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Ärztin ohne Grenzen Das Wunder von Aweil

Seit 45 Jahren gibt es die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Die Hallenserin Elke Czeslick war für sie in Afrika.

Von Alexander Walter 29.12.2016, 00:01

Halle l Elke Czeslick erinnert sich noch genau an ihre erste Patientin in Afrika: Die zierliche Schwangere, selbst fast noch ein Kind, reichte der Deutschen kaum bis zur Schulter. Entkräftet von stundenlangen Wehen hatte sie sich barfuß bis ins Camp geschleppt. Die Kollegen von Ärzte ohne Grenzen rechneten kaum damit, ihr Ungeborenes retten zu können.

Dank des internationalen Teams kam dann aber doch ein gesundes Kind zur Welt. Die Verzweiflung im Gesicht der jungen Afrikanerin wich einem Strahlen. Für Elke Czeslick war es ein Schlüsselerlebnis und ein kleines Wunder. „Danach musste ich fast weinen“, erzählt sie.

Drei Monate war die Hallenser Anästhesistin im Jahr 2008 für Ärzte ohne Grenzen im Sudan im Einsatz. Damit ist sie eine von insgesamt neun Mitarbeitern aus Sachsen-Anhalt, die für das Bündnis im Ausland waren oder sind. 1971 als Reaktion auf das Leid der Zivilbevölkerung im nigerianischen Biafra-Krieg von französischen Ärzten gegründet, feiert die Organisation in diesen Tagen ihr 45-jähriges Bestehen.

Im Fall von Elke Czeslick sprang der Funke bei einem Vortrag über ein chirurgisches Projekt 1999 an der Uni in Halle über. „Damals war ich beeindruckt, wie schnell die Organisation überall auf der Welt helfen kann“, sagt sie. Als das Bündnis im selben Jahr auch noch den Friedensnobelpreis erhielt, stand für Czeslick fest: Auch sie wollte für Ärzte ohne Grenzen im Ausland arbeiten.

Der Weg dorthin wurde schwieriger als gedacht. „Als Oberärztin der Uniklinik Halle war es kaum möglich, unbezahlten Urlaub über mehrere Monate zu bekommen“, erzählt sie. Nicht alle Kollegen reagierten zudem mit Verständnis. In Deutschland gebe es doch genug Probleme, hätten damals selbst Freunde gesagt. Doch die Hallenserin blieb standhaft. Beim Wechsel an das Sankt-Georg-Krankenhaus Leipzig im Jahr 2007 trug sie ihren Wunsch vorsorglich schon bei der Einstellung vor. Der neue Arbeitgeber willigte ein.

Als Anfang 2008 im Sudan Militär und einheimische Rebellen um Erdölfelder kämpften, ging alles sehr schnell. Ärzte ohne Grenzen baute nahe der Konfliktlinie in der südsudanesischen Provinzhauptstadt Aweil ein Lazarett auf. Elke Czeslick erhielt den Einsatzbescheid. Vor Ort sollte die damals 43-Jährige verwundete Kämpfer und Zivilisten versorgen. Kein einfacher Auftrag. Elke Czeslick nahm ihn dennoch an.

Der Zufall wollte, dass die Mission weniger gefährlich wurde als erwartet und doch kräftezehrender als erhofft. Als Elke Czeslick in Afrika landete, waren die Kämpfe abgeebt. Bedarf an einem Krankenhaus bestand trotzdem. Der Sudan galt als Landstrich mit einer der höchsten Mutter-Kind-Sterblichkeiten der Welt. Und so wandelte die Hilfsorganisation das Lazarett kurzerhand in ein Krankenhaus für Hochschwangere um.

Elke Czeslick war es recht. Im Team mit einem Chirurgen aus Hongkong und einem indisch-stämmigen Gynäkologen aus Hamburg musste sie sich nun um komplizierte Geburten kümmern.

Die Arbeit schien überschaubar: „Tagsüber kamen die Frauen, nachts konnten wir schlafen“, erzählt sie. „Als sich aber herumsprach, dass wir kostenlos arbeiten, stieg die Patientenzahl rapide.“ Von überall her seien die Leute ins Camp gekommen, häufig auch nachts, vielfach zu Fuß. Es blieb nicht bei Schwangeren. Schon bald kamen Patienten mit Verletzungen, aber auch HIV-Infizierte und Opfer von Gewalttaten hinzu.

Am Ende schlief die Hallenserin täglich nur noch vier Stunden. Nicht am Stück, sondern immer wieder unterbrochen von langen Einsätzen im Operationssaal.

Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung hätte es ohnehin kaum gegeben. Aus Sicherheitsgründen verließen die Ärzte das Lager nur selten. Das Leben im Camp selbst war alles andere als luxuriös. Bei der Ankunft fanden Czeslick und ihre Kollegen nicht mehr als ein paar Baracken vor. Um die Grundversorgung zu sichern, mussten Brunnen erst gebohrt, ein Generator angeschlossen und Toiletten gebaut werden. Doch auch danach schliefen Czeslick und ihre Kollegen weiter in Zelten, Patienten mussten ihre Notdurft neben den Betten verrichten und während der Regenzeit stand das gesamte Lager unter Wasser.

Elke Czeslick hat die Zeit dennoch als glücklich erlebt. „Die Dankbarkeit der Menschen werde ich nie vergessen“, sagt sie. Für die Patienten in Afrika sei es schon ein riesiges Ereignis, in einem Bett zu schlafen. „Sie sind es überhaupt nicht gewöhnt, dass sich jemand um sie kümmert“, sagt sie.

Das Leid der Menschen, aber auch das Wissen um die zeitliche Begrenzung der Hilfsaktion führten Czeslick in Aweil zu einer Erkenntnis: „Man kann nicht alles zum Guten ändern, aber den Menschen, die einem begegnen, sollte man helfen“, sagt sie. Die Ärztin hat daraus Konsequenzen gezogen. Einen jungen Angestellten des Lagers in Aweil, der täglich den Stromgenerator bediente, unterstützt sie heute bei dessen Medizinstudium. Geht alles gut, ist der Kongolese Joseph in einem Jahr selbst Arzt. Dank der Hallenserin wird er danach vielleicht mehr für sein Land tun können, als es die Mediziner von Ärzte ohne Grenzen je vermocht hätten.

Elke Czeslick selbst ging trotz körperlicher Erschöpfung gestärkt aus dem Einsatz im Sudan hervor. „Als ich nach Hause kam, brauchte ich keinen einzigen freien Tag“, erzählt sie. Die Rückkehr in die Normalität sei für sie Urlaub genug gewesen.

Hin und her gerissen ist Czeslick allerdings bei der Frage, ob sie noch einmal ins Ausland gehen würde. Nach ihrem zweiten Einsatz 2013 im afghanischen Khost hätten die Übergriffe auf medizinische Einrichtungen doch enorm zugenommen. Angesichts des bürokratischen Aufwands sei die Hürde für Auslandseinsätze zudem hoch. „Die Rekrutierung von Personal wird für Ärzte ohne Grenzen schwieriger“, sagt Czeslick. Hier sei jetzt die Politik gefragt. Für die Menschen in den Krisenregionen der Welt ist das eine schlechte Nachricht. Kleine Wunder wie das der jungen Mutter im Camp von Aweil könnte es damit bald seltener geben.

Mehr Informationen zur Organisation Ärzte ohne Grenzen gibt es hier.