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Beraterverträge Felgner in Bedrängnis

Interne Unterlagen zu umstrittenem Millionenvertrag bringen Wirtschaftsminister Jörg Felgner (SPD) in arge Bedrängnis.

Von Michael Bock 31.08.2016, 01:01

Magdeburg l Am 19. Juni 2013 schreibt der Leiter der Haushaltsabteilung im Finanzministerium, SPD-Genosse und auf seinem Fachgebiet anerkannter Experte, ein bemerkenswertes Papier. Auf vier Seiten, adressiert an den „Herrn LMB“ (Leiter des Ministerbüros, d. Red.), bewertet er die Ausschreibung eines Gutachter- rahmenvertrages durch die landeseigene Investitionsbank (IB).

Mit Blick auf einen geplanten millionenschweren Vertrag mit der IB legt der Spitzenbeamte unmissverständlich dar, es wäre „die Beteiligung des Finanzausschusses notwendig“. So sehe es ein Beschluss des Landtages über die Transparenz von Beraterverträgen vor. Zweck des Beschlusses sei gewesen, dass alle Beratungs- leistungen einzeln vom Finanzausschuss bewilligt würden.

Der Haushälter mahnt: „Dieser Zustimmungs- prozess wird durch einen Rahmenvertrag umgangen.“ Es werde deswegen „nicht für vertretbar gehalten, den Beschluss zu missachten“. Beide Varianten, Ausweisung im Haushalt wie auch direkte Vorlage im Finanzausschuss, werden in dem Vermerk „als politisch brisant eingeschätzt“, denn: „Das Finanzministerium wird sich hiermit dem Vorwurf aussetzen, dass die parlamentarischen Schwierigkeiten einer Gutachterbeauftragung durch den Vertrag umgangen werden sollen.“

Der Beamte beweist politisches Gespür und Weitsicht. Doch trotz aller Bedenken unterschreibt Wirtschaftsminister Felgner, der damals Finanzstaatssekretär ist, am 4. November 2013 den 6,3-Millionen-Euro-Vertrag mit der Investitionsbank, der ihn jetzt in arge Bedrängnis bringt. Zu diesem Zeitpunkt hat der Finanzausschuss über den maßgeblichen Teil des Haushalts noch gar nicht beraten. Das erfolgt erst am 27. November. Aus dem Landtagsprotokoll geht hervor, dass der damalige Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) in dieser Sitzung den Millionenvertrag mit keinem Wort erwähnt. Das erhärtet den Verdacht, dass die Parlamentarier ausgetrickst werden. Für den Landesrechnungshof ist das ein klarer Haushaltsverstoß.

Im Finanzministerium wird bereits im Frühjahr 2013 erstmals über den geplanten Vertrag gesprochen. Offenkundig war die Angelegenheit schon frühzeitig Chefsache. Am 24. Juni hält eine Mitarbeiterin der Haushaltsabteilung „zur Höhe des Finanzierungsbedarfs“ schriftlich fest: „Eigene Gespräche mit der IB wurden nicht geführt, der Gesamtbedarf ist alleine von der Hausleitung festgelegt worden.“

Bereits im Juli sind die Pläne für den Millionenvertrag inhaltlich weit gediehen. Eine sogenannte Leitungsvorlage ist bereits erstellt. Auf diese bezieht sich am 2. August ein weiteres kritisches Schreiben aus der Fachebene. Der Referatsleiter weist darauf hin, dass „die von der IB geplante (europaweite) Ausschreibung eines Rahmenvertrages“ eine „gesicherte Finanzierung“ voraussetze. „Solange der Geschäftsbesorgungsvertrag selbst unter Haushaltsvorbehalt steht, halte ich daher eine Veröffentlichung bzw. den Start des Ausschreibungsverfahrens für Leistungsgegenstände aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag für problematisch.“ Handschriftlich ist vermerkt: „Frage für die Rechtsaufsicht.“

Die Warnungen werden später in den Wind geschlagen. Denn: Nur drei Tage, nachdem Felgner den Vertrag unterzeichnet hat, startet die IB eine europaweite Ausschreibung. Im Ergebnis bekommt das Wirtschaftsinstitut isw in Halle, eine Art „Haus- und Hoflieferant“ des damaligen Finanzministers Jens Bullerjahn, einen 4,4-Millionen-Euro-Auftrag. Dieser beinhaltet auch zunächst nicht näher definierte „künftige Aufgabenstellungen“ – dafür werden allein für die Jahre 2014 und 2015 insgesamt 536.270 Euro veranschlagt. Die Linke im Landtag hat das bereits als „Blankoscheck“ kritisiert.

Es verdichtet sich der Verdacht, dass das Finanzministerium die Aufträge am Parlament vorbeischleuste, um sich lästige Diskussionen zu ersparen – die es nicht zuletzt auch immer wieder um eine gehäufte Vergabe an das isw gab.

Es drängt sich außerdem der Verdacht auf, dass die Hausspitze in die Vertragsgeschichte einen immer kleiner werdender Kreis einbinden wollte. Vom 18. Juli stammt eine E-Mail von Finanzstaatssekretär Felgner, in der es um die Zusammenarbeit mit der IB geht. Er bittet „liebe Mitstreiter“ um eine Zuarbeit („Betreff: Zusammenarbeit mit IB“) und mahnt: „Bitte diese Mail bei evt. Beteiligung ihrer Referate nicht weiterleiten.“

Drängende Fragen wirft ein weiterer Vermerk auf, diesmal vom 24. September („Projekt Investitionsbank“). Felgner wird gebeten, einen sechs Tage später um 14.30 Uhr stattfindenden Termin mit dem isw vorzubereiten. Handschriftlich ist vermerkt: „aktuellster Stand → Ausschreibung?“

Felgner selbst bittet am 27. September auf demselben Papier die „RL 42 und 13 um Zeitplan bis Montag, 30.09., 11 Uhr“. Die „RL“ sind Referats­leiter. Felgner vermerkt vorsorglich: „Bitte von Hand zu Hand!“ Das heißt: Das Schreiben soll nicht auf dem offiziellen Postweg geschickt, sondern persönlich übergeben werden.

Ein Treffen zwischen dem Finanzministerium und dem isw nur knapp einen Monat vor der Vertragsunterzeichnung? Gespräche zur „Ausschreibung“ mit genau dem Institut, das sich später um einen Millionenauftrag bewirbt und diesen auch bekommt? Nicht jeder mag da an Zufall glauben.

Das Finanzministerium beantwortet eine konkrete Frage ausweichend so: „Aufgrund der in 2013 zwischen dem MF und dem isw bereits bestehenden Vertragsbeziehungen bestanden naturgemäß Kontakte auf Arbeits- und Leitungsebene.“

Felgner hat die Akten bislang nicht gesehen, das Finanzministerium verwehrt ihm die Einsicht – aus rechtlichen Gründen, wie es heißt. Das erschwert die Lage für den SPD-Mann. Er könne nur aus seiner Erinnerung antworten, sagt er. „Danach wurden, wie bei jedem größeren Projekt, auch bei der Planung des Geschäftsbesorgungsvertrags alle betroffenen Bereiche des Finanzministeriums einbezogen. Es gab sicher eine Reihe kritischer Hinweise und auch Anregungen. Davon wurde vieles aufgegriffen und berücksichtigt, Kritikpunkte konnten auch ausgeräumt werden.“

Nach dem ausführlichen Diskussions- und Abstimmungsprozess seien aber keine fachlichen Gesichtspunkte offengeblieben, die dem Abschluss des Vertrages „in der gewählten Form“ entgegengestanden hätten.

Zeitsprung: Felgner selbst, zu dem Zeitpunkt schon Wirtschaftsminister, hat den öffentlichen Fokus zuletzt auf dieses Thema gerichtet. Vor gut zwei Wochen lädt er Journalisten zu einem Hintergrundgespräch ein. Er will in die Offensive gehen. Manch einer rät ihm ab. Doch Felgner fühlt sich beflügelt durch eine Vorlage für die Staatssekretärskonferenz, die er als starken Rückenwind empfindet. Bei dem Journalistengespräch sagt er, alles sei „absolut korrekt“ gelaufen.

Am 19. August legt er, pünktlich zur Sitzung des Finanzausschusses, mit einer Pressemitteilung nach. Er habe das Parlament nicht ausgetrickst. Und überhaupt: „Das Finanzministerium unter der neuen Hausspitze hat das Vorgehen aus dem Jahr 2013 ausdrücklich als rechtens bezeichnet.“ Diese Erklärung ist mit dem neuen Finanzminister André Schröder von der CDU nicht abgestimmt. Der ist perplex – und widerspricht prompt. Der Vertrag werde „in seiner derzeitigen Form nicht fortgeführt“, kündigt er an. Aufgabenstellungen würden entweder verändert oder ganz gestrichen. Auch eine Kündigung des Vertrages sei eine Option.

Felgner gerät mit seiner Darstellung, alles sei ordnungsgemäß gelaufen, unter Druck. Nur fünf Tage später macht er eine Rolle rückwärts. „Vor dem Hintergrund, dass gerade Transparenz gegenüber dem Parlament hohe Priorität hat, würde ich heute nicht mehr so agieren wie 2013“, sagt er. Er ziehe das Fazit, „dass nicht alles, was formal zulässig ist, auch politisch umgesetzt werden sollte“. Doch der von ihm erhoffte Befreiungsschlag wird auch in Teilen der eigenen Partei eher als Belastung für Felgners Glaubwürdigkeit gewertet. In der SPD ist in diesen Tagen so gut wie niemand zu finden, der Felgner den Rücken stärkt.

Die Stimmung in der Union hat der CDU-Europaabgeordnete Sven Schulze auf den Punkt gebracht mit dem Satz: „Würde die SPD die gleichen Maßstäbe wie bei Güssau anlegen, wäre er nicht zu halten!“ Als Erster hatte SPD-Landeschef Burkhard Lischka den Rücktritt des CDU-Politikers vom Amt des Landtagspräsidenten gefordert.

Warum aber hat Felgner ein umstrittenes Verfahren mitgetragen und den Vertrag unterzeichnet? In Landtags- und Regierungskreisen heißt es, dass doch eigentlich Ex-Finanzminister Bullerjahn der Strippenzieher gewesen sei. Vielerorts ist zu hören, dass das Bullerjahn-System so lief: Wer mitzieht, bleibt im Spiel. Wer sich verweigert, ist raus. Damit gingen die Spitzenbeamten unterschiedlich um. Im Jahr 2009 etwa kehrte der parteiübergreifend anerkannte Finanz-Staatssekretär Christian Sundermann (SPD) Bullerjahn im Streit den Rücken. Und Finanz-Staatssekretär Michael Richter (CDU) verweigerte in der Vertragsgeschichte eine wichtige Unterschrift. Er wurde ins Innenministerium abgeordnet.

Felgner gilt als Bullerjahn-Zögling. Er war loyal bis zur Selbstaufgabe.