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Redaktionsbesuch Abrafaxe auf mitteldeutschen Spuren

Die Abrafaxe treiben sich im Mansfelder Land herum und in Jeßnitz. Comic aus Sachsen-Anhalt vor 500 Jahren. Ein Besuch bei den Zeichnern.

Von Oliver Schlicht 14.04.2016, 01:01

Berlin l Das Licht fällt hell durch die Doppelfenster der alten Vorkriegsvilla im Berliner Bezirk Charlottenburg. Draußen zwitschern die Vögel in den Parkbäumen. Vielleicht war der große Raum früher einmal das herrschaftliche Wohnzimmer einer wohlhabenden Familie. Heute werden hier die Abrafaxe-Comics gezeichnet.

Von Hand, ganz traditionell, mit Stiften, die hauchdünn und flüsterleise über Papierbögen streichen, die auf angeschrägten Holzplatten befestigt sind. So wie bei Andreas Schulze. Er ist der Mann für die Hintergründe, für die Wimmelbilder der Zeitepochen, durch die das Kobold-Trio reist. Jetzt bringt er gerade eine Wittenberger Schlossimpression aufs Papier. Eine Straße, alte Mauern, mehr ist noch nicht zu erkennen.

Neben dem Zeichner liegt ein großes Schlossbild als Vorlage, auf seinen Ohren sitzen große Kopfhörer. Was hört er da? „Hörspiele, Lesungen, ganz unterschiedlich. Das geht aber erst, wenn ich bei der Feinarbeit bin“, erzählt Schulze. Da krabbelt ein Marienkäferchen, dort lümmelt ein Hund. Von der Wand bröckelt der Putz. Liebevolle Comicgemälde sind das, deren Charme sich das Mosaik in Jahrzehnten bewahrt hat. Schulze haucht dem Mosaik Leben ein. Das Alltagsleben der Zeitepochen, in denen die Abenteuer der Abrafaxe spielen.

Die waren schon im alten Rom, bei Don Quijote in Spanien und in China. Und nun sind sie in Mitteldeutschland. Spätmittelalter, Luthers Zeit. Jeder Zeitsprung im Heft wird akribisch vorbereitet, damit die Fakten – vom Wagenrad bis zur Vogelpfeife – stimmen.

Im Mittelteil der Hefte werden auf unterhaltsame Weise Begriffe wie „Ablass“ und „Reliquien“ erklärt. Lehrreich ist das auch für Erwachsene. 45 Prozent aller gekauften Hefte werden nicht nur von den Kindern, sondern von der kompletten Familie gelesen, ergab vor zwei Jahren eine Umfrage des Mosaik-Verlages.

22 Mitarbeiter hat die Redaktion – Autoren, Assistenten und acht Zeichner. „In der Regel arbeitet das Team gerade an Heften, die drei bis vier Monate später erscheinen sollen“, erklärt Klaus D. Schleiter, Geschäftsführer des Verlages „Steinchen für Steinchen“. Am Anfang jedes Abrafaxe-Comics entwirft Chefautor Jens-Uwe Schubert mit seinen Mitarbeitern grob einen zeichnerischen Fahrplan durch die Story. Die Zeichnungen selbst werden dann ganz traditionell von Hand ausgeführt. Lediglich die Kolorierung der Bilder übernimmt am Ende ein Computer.

Großer Wert wird auf die Unterschiedlichkeit der einzelnen Figuren gelegt. „Beginnt im Heft ein neuer Zyklus, werden die handelnden Figuren von den Zeichnern nicht nur entworfen, sondern auch von ihnen bis zum Ende des Zyklus ausgeführt“, so der Geschäftsführer. So bekommen die Mägde, Lehrlinge und Pastoren durch die Handschrift der Zeichner einen eigenen Stil und unverwechselbares Aussehen. Nur die drei Abrafaxe-Kobolde bleiben dem Hauptzeichner Thomas Schiewer vorbehalten. Schleiter zeigt auf aktuelle Zeichnungen, auf denen nur die Abrafaxe-Figuren fehlen. „Schiewer ist gerade im Urlaub. Die Zeichnungen werden fertig ausgeführt, wenn er wiederkommt.“

Zwölf Figuren bilden das Hauptensemble der aktuellen Mitteldeutschlandgeschichte. Natürlich Luther und Melanchthon. Da ist auch die schöne, lebenslustige Katharina von Krahwinckel, die nach ihrem 15. Geburtstag ins Kloster soll. Johann Tetzel, der dicke Ablass-Eintreiber, und der smarte Held, Michael Drachstädt, der – wie auch Luther – aus einer Bergmannsfamilie kommt.

Zeichner Andreas Pasda arbeitet auf seinem Papierbogen gerade an einem dicken Kerl. Wer ist das denn? „Das ist der Maler Lucas Cranach. Er sieht mir etwas ähnlich, aber das ist häufig bei Zeichnern und ihren Figuren so“, erzählt Pasda schmunzelnd. Zu seiner Ehrrettung sei gesagt: Der Mann ist nur halb so dick wie Meister Cranach. Wobei: Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass Zeichner Ulrich Nitzsche zwei Arbeitstische weiter tatsächlich seiner Figur nicht ganz unähnlich ist: Er zeichnet einen dünnen adligen Gockel mit dem klangvollen Namen Adrian Franz Philipp Theodor Otto Heinrich Günther von Schwarzburg. Nitzsche quittiert den Vergleich höflich lächelnd. Die Reise nach Mitteldeutschland im Mosaikheft scheint angesichts des Reformationsjubiläums 2017 nicht ganz zufällig.

