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Bundesparteitag Linke denkt neu über Religion nach

Der islamfeindliche Kurs der AfD bringt die Linke ins Grübeln, wie sie mit Religion umgehen soll. Aus Dresden kommt ein radikaler Vorschlag.

Von Hagen Eichler 07.05.2016, 01:01

Magdeburg l Die Linke ist die Partei der Konfessionslosen, bundesweit gehören fast 80 Prozent ihrer Mitglieder keiner Kirche an – in Ostdeutschland noch weit mehr. Traditionell fordert die Partei eine strikte Trennung von Staat und Kirche. Wenn sich die Delegierten Ende des Monats in Magdeburg zum Bundesparteitag versammeln, könnten die alten Glaubenssätze jedoch völlig neue Aspekte bekommen – und die Debatte eine ungewohnte Schärfe.

Sachsen-Anhalts Landesvorsitzende Birke Bull fordert bereits jetzt, den Kirchen „mit Respekt und Wertschätzung“ gegenüberzutreten. „Die Kirchen leisten viel für den öffentlichen Zusammenhalt. Von jedem aggressiven Atheismus sollten wir uns distanzieren“, sagte sie der Volksstimme.

Zwei konträre Positionen werden in der Partei debattiert. Der Landesverband Sachsen will nach dem französischen Modell des Laizismus Staat und Religion vollständig trennen. Das bedeutet:

- keine direkte oder indirekte Staatsfinanzierung mehr,

- Abschaffung von Militär- und Polizeiseelsorgern,

- das Aus für theologische Lehrstühle,

- Einstellung des staatlichen Kirchensteuereinzugs und

- bei Vereidigungen wäre die Formel „So wahr mir Gott helfe“ unzulässig.

Ein Tischgebet wäre nach diesem Antrag selbst Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft verboten – schließlich werden Kitas mit öffentlichen Mitteln finanziert. „Der Staat hat religiös neutral zu sein, sodass Religion und Religionslosigkeit Privatsache sein kann“, heißt es im Sachsen-Antrag, der von der Linksjugend unterstützt wird.

Einigen Parteigranden passt diese Richtung gar nicht. Ihr Gegenantrag fordert, das Thema erst einmal gründlich zu diskutieren – in einer religionspolitischen Kommission, die der Bundesvorstand einsetzen soll. Unterzeichnet haben unter anderem Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (evangelisch) und Ex-Linken-Chef Oskar Lafontaine (katholisch).

Sachsen-Anhalts Landeschefin Bull will einen strikten Laizismus verhindern – sie weiß aber, dass weite Teile ihrer Mitglieder damit sympathisieren. Allerdings, betont sie, wachse in ihrer Partei gerade Interesse an den Kirchen. „In vielen Orten sind Flüchtlingshelfer aus unserer Partei und aus Kirchengemeinden aktiv“, sagt sie. Das Eintreten der evangelischen Landesbischöfin und des katholischen Bischofs von Magdeburg für die Sache der Flüchtlinge habe sie beeindruckt.

Im Landtag sind die Linken die einzige Partei, die ausschließlich konfessionslose Abgeordnete stellt. „Ich selbst habe Religion bis vor kurzem für einen Nebenschauplatz gehalten“, sagt Bull. Die Einwanderung meist muslimischer Familien und der islamfeindliche Kurs der AfD bringen sie nun zu einer Neubewertung. Wichtig sei Gerechtigkeit, betont sie – keine Religion dürfe bevorzugt werden. Bull bezweifelt, dass sich das durch eine vollständige Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Raum erreichen lässt.

Auf die vielen Fragen des Alltags hat sie indes bislang keine Antwort. Muss der Kirchensteuereinzug weg? Die religiöse Eidesformel? Theologische Lehrstühle? „Schwierig“, sagt sie. „Ich bin da noch ganz am Anfang.“