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Gewalt im Fußball Experte: „Fans bringen Probleme mit“

Fanforscher Harald Lange spricht über gewalttätige Fußball-Anhänger, Emotionen im Stadion und Lehren aus dem Tod von Hannes S.

13.10.2016, 23:01

Magdeburg l Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen von Fußball-Fans. Die Täter sind oft Männer.

Herr Professor Lange, Sie erforschen seit vielen Jahren das Gemüt von Fußball-Anhängern: Der Tod des Magdeburger Fans Hannes S. zeigt nun die Schattenseiten der Fankultur. Warum kommt es immer wieder zu brutalen Szenen im Umfeld von Fußballspielen?

Harald Lange: Fußball ist ein sehr emotionales Spiel und von enormer Leidenschaft geprägt – sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen. Die dunkle Seite der Fankultur zeigt sich immer dann, wenn bei aller Rivalität zwischen den Vereinen und Fan-Gruppen eine Grenze überschritten wird.

Wann ist das der Fall?

Wir beobachten das mitunter, wenn eine große Gruppe des Vereins X auf eine kleinere Gruppe des Vereins Y trifft. Die zahlenmäßig überlegenen Fans nutzen ihre Dominanz aus, provozieren und bepöbeln das gegnerische Fan-Lager lautstark. Es entstehen Rangeleien und Schlägereien. Schals, Banner und Fahnen werden gewissermaßen als Trophäe erbeutet, um Stärke zu zeigen. Dann kann Rivalität tödlich enden, wie jetzt im Fall von Hannes.

Spannend aus wissenschaftlicher Sicht sind die Übergänge zwischen einer friedlichen Fan-Kultur und gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Inwiefern?

In den Stadien gibt es ja ein friedliches, eher spielerisches Konkurrieren zwischen den Fußball-Fans. Anhänger versuchen mit Gesängen und Choreographien die eigene Mannschaft anzufeuern und das gegnerische Team zu verunsichern. Das sind positive Aspekte, um Dominanz und Macht zu zeigen. Der Grat zwischen dieser leidenschaftlichen Fan-Kultur und verbaler sowie körperlicher Gewalt ist jedoch schmal. Offensichtlich sind einige Fans aber nicht in der Lage diese Grenze zu erkennen.

Welche Fans sind besonders gewaltbereit?

Das ist schwer zu kategorisieren. Wir haben festgestellt, dass Täter in der Regel junge Menschen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren sind. Gewalt ist aber auch oft das Resultat von Problemen in einer Gesellschaft. In Regionen, in denen Jugendliche von Perspektivlosigkeit und Arbeitslosigkeit betroffen sind, beobachten wir vermehrt gewalttätige Auseinandersetzungen unter Anhängern. Die Fans bringen ihre Probleme mit zum Fußball und diese Probleme führen dann zu Eskalation und Gewalt.

Ein rauer Ton zwischen den Fan-Lagern ist aber durchaus in allen Stadien festzustellen.

Das stimmt. Wir haben als Fußball-Fans ja den Nachteil, dass wir kaum etwas machen können. Unsere Lieblingsspieler müssen den Ball in das Tor treten, aber wir versuchen von der Tribüne aus zu helfen, indem wir mitschreien. Läuft das Spiel nicht so gut, gehört es eben auch dazu, den Frust auf den Gegner rauszulassen und ihn zu beschimpfen.

Eine gesunde Rivalität zwischen den Fans zeichnet sich dadurch aus, dass man nach dem Spiel gemeinsam reflektiert, miteinander redet, ein Bier zusammen trinkt und auch wieder runterkommt. Dabei können auch Freundschaften entstehen. Permanente Sticheleien zwischen den Fan-Lagern sind sogar eine sehr wichtige Eigenschaft von Fankultur.

Am 26. November reist der Hallesche FC zum Derby nach Magdeburg. Drohen nach dem tragischen Tod von Hannes Racheakte?

Normalerweise nicht. Die Emotionen kochen im Laufe der Tage wieder herunter. Jeder, der ein bisschen Zeit hatte und über den Vorfall nachdenkt, wird erkennen, dass Mitgefühl und Trauer mit den Angehörigen wichtiger sind als irgendeinen bösen Akt zu planen.

Wichtig ist, dass Zeichen zur Deeskalation gesetzt werden. Kein guter Schritt wäre es, wenn man jetzt das Polizeiaufgebot verdoppelt und verdreifacht. Alle Beteiligten sind aufgefordert, eine friedliche Atmosphäre zu schaffen.

Welches Patentrezept haben Sie, um künftige Gewalttaten zu vermeiden?

Da gibt es kein Rezeptbuch, aber es gibt viele Ansätze, viele Bemühungen von Verbänden, Vereinen, Städten und Kommunen. Die Zahl der Gewalttaten ist in der Summe zwar in den letzten Jahren angestiegen. Aber wenn man bedenkt, wie die Anzahl der Zuschauer gestiegen ist, kommt man im Schnitt auf einen leichten Rückgang an Fan-Gewalt.

Der Schlüssel zu weniger Gewalt im Fußball sind aber die Fans selbst. Sie müssen in ihrem eigenen Umfeld darauf achten, dass eine friedliche Stimmung herrscht. Und sie sollten Fans enttarnen, die den Sport für Gewalt-Exzesse nutzen. Diese Menschen haben in den Stadien nichts verloren.

Halten Sie Strafen und Sanktionen für ein geeignetes Mittel?

In der Öffentlichkeit kommt es immer gut an, wenn Fan-Gruppen ausgeschlossen oder Vereine mit Geldbußen belegt werden. Tatsächlich wissen wir aber, dass Strafen nicht den gewünschten pädagogischen Einfluss haben. Ein Lerneffekt wird durch Betroffenheit, Dialog und gemeinsame Fan-Aktionen erzeugt. Kollektiv-Strafen wirken zudem häufig kontraproduktiv, vor allem dann, wenn der eigentliche Täter nicht überführt werden konnte.

Wie sollten die Vereine mit dem Tod von Hannes umgehen?

Dieses Unglück sollte Anlass genug sein, um über das Thema Fan-Gewalt nachzudenken und miteinander zu reden. Vielleicht kann der Diskurs sogar zu einem Musterbeispiel für ganz Deutschland werden. Den Fans aus Halle und Magdeburg muss jetzt die Gelegenheit gegeben werden, gemeinsam zu trauern. Dafür brauchen sie Orte der Begegnung, die von den Vereinen geschaffen werden könnten. Etwaige Initiativen von Fans und Beauftragten der Clubs sollten in dieser schweren Zeit besonders unterstützt werden.