„Es gab Anfragen aus dem Magdeburger Kultusministerium nach einem Sonderheft. Doch das schien uns für den Stoff nicht ausreichend. Wir haben uns deshalb entschlossen, eine eigene Serie zu entwerfen.“ Über das Kultusministerium und die Geschäftsststelle „Luther 2017“ in Wittenberg habe die Redaktion wertvollen Zugang zu Archiven und Historikern bekommen. „Das hat uns bei der Umsetzung sehr geholfen.“

Wohin sich die mitteldeutsche Abrafaxe-Geschichte in den nächsten Monaten entwickeln wird, will der Verlagschef nicht verraten. „Das Leben von Martin Luther wird nicht im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Und es geht uns auch nicht darum, ihn zu glorifizieren. Wir enthalten uns da bewusst einer Wertung.“

Und was wird Thema sein im mitteldeutschen Mosaik? „Unsere Spurensuche hat viele schöne Episoden hervorgebracht. Über die Werkstattarbeit bei Familie Cranach, die Schweinehaltung in Wittenberg, die Angst der Mädchen vorm Kloster, um nur einige Beispiele zu nennen.“ Schweine in Wittenberg? „Da gibt es eine Überlieferung zu Schweinen, die zur Küchenabfallbeseitigung durch die Gassen von Wittenberg getrieben wurden“, erzählt der Verlagschef.

Die Orte des Geschehens im spätmittelalterlichen Sachsen-Anhalt sind keineswegs auf Wittenberg beschränkt. Schleiter macht sogar Hoffnung auf eine Stippvisite in der heutigen Landeshauptstadt: „Auch in Magdeburg werden wir vorbeikommen.“ Was genau dort passieren wird, verrät er nicht. Nur in einer Angelegenheit macht er schmunzelnd eine vage Andeutung. „Die Sache mit dem Thesenanschlag könnte sich auch ganz anders zugetragen haben.“

Ander als erwartet geht auch der Redaktionsbesuch zu Ende, pünktlich um 11 Uhr. Plötzlich sind die Interviews zu Ende, keine Fotos mehr. Alle Zeichner legen ihre Stifte weg. Der Grund: Gleich beginnt die wöchentliche Gymnastikstunde. Im großen Treppenhaus der alten Villa in Charlottenburg. Und wenn es warm ist, gern auch draußen im Garten. Manchmal machen sie dann auch Yoga.

Die erste Ausgabe des Mosaiks erschien am 23. Dezember 1955. Es war das beliebteste Comic der DDR. Drei durch die Zeit reisende Kobolde – damals die Digedags – erleben Abenteuer rund um den Globus in verschiedenen Epochen. Von Beginn an wurde auch Wissen zum jeweiligen Zeitgeschehen vermittelt. 1975 kündigte der geistige Vater der Digedags, der Zeichner Hannes Hegen (1925–2014), seinen Vertrag mit dem DDR-Verlag Junge Welt – aus finanziellen Gründen. Der langjährige Mosaik-Autor Lothar Dräger erfand gemeinsam mit der Zeichnerin Lona Rietschel die Abrafaxe, die bis heute die Abenteuergeschichten fortschreiben.

Die Abrafaxe bestehen aus Abrax, Brabax und Califax. Die Comicreihe feierte im Januar ihr 40-jähriges Bestehen. Das Heft erscheint monatlich im Verlag „Steinchen für Steinchen". Druckauflage: 110 000. Seit 2008 gibt es in einer eigenen Mosaikreihe auch Anna, Bella und Caramella – drei Kobold-Mädchen. Dieses Heft erscheint alle drei Monate. Auflage: 40 000. Ein Drittel aller Mosaik-Leser lebt nach Verlagsangaben in Westdeutschland.

Auch ins Ausland wurde und wird das Mosaik verkauft. Schon die DDR verdiente mit dem weitgehend unpolitischen Comic Devisen in den Niederlanden, Österreich und Finnland. Verschiedene Abenteuer-Reihen der Hefte erscheinen heute in Ländern wie Griechenland, Ägypten, Indien, Südkorea und China. Die Abfrafaxe haben schon Abenteuer auf der ganzen Welt und zu unterschiedlichen Zeiten erlebt. In Mitteldeutschland sind die drei Kobolde seit dem März-Heft dieses Jahres unterwegs – bis Ende 2017. Hintergrund ist das Luther-Jubiläumsjahr.

Die Story: Der Bergmannssohn Michael aus dem Mansfelder Land will bei Maler Lucas Cranach in Wittenberg in die Lehre gehen. Im Aprilheft hat er sich auf den Weg nach Wittenberg gemacht. Reformator Luther ist bislang noch nicht aufgetreten.