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Kernfusion Burger sperren die Sonne ein

Der Fusionsreaktor Iter ist das weltgrößte Forschungsprojekt. Auch ein Unternehmen aus Sachsen-Anhalt arbeitet daran mit.

06.04.2016, 23:01

Burg l Die Kernfusion ist ein alter Traum von Physikern. In Sachsen-Anhalt beginnt dieser Traum in einer großen Kammer auf dem Firmengelände eines Unternehmens in Burg (Jerichower Land). In den kommenden drei Jahren sollen bei Pro-Beam Bauteile für einen Kernfusionsreaktor geschweißt werden, der im südfranzösischen Cadarache entsteht. Im Februar haben Mitarbeiter mit den Schweißarbeiten am ersten von insgesamt sieben Bauteilen, die in Burg bearbeitet werden, begonnen. „Zwei Meter Schweißnaht haben wir geschafft, rund vier Kilometer liegen noch vor uns“, erzählt Ingenieur Rudolf Konya, der bei Pro-Beam das Projekt leitet. Es ist eine Mammutaufgabe, die so groß ist wie die Vision des Gesamtprojektes selbst.

International Thermonuclear Experimental Reactor (Iter) heißt die Maschine, an der Wissenschaftler und Ingenieure weltweit bauen. Wenn der Reaktor fertig ist, wollen die Forscher demonstrieren, dass eine Energiegewinnung wie auf der Sonne durch die kontrollierte Verschmelzung der Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium zu Helium technisch machbar ist. Bei der Reaktion wird Energie freigesetzt, die ähnlich wie bei der Kernspaltung eingesammelt und in Strom umgewandelt werden kann. Saubere, sichere und fast unbegrenzt vorhandene Energie entsteht. Das ist zumindest die große Hoffnung der Wissenschaftler.

Doch die Umsetzung des Prinzips ist eine Herkulesaufgabe, an der schon seit Jahrzehnten getüftelt wird. Denn die beiden positiv geladenen Wasserstoffkerne fusionieren nicht freiwillig, sondern stoßen sich eigentlich ab. Überwinden lassen sich diese Kräfte nur mit immensen Temperaturen. Das Innere des Reaktors soll deshalb auf mehr als 100 Millionen Grad Celsius aufgeheizt werden – ein Test für jedes Material. „Die Wärmeisolation ist die größte Herausforderung“, sagt Hartmut Zohm, der seit den Achtzigerjahren über Kernfusion forscht und derzeit am Münchner Max-Planck-Institut für Plasmaphysik arbeitet. „Verhältnisse wie im Inneren der Sonnen auf der Erde zu schaffen, ist eben nicht ganz so einfach“, sagt der 53-Jährige. Während der Fusion müssen die Forscher sicherstellen, dass das Plasma zu keiner Zeit mit den Wänden des Reaktors in Berührung kommt. Mit einem magnetischen Käfig soll das gelingen. Im Inneren des Reaktors, der die Form eines Donuts hat, sollen die Teilchen dann ihre Bahnen ziehen.

„Das ist das Herz der Anlage“, sagt Rudolf Konya stolz. Bei Pro-Beam in Burg werden die Einzelteile, in denen später das Plasma schwimmen soll, verschweißt. Das Unternehmen, in München gegründet, verdient seit 1974 mit dem Elektronenstrahlschweißen sein Geld. Seit dem Jahr 2003 sitzt das Unternehmen auch in Burg. Rund 80 Mitarbeiter arbeiten am Standort. Der Mittelständler hat sich auf die Arbeit mit dem Elektronenstrahl spezialisiert, entwickelt nicht nur eigene Maschinen, sondern produziert auch Bauteile für verschiedene Kunden aus der Industrie. Eine Expertise, die Pro-Beam den Auftrag für das Iter-Projekt gesichert hat. „Elektronenstrahlschweißen zeichnet sich durch sehr schlanke und tiefe Nähte aus“, erklärt Klaus Oude Hengel, der seit März des vergangenen Jahres den Pro-Beam-Standort in Burg leitet. „So wird wenig Wärme eingebracht und das Bauteil verzieht sich kaum“, sagt der 54-jährige Ingenieur.

Während des Schweißens beschleunigen die Elektronen auf bis zu 200 000 Kilometer pro Sekunde. In der Großkammer bei Pro-Beam wird dafür ein Vakuum erzeugt. Dann werden die rund 50 Tonnen schweren Bauteile bearbeitet. „Die Großkammer ist die Voraussetzung dafür, dass Pro-Beam den Iter-Auftrag ausführen kann“, sagt Oude Hengel. Die Arbeit an den Bauteilen will Pro-Beam bis 2019 abschließen. Ob das gelingt, hängt aber auch davon ab, wie sich das Gesamtprojekt entwickelt.

Iter ist ein gemeinsames Vorhaben von Europa, Russland, der Volksrepublik China, Südkorea, Japan, Indien und den Vereinigten Staaten von Amerika. In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Unstimmigkeiten gegeben. Denn die Partner überweisen nicht einfach nur das Geld. Sie wollen selbst bauen und das Wissen um die Technologie, vor allem aber die Aufträge in ihre eigenen Länder holen. Das macht das Projekt kompliziert. Zudem sind die Kosten in den vergangenen Jahren explodiert. Hartmut Zohm, der mit seinem Institut für Deutschland an Iter beteiligt ist, sagt: „Ich rechne mit Gesamtkosten von rund 20 Milliarden Euro“. Ursprünglich ist von etwa fünf Milliarden Euro ausgegangen worden. Nicht nur die Finanzen sind aus dem Ruder gelaufen – auch hinter dem Zeitplan hinkt das Projekt deutlich hinterher. Zohm schätzt, dass 2026 mit den ersten Experimenten begonnen werden kann – sechs Jahre später als zuletzt geplant.

Ein neuer Chef soll das Projekt nun sicher in den Hafen steuern. Der Franzose Bernard Bigot ist seit März 2015 am Iter-Ruder. Offenbar mit Erfolg, sagt Wissenschaftler Zohm, der zuletzt im Dezember in Cadarache vor Ort war: „Nach dem Wechsel im Management bin ich zuversichtlich, dass Iter in dem Zeit- und Kostenrahmen fertig wird.“

Wenn das lange Warten auf die Zündung ein Ende hat, kann Iter die Antwort auf die Energieprobleme in der Welt sein. Denn ein Kernfusionskraftwerk könnte rund um die Uhr und unabhängig vom Wetter arbeiten. „Der Trend bei der Energieversorgung geht dahin, viele Energiequellen nebeneinander zu verwenden. In diesem Mix würde die Fusionsenergie eine Grundlastquelle sein – so wie heute Kohle- oder Kernkraftwerke“, erklärt Hartmut Zohm. Frühestens 2050 rechnen Forscher mit kommerziell nutzbaren Kernfusionskraftwerken. Der Weg dahin (lateinisch: iter) wird ein weiter sein.