar bei 17 Prozent?

Bernd Lucke: Ich bin nicht in die Politik gegangen, um mit egal welchen Methoden bestimmte Prozentwerte zu erreichen, sondern um ganz bestimmte politische Ziele zu verfolgen. Und da sich meine politischen Ziele mit denen der AfD nicht mehr decken, habe ich mit Alfa eine neue Partei gegründet.

Haben Sie für sich einmal darüber nachgedacht, welche Dinge Sie hätten anders machen müssen?

Natürlich frage ich mich manchmal, ob ich diese Entwicklung der AfD hätte verhindern können. Aber ich fürchte, Sie überschätzen da den Einfluss des Vorsitzenden auf eine Partei, die ihre Entscheidungen demokratisch fällt. Im Laufe der Zeit sind bei der AfD immer mehr Mitglieder eingetreten, die mit dem eigentlichen Gründungsgedanken, der Euro-Kritik, herzlich wenig am Hut hatten und die andere Inhalte in die Partei hineingetragen haben, weil sie dachten, die Partei sei eine Alternative für alles Mögliche.

Und nicht zuletzt haben die ständigen Rechts-Verdächtigungen diese Entwicklung noch verstärkt. Die bürgerliche Klientel ist in immer geringerem Maße der Partei beigetreten, stattdessen kamen Leute, denen es nichts ausmacht, wenn man sie als stramm rechts bezeichnet.

Hätten Sie härter gegen Rechtsextreme vorgehen müssen?

Rechtsextremisten waren nicht das Problem. Die gibt es in der AfD selbst heute kaum. Nicht im Sinne von gewaltbereiten Antidemokraten. Das Problem ist ein dumpfer Rechtsnationalismus, verdeckte Fremdenfeindlichkeit, Verschwörungshypothesen. Das ist viel schwieriger zu entdecken. Ich hatte für alle Kreisverbände Leitlinien zur Mitgliederaufnahme geschrieben, habe darauf hingewiesen, dass Aufnahmegespräche geführt und sensible Bereiche abgefragt werden müssen. Aber das ist oft einfach nicht gemacht worden.

Einerseits, weil die AfD Wahlkämpfe bestreiten musste. Da waren die Kreisverbände froh, wenn Leute dazu kamen, die mithelfen wollten. Andererseits, weil die Leute, die da kommen, ja auch kein Etikett tragen, das sie als Rechtpopulisten outet. Die sind erstmal vorsichtig und halten sich mit bizarren Ansichten zurück. So hat man oft zu spät festgestellt, was für Leute in die Partei eingetreten sind. Bei der AfD in Sachsen-Anhalt gab es einige besonders schlimme Fälle und in Magdeburg hatte sich wohl sogar kriminelles Milieu im AfD-Kreisverband eingenistet.

Aber warum hat die AfD solche Leute angezogen?

Das kann ich Ihnen sagen, das ist eine Lektion, die ich gelernt habe: Es gibt sehr viele Menschen, die irgendwie beruflich gescheitert sind und deshalb eine Wut auf alles Mögliche haben. Die wollen dann eine neue Partei wie die AfD als Sprachrohr ihrer Wut nutzen und zugleich als berufliches Sprungbrett. Sie denken, da können sie noch mal was werden. Und gerade die Leute haben auch viel Zeit, gerade weil sie beruflich gescheitert sind. Diese Zeit stecken sie dann mit voller Energie da rein und versuchen, irgendwie hochzukommen. Und manchen gelingt das dann auch.

Das eine ist die Basis. Das andere ist die Parteispitze. Ärgern Sie sich nicht heute auch über Parteichefin Frauke Petry oder Sachsen-Anhalts AfD-Landeschef André Poggenburg? Den haben Sie einst ja mal als guten Mann bezeichnet.

André Poggenburg hat ja auch erst nach gewisser Zeit gezeigt, wo er politisch steht. Er gehört zu den Leuten, die am Anfang ihre Meinung noch hinterm Berg gehalten haben und erst später Position bezogen. Poggenburg ist allerdings nur ein kleines Licht, ein Mitläufer von Björn Höcke, dem Thüringer AfD-Landeschef. Bestürzt war ich vor allem über Vorstandskollegen, die sich im Laufe der Zeit radikalisiert haben: Frauke Petry, Marcus Pretzell, Alexander Gauland. Das sind Leute, die sich von der Basis treiben lassen. So lange die Basis bürgerlich-liberal-konservativ war, taten sie auch so.

Aber in dem Maße, in dem sich die Basis radikalisierte, nahmen sie diese Stimmungen auf. Insbesondere die Leute, die außerhalb der Partei keine berufliche Perspektive hatten. Pretzell, Petry, Poggenburg haben doch alle große finanzielle Schwierigkeiten - man hört von Pleiten, Privatinsolvenzen und sogar Haftbefehlen. Sie müssen in der AfD an der Macht bleiben, um wirtschaftlich die Nase über Wasser halten zu können. Und deshalb reden sie der Basis nach dem Mund.

Sie haben Frauke Petry angesprochen. Wie schätzen Sie Frau Petry als Person ein?

Vordergründig ist sie sehr gewinnend, intelligent, manchmal auch charmant. Über andere Wesenszüge will ich öffentlich nicht reden.

Was ist das nun für ein Gefühl, wenn man weiß, man ist und bleibt der Gründer einer solchen Partei?

Die Parteigründung selbst und die Anfangsphase der AfD ist etwas, auf das ich stolz bin. Ich glaube, es ist notwendig, dass in einer Demokratie ab und zu mal neue Parteien gegründet werden. Und ich denke, ich habe alles mir Mögliche getan, um die Partei auf dem Kurs zu halten, auf dem sie eigentlich sein sollte. Man hat mich deshalb in der AfD sogar als Autokraten beschimpft. Aber eine Partei muss demokratisch sein, und wenn andere kommen, können sie die Suppe versalzen, sobald sie die Mehrheit haben. Mich schmerzt es natürlich, dass die Partei so für ganz andere politische Ziele missbraucht wurde.

Sie haben nun die Allianz für Fortschritt und Aufbruch gegründet, wofür will die Partei in Zukunft stehen?

Wir haben in Deutschland eine ganze Reihe von mittel- und langfristigen Problemen, die von den etablierten Parteien bagatellisiert oder schöngeredet werden. Erstens die Euro-Krise, die alles andere als tot ist. Man kann das an den Negativzinsen und an den Schwierigkeiten der Banken sehen. Oder daran, dass die Arbeitslosigkeit in südeuropäischen Ländern hoch bleibt und dass der Euro-Raum so schlecht wächst wie kein anderer der großen Wirtschaftsräume.

Zweitens laufen wir auf eine große Rentenkrise zu, weil in 20 bis 30 Jahren fast die Hälfte der Rentner an oder unterhalb der Armutsgrenze leben wird. Kein Mensch spricht mehr über diese Problematik und das kann doch eigentlich gar nicht sein.

Was mir auch große Sorgen macht, ist die Bildungspolitik. Die Studierfähigkeit der Studenten nimmt kontinuierlich ab, wir müssen viel mehr tun, um vom Pauk-Studium wegzukommen und selbstständiges Denken zu fördern. Die Hauptschule ist ruiniert worden, und bei Realschulen oder Oberschulen geschieht derzeit dasselbe. Viele Betriebe klagen darüber, dass die Lehrlinge einfache Grundfertigkeiten nicht mehr haben. Was soll aus Deutschland werden, wenn das so weiter geht?

Wo ordnet sich Alfa im politischen Spektrum ein?

Überwiegend sozialstaatlich und liberal-konservativ. Wir bejahen ausdrücklich den Sozialstaat und die soziale Marktwirtschaft. Wir schlagen zum Beispiel einen nationalen Rentensicherungsfonds vor, den wir aus Steuermitteln ansparen wollen. Die FDP würde bei so einem Vorschlag im Sechseck springen, aber wir denken, dass das die soziale Aufgabe des Staates zur Absicherung von Geringverdienern oder erziehenden Müttern und Vätern ist.

Und auch unsere Politik in der Flüchtlingskrise sehen wir als eine Verteidigung des Sozialstaates. Wenn wir ihn verteidigen wollen, dann müssen wir auch unsere Grenzen kontrollieren. Deshalb haben wir uns für atmende Obergrenzen ausgesprochen. Jede Kommune soll selbst festlegen, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen kann – vor dem Hintergrund verfügbaren Wohnraums, Arbeitsplätzen, Schulen und sozialen Problemen. Das können nur die Komunen selbst einschätzen. Und die Summe der komunalen Entscheidungen ist dann Deutschlands Obergrenze.

Wie weit sind Sie inzwischen mit dem Aufbau ihrer Partei gekommen?

Wir haben letzte Woche unser ausführliches Parteiprogramm beschlossen und damit unsere Gründung vollendet. Denn wir sind jetzt organisatorisch flächendeckend aufgestellt und wir haben klare politische Ziele beschlossen. Darauf sind wir sehr stolz, denn die AfD hat bis heute noch kein Parteiprogramm.

In Umfragen taucht Alfa nicht auf. Kommen die Landtagswahlen für Sie zu früh?

Natürlich kommen sie für uns etwas zu früh, es wäre besser gewesen, wenn wir ein Jahr Vorlauf gehabt hätten. Der Bekanntheitsgrad von Alfa ist noch unzureichend, auf der anderen Seite ist ein Wahlkampf auch eine willkommene Gelegenheit, sich bekannt zu machen. Irgendwann muss man halt ins kalte Wasser springen.

Welche Wahlen werden aus Ihrer Sicht über die Zukunft von Alfa entscheiden?

Wir möchten natürlich gerne in den Bundestag kommen. Viele Leute suchen ja eine wählbare Partei, weil sie kein Vertrauen zu den Altparteien haben und die AfD weit nach rechts abgedriftet ist. Wie erfolgreich wir sein werden, wird stark von der politischen Entwicklung abhängen, die wir nicht in der Hand haben. Die enorme Dominanz der Flüchtlingskrise in den letzten Monaten war für uns natürlich nicht hilfreich. Denn einerseits wollen wir keine Stimmung gegen Flüchtlinge machen, andererseits ist für andere Themen praktisch keine Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Ich hoffe aber sehr, sowohl im Interesse unseres Landes als auch im Interesse von Alfa, dass der Zustrom von Flüchtlingen bald beendet ist. Die nächste große Herausforderung ist dann die Integration, und das ist ein wirtschafts- und sozialpolitisches Thema, wo Alfa besonders hohe Kompetenz mitbringt.