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Interview Nathusius: „Fahrrad hat große Zukunft“

Der Mifa-Chef erklärt, warum der Neubau des Werks in Sangerhausen der letzte Baustein bei der Sanierung des Fahrradbauers ist.

07.04.2016, 23:01

Sangerhausen l Dienstagnachmittag in dieser Woche: Heinrich von Nathusius steht auf brauner Erde. Die Sonne scheint. Über das Stück Land, auf dem in den kommenden Monaten die Zukunft des Fahrradherstellers Mifa entstehen wird, weht ein laues Lüftchen. Von Nathusius blickt über das Gelände. Hier an der Autobahn 38 in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) arbeiten Bagger und Planierraupen an der neuen Produktionsstätte seines Unternehmens.

Volksstimme: 16,9 Millionen Euro wird Mifa das neue Werk kosten. Warum wird sich diese Investition lohnen?

Heinrich von Nathusius: Im neuen Mifa-Werk wird nach automobilen Standards gefertigt werden. Wir werden produktiv und qualitativ nach diesen Standards arbeiten. Kurze Wege werden uns Vorteile in der Logistik bringen. Das wird die Kosten drücken. Bis Ende dieses Jahres werden wir mit der Fertigung umziehen. Künftig wollen wir Fahrräder bauen, die einen hohen Qualitätsstandard haben, aber nicht teurer in der Fertigung sind als in China oder anderen Billiglohn-Ländern.

Sind die asiatischen Fahrradbauer für Sie die größten Konkurrenten?

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland rund vier Millionen Fahrräder verkauft worden. Drei Millionen Stück kamen davon direkt oder indirekt aus dem Ausland, vor allem aus China, Kambodscha und Bangladesch. Nur eine Million ist von deutschen Herstellern gefertigt worden. Das sollte langfristig geändert werden. Wir müssen in Europa das kostengünstigste Werk werden. Dann kommen die Kunden zu uns.

Auch, wenn Sie bei einem asiatischen Produzenten günstiger kaufen könnten?

Ich will die asiatischen Hersteller nicht unterbieten. Aber ein deutscher Kunde wird bei der Mifa-Bike kaufen, wenn der Preis der gleiche ist wie bei der asiatischen Konkurrenz. Auch 10, 15 Prozent Preisaufschlag wird er uns einräumen, wenn er weiß, dass das Fahrrad „Made in Germany“ ist und die Liefertermine deutlich kürzer sind.

Warum sind Sie davon überzeugt, dass Menschen auch künftig Fahrrad fahren werden?

Das Fahrrad hat eine große Zukunft. Es wird als Verkehrsmittel immer mehr in die urbane Mobilität hereinwachsen. Verkehrsteilnehmer in Städten wie Berlin, Magdeburg oder Leipzig müssen zwangsläufig immer mehr auf das Fahrrad umsteigen, weil der Platz nicht da ist. Das Fahrrad wird in Zukunft nicht nur im Sommer gebraucht, sondern ein normales Verkehrsmittel werden.

Will Mifa künftig auch individuelle Kundenwünsche berücksichtigen?

In Zukunft kann der Kunde im Internet sein eigenes Rad konfigurieren, wir werden es bauen und dann liefern. Bei Mifa werden wir das ab dem kommenden Jahr anbieten. Das wird der Vertrieb der Zukunft sein. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wird es im neuen Werk zehn Fertigungslinien geben. Die Fließbandarbeit der Beschäftigten wird sich auflockern, weil die Stückzahlen pro Position künftig bei 20 bis 25 Stück und nicht bei 2000 liegen werden.

In den vergangenen Jahren haben aber gerade Großaufträge wie von Aldi für Einnahmen gesorgt.

Das soll auch weiterhin unser Ziel sein. Aber auch Aldi wird nach meiner Vorstellung künftig Räder verstärkt über das Internet verkaufen. Die Zeiten, in denen sich ein Discounter große Stückzahlen in die Filialen liefern lässt und dann innerhalb von 14 Tagen verkauft, werden vorbei sein.

Im neuen Werk wollen wir zwischen 600 000 und 700 000 Fahrräder im Jahr produzieren. Für den Markt müssen wir selbst sorgen. Da spielen auch Fremdmarken wie Peugeot eine Rolle. Mit unseren Großkunden werden wir auch weiterhin sehr eng zusammenarbeiten. Aber die Vertriebswege werden sich verändern. Wir müssen uns heute schon darauf einstellen. Es macht keinen Sinn, darauf zu warten.

Im vergangenen Jahr war Mifa als einziger Fahrradhersteller auf der Internationalen Automobilausstellung IAA in Frankfurt. Warum?

Ich möchte mich auf die Automobilindustrie als Kunden konzentrieren. Ein Beispiel: Wir entwickeln derzeit ein Rad mit einem sehr einfachen Klappmechanismus. Das muss so leicht zusammengeklappt werden können, dass es hinterher in die Kofferraummulde eines Autos passt. Ich möchte das Rad als ein Zubehörteil für die Automobilindustrie erschaffen.

Für Ihren neuen Standort wollen Sie auch den einen oder anderen Zulieferer begeistern. Warum?

Mein Wunsch ist, dass sich auf der Fläche neben unserem Neubau Unternehmen ansiedeln, die wesentliche Teile für uns produzieren. Mit der Firma Büchel aus Fulda, die für uns unter anderem Felgen herstellt, hat bereits ein großer Zulieferer seine Bereitschaft dazu signalisiert. Durch die direkte Nachbarschaft zu uns können sich die Firmen eine Grundauslastung schaffen. Unser Standort mitten in Deutschland ermöglicht aber auch die frachtgünstige Lieferung an andere Kunden.

Ende des Jahres 2014 haben Sie Mifa gekauft. Haben Sie erwartet, dass die Rettung des Unternehmens ein derart langer Prozess wird?

Das habe ich so nicht erwartet. Aber so ist es, wenn man eine Firma übernimmt, die insolvent ist. Da können Sie nicht so weitermachen wie bisher, sondern müssen neue Wege gehen. Und das kostet natürlich Geld. Die Gesellschafter haben bislang zwischen 10 und 15 Millionen Euro investiert. Dazu kommt der Neubau.

Wann wird Mifa profitabel?

Ich rechne damit, dass wir schon im laufenden Geschäftsjahr, das Ende September endet, eine schwarze Null haben und mit dem Neubau in den folgenden Jahren profitabler sein werden.

Mifa hat derzeit rund 500 festangestellte Mitarbeiter und 200 Leiharbeiter. Planen Sie mit diesem Personal die Mifa-Zukunft?

Wir werden Personal abbauen. Denn eine höhere Produktivität werden wir nur durch die Reduzierung von Arbeitsplätzen erreichen. Über Zahlen kann man heute noch nicht sprechen. Die hängen von der Auftragssituation ab.

Sie haben mehr als ein halbes Jahr nach einem Standort gesucht und um eine Baugenehmigung gekämpft. Wie fühlt es sich für Sie an, hier zu stehen?

Das ist ein gutes Gefühl und es freut mich sehr. Die Stadt Sangerhausen hat sich – nachdem wir eine schwierige Startphase hatten – sehr bemüht.

Feldhamster hätten den Bau des neuen Mifa-Werks fast verhindert.

Die Stadt hat letztendlich einer sehr aufwändigen und teuren Lösung zustimmen müssen. Wenn die Stadt nicht zugestimmt hätte, hätten wir keine Baugenehmigung bekommen und die Mifa-Bike wäre an einen anderen Standort gegangen.

Sangerhausen muss für rund 750 000 Euro unter anderem im Zoo Halle eine Zuchtstation für die Tiere bauen. Haben Sie für den Schutz der Hamster Verständnis?

Der Hamster ist eine bedrohte, eine aussterbende Tierart. Ich habe viel Verständnis dafür, da ich selbst sehr naturschutznah lebe. Hier auf dem Gelände sind allerdings bislang nur zwei männliche Hamster gefunden worden. Das wären also auch nicht mehr geworden. Nachdem sich jetzt herausgestellt hat, dass sich auf unserem Gelände keine Hamsterpopulation befindet, ist es unzumutbar, dass die Stadt einen Millionenbetrag aus Steuergeldern zahlt – wir werden die Stadt dabei unterstützen, diese Zahlungen zu vermeiden.

Wie oft besuchen Sie die Baustelle?

Ich bin mindestens einmal am Tag hier. Heute Morgen hatten wir Baubesprechung – so wie jeden Dienstag. In der Schnelligkeit, in der wir fertig sein wollen, dürfen wir als Auftraggeber keine Verzögerung reinbringen.