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Studium Hibas Weg vom Flüchtling zur Studentin

Studierende Flüchtlinge sind in Sachsen-Anhalt die Ausnahme. Dass es funktionieren kann, zeigt die Geschichte von Hiba.

Von Alexander Walter 15.02.2017, 00:01

Magdeburg l Hiba kann wieder lachen. Mit roten Wangen sitzt die Syrerin in der Campus-Cafeteria und rührt in einem Glas Tee. Die 21-Jährige blickt durch die Fenster hinüber auf das winterliche Gelände der Hochschule Magdeburg-Stendal. Seit Oktober gehört sie zum Kreis der jungen Leuten, die dort studieren dürfen.

Was für deutsche Abiturienten nur eine von vielen Möglichkeiten darstellt, ist für Hiba Mahmood die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Als Flüchtling in Deutschland schien ein Studium für sie unmöglich. Erst durch ein Programm an der Hochschule Magdeburg-Stendal klappte es doch.

Dass es so kommen würde, war für Hiba noch vor Monaten undenkbar. Zu Hause, in Syrien, fiel ihre Welt in Schutt und Asche. Ihr Verlobter und sie beschlossen, vor dem Bürgerkieg nach Deutschland zu fliehen. Zurück blieben Familie, Freunde – und ein abgebrochenes Studium.

Der Zufall wollte, dass das Paar in Magdeburg strandete. Der Anfang in der fremden Großstadt war schwer: „Ich konnte mit niemandem reden, keine Leute treffen", erzählt Hiba. Doch die Syrerin wollte ankommen, beließ es nicht beim verpflichtenden Integrationskurs, paukte in der Freizeit Grammatik über Youtube.

Weil sie trotzdem nur langsam dazu lernte, blieb das Studium über Monate nicht mehr als Wunsch. Der Durchbruch kam mit einem Anruf. Ein Nachbar berichtete von einem Intensiv-Sprachkurs an der Hochschule. Hiba zögerte keine Minute. Bald darauf saß sie im Unterricht.

An der Hochschule war dann vieles anders. „Die hatten bessere Bücher und es gab eine Bibliothek, in der man Leute treffen konnte", erinnert sich Hiba. Vor allem aber hätten die Mitarbeiter sie unterstützt. Zum ersten Mal habe sie sich ein wenig zu Hause gefühlt. In ihrem Kurs lernte die Syrerin von zwölf Teilnehmern am schnellsten. Nach nur acht Monaten wagte sie sich an den fürs Studium nötigen Sprachtest. Sie bestand ihn – wenn auch im zweiten Anlauf. Nach anderthalb Jahren in Deutschland standen Hiba die Türen zum Studium offen.

Hiba ist ein Einzelfall. Tatsächlich sind studierende Flüchtlinge zwei Jahre nach der Zuwanderungswelle auch in Sachsen-Anhalt immer noch die Ausnahme. So sind im ablaufenden Wintersemester laut Wissenschaftsministerium an den sieben Hochschulen im Land gerade mal sieben Geflüchtete immatrikuliert.

Dass das Interesse höher wäre, belegen 400 Teilnehmer an studienvorbereitenden Sprachkursen allein an den Unis Magdeburg und Halle im vergangenen Jahr. Zudem haben die Hochschulen laut Ministerium mehr als 1200 Beratungsgespräche mit Interessenten geführt.

Grund für den geringen Übergang ins Studium sind zu hohe Hürden: Angefangen bei der Anerkennung von Abschlüssen über die Finanzierung von Sprachkursen bis zum Anspruch auf Bafög waren noch 2015 viele Fragen ungeklärt. Inzwischen hat die Politik gegensteuert: Um den bundesweit geschätzt 50 000 studieninteressierten Flüchtlingen den Hochschulzugang zu erleichtern, legten die Kultusminister 2015 ein Prüfverfahren für Bewerber ohne Zeugnisse neu auf.

Seit kurzem gibt es zudem Verbesserungen beim Bafög. Statt vier Jahre müssen Geduldete jetzt nur noch 15 Monate in Deutschland leben, um Unterstützung zu erhalten. Das Bundes-Bildungsministerium stellte schließlich bis 2019 100 Millionen Euro für Beratungen und Sprachkurse bereit. Sachsen-Anhalt sprang mit 4,7 Millionen Euro Landesmitteln helfend zur Seite. Die sieben Hochschulen im Land profitierten davon.

Zum Glück für Hiba war die Hochschule Magdeburg-Stendal mit dem „Studium für Geflüchtete" bundesweit eine der ersten Einrichtungen, die die Förderung in ein konkretes Programm umsetzten. Neben Orientierungsgesprächen gibt es Eignungsprüfungen, Kontakte zu deutschen Studenten und die vorbereitenden Intensiv-Sprachkurse.

Inzwischen hat die Idee Schule gemacht. Neben den Hochschulen in Sachsen-Anhalt bieten bundesweit mehr als 170 akademische Einrichtungen ähnliche Programme an. Nach Einschätzung von André Nollmann vom International Office der Hochschule Magdeburg-Stendal dürfte sich das auszahlen. Selbst wenn Flüchtlinge später in ihre Heimatländer zurückgingen, bleiben sie Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit verbunden, sagt er. Für die Hochschule hat sich das Konzept bereits gelohnt: Als Vorreiter des Programms erhielt sie neben dem Landesintegrationspreis den Preis für Hochschul-Bildung des Bundesverbandes Deutscher Arbeitgeber. Neben Hiba gibt es zudem weitere Interessenten. Zum Sommersemester haben sich vier Flüchtlinge für ein Masterstudium angemeldet.

Doch nicht alles ist rosa-rot. Die Qualifizierungsprogramme für Flüchtlinge laufen bis heute in einer rechtlichen Grauzone ab. Ein Beispiel: Flüchtlinge, die Sozialleistungen beziehen, müssten eigentlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Weiterbildungen zur Aufnahme eines Studiums sind streng genommen nicht vorgesehen. In Magdeburg funktioniert das Programm dann auch nur so gut, weil neben der großzügigen Förderung vom Land auch die Jobcenter im Rahmen der Möglichkeiten mitwirken.

Für Studenten wie Hiba zählt das Ergebnis. Nach der Sprach-Prüfung hat sie sich als Gasthörerin in die Hörsäle gesetzt. „Schon als Kind hab ich gern gezeichnet", schwärmt sie. Das kreative Entwerfen von Plakaten und Modellen im Studiengang Industrie-