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Grüne Franke: "Die Koalition muss endlich liefern"

„Unsere Geduld ist begrenzt“, grollte Sachsen-Anhalts Grünen-Chef Christian Franke vorige Woche. Steht die Kenia-Koalition vor dem Aus?

Von Jens Schmidt 01.12.2016, 00:01

Magdeburg l Wie geht es mit der Koalition in Sachsen-Anhalt weiter? Bricht das Bündnis aus CDU, PD und Bündnis 90/Die Grünen bald? Darüber spricht der Landesvorsitzende der Grünen, Christian Franke.

Rücktritte, Berateraffäre, Abstimmungspannen: Herr Franke, wie will diese Koalition noch gut vier Jahre durchhalten?

Christian Franke: Die Koalition wird halten, sie muss nur endlich durchstarten. Es ist klar, dass jede Partei erkennbar bleiben muss. Aber wir sind nicht in die Regierung gegangen, um uns persönlichen Zwistigkeiten hinzugeben, sondern um Probleme dieses Landes zu lösen. Wir haben schon bei der Wahl zum Ministerpräsidenten gesehen, dass es offenbar bei der CDU einige Abgeordnete gibt, die diese Koalition so nicht wollten. Vergangene Woche waren wir Grüne das erste Mal betroffen …

… Ihre Fraktionschefin fiel bei der Wahl in die Parlamentarische Kontrollkommission durch. Handelt es sich bei Ihrem Koalitionspartner eher um organisatorische Schlampereien oder würden da einige lieber mit der AfD zusammenarbeiten?

Beides. Es fällt jedenfalls auf, dass es manche AfD-Leute einfacher haben, gewählt zu werden. Die CDU-Fraktionsführung muss aber auch dafür sorgen, dass ihre Abgeordneten bei Landtagssitzungen anwesend sind. Und es kommt noch eines hinzu: Die CDU verdaut gerade zehn Jahre Große Koalition mit der SPD, in der sie einige Opfer gebracht hat; etliche in der Union sehen die Gefahr, erneut zu viele Opfer bringen zu müssen. Nur: Wir Grüne machen ja auch Kompromisse. Wir werden die Beschlüsse des Bundesverkehrswegeplans akzeptieren und die Umsetzung kritisch begleiten – obwohl wir etwa zum Bau der A 14 eine andere Haltung haben als CDU und SPD.

Ist dieses Bündnis eine Not-Ehe, in der vor allem Grüne und CDU Gefahr laufen, ihr Gesicht zu verlieren?

Die CDU wird die CDU bleiben, wir Grüne bleiben Grüne. Es wird immer mal passieren, dass jeder auf seiner Seite blinkt, aber das ändert nichts daran, dass die gesamte Koalition Lösungen finden muss. Es war weder von der CDU noch von uns Grünen eine Wunschverbindung, aber wir machen Koalitionen immer an Inhalten fest. Ein Beispiel: Die CDU sieht sich noch immer als Landwirtschaftspartei. Wir Grüne wollen die Landwirtschaft zukunftsfähig machen. Der Straathof-Skandal bei der Schweinemast, die zu hohe Nitratbelastung im Grundwasser oder die Milchpreisprobleme sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass es so nicht weitergehen darf. Da können beide Parteien unter der Führung unserer grünen Ministerin Claudia Dalbert gute Lösungen finden. Oder: CDU und Grüne betonen beide, dass sie für Werte stehen und für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Da können wir etwa bei der Frage der Integration von Flüchtlingen viel gemeinsam leisten, indem wir durchsetzen, dass alle, die zu uns kommen, Deutsch lernen können und an einem Werte-Unterricht teilnehmen.

Die jüngste Umfrage zeigt aber, dass vor allem die Anhänger der Grünen unzufrieden sind. Zwei Drittel Ihrer Wähler geben der Regierung schlechte Noten.

Unsere Anhänger und Wähler waren schon immer sehr kritisch. Wir sagen ja auch nicht: Alles lief super. Wir sagen: Es wird Zeit, dass die Koalition liefert. Die Zeit der Koalitionsverhandlung im Frühjahr war großartig – geprägt von guten Lösungen. Diesen Geist müssen wir wieder beleben. Das Umweltprogramm, das Leitbild für die Landwirtschaft und das Kinderfördergesetz werden wichtige Themen für die kommende Zeit.

Die SPD will für jedes Kind ein Anrecht auf 10 Stunden Kita-Betreuung, die CDU 8 Stunden. Was sagen die Grünen?

Alle drei Koalitionspartner wollen die Eltern bei den Kosten stärker entlasten und zugleich eine hohe Betreuungsqualität garantieren. Die SPD hat noch nicht gesagt, wie sie das finanzieren will. Wir sind für einen guten Kompromiss offen.

Wenn die Grünen von den Bauern als Landwirtschaftspartei akzeptiert werden wollen, brauchen sie wohl auch einen pragmatischeren Umgang mit dem Wolf: Müssen die Raubtiere bejagt werden wie andere Wildtiere auch?

Ich komme oft mit Jägern zusammen; solange nicht alle Sichtungen gemeldet werden, sind wir nicht bereit, darüber zu diskutieren. Es gibt nicht zu viele Wölfe. Die Vorgängerregierung hat das Problem allerdings verschlafen. Es gibt viele Möglichkeiten, Herden zu schützen und den Tierhaltern finanziell zu helfen. Wir brauchen eine schnelle Rissbegutachtung. Zudem: Problem-Wölfe, die den Menschen zu nahe kommen, dürfen jetzt schon vergrämt oder auch getötet werden.

Sachsen-Anhalts Grüne gelten als stark links-orientiert und verharren bei Werten um die 5 Prozent. Bleiben Sie bei der Linie oder will die Partei auch neue Wählerschichten erreichen?

Wir sind längst auf dem Weg dahin. Ich selbst komme aus einer Handwerksfamilie und weiß, dass viele dieser Unternehmen grüne Wirtschaftspolitik machen, indem sie regionale Wirtschaftskreisläufe am Laufen halten. Oder es gibt kleine Firmen mit tollen Ideen: Jetzt hat ein Unternehmen in Sachsen-Anhalt energiesparende Straßenlampen entwickelt, ohne auf die teuren LED-Lampen umsteigen zu müssen. Es gibt viele Menschen im Land, die grün handeln, denen dies aber gar nicht so bewusst ist. Das müssen wir stärker herausstellen, diese Menschen müssen wir stärker unterstützen.

CDU-Landeschef Webel beklagt, dass Grüne gemeinsame Sache mit der Linken machen.

Zwei Abgeordnete haben eine Anfrage an die Regierung gestellt, um Zahlen zu bekommen – eine Frage ist ja noch keine Regierungskritik. Da rufe ich zu mehr Gelassenheit auf.

Wie groß ist die Gefahr, dass durch Dreier-Bündnisse politische Ränder gestärkt werden?

Wenn die Koalition keine klar bezifferbaren Erfolge vorlegt, dann besteht die Gefahr. Daher: Wir müssen Konflikte benennen und offen diskutieren – wie etwa den Streit um die Sprachlehrer – die Lösung des Problems dann aber genauso stark nach außen tragen.

Der Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre wird noch viel Belastendes ans Tageslicht bringen. Derzeit konzentrieren sich Vorwürfe auf Ex-Finanzminister Bullerjahn. Doch das könnte sich weiten. Wie gefährlich wird dies für die Koalition?

Wir sind noch nicht an dem Punkt, dies zu bewerten. Noch sehe ich ein System Bullerjahn und kein anderes. Wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, werden wir über Konsequenzen reden. Gesetzgeberische, damit dies nicht wieder passiert, aber vielleicht auch weitere personelle. Ich schließe nicht aus, dass es Debatten geben wird über Personen, die heute noch Verantwortung tragen. Wenn sich Dinge verselbständigen, wenn Regierenden das Parlament egal ist, dann haben sie nichts mehr in einer Regierung zu suchen. Als wir Grünen in die Regierung kamen und sahen, was hier zum Teil lief, hat uns das fassungslos gemacht. Die öffentliche Debatte hat aber auch schon Veränderungen bewirkt: Die Zahl der Beraterverträge ging deutlich zurück, unsere Regierung geht wesentlich sensibler damit um.

In der Auseinandersetzung mit der AfD fallen immer wieder die Begriffe: homophob, rassistisch, sexistisch. Doch noch so starke Worte verlieren Wirkung, wenn man sie nur oft genug wiederholt. Wie wollen Sie künftig vorgehen?

Wir wissen, dass die AfD homophob ist, sie ihre Anträge oft rassistisch begründet und dass sie gegen die Religionsfreiheit arbeitet. Aber es bringt tatsächlich nichts, immer wieder das Mittel der Empörung zu wählen. Wir müssen differenziert vorgehen: Ihre Anträge mal sachlich auseinandernehmen, auch mal gar nicht reagieren und sie im Regen stehen lassen – wir müssen aber auch mal laut und empört sein. Wir müssen vor allem eigene Lösungen präsentieren und nicht den Eindruck erwecken, wir würden nur auf die AfD reagieren.

Aber wirkungslos ist die AfD nicht?

Das sieht man dann, wenn unser Ministerpräsident von Obergrenzen bei Flüchtlingen redet. Oder nehmen wir das von der CDU losgetretene Gerede über einen Kontrollverlust: Den hat es nie gegeben. Die CDU versucht Wähler zurückzuholen – aber mit Argumenten, die weit rechts der Mitte liegen. Ich halte das für falsch. Denn die Menschen wählen immer das Original.

Auf Bundesebene wird auch über Dreierbündnisse geredet. Neueste Variante: CDU, Grüne und FDP. Was halten Sie davon?

Wir führen keinen Farben-Wahlkampf, uns geht es darum, mit wem wir am besten unsere Inhalte umsetzen können. Energiewende, Kohleausstieg, Elektromobilität, die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare. Daher schließe ich nichts aus. Die Grünen sind pragmatischer geworden. Nur eines weiß ich: Noch eine Große Koalition würde dem Land schaden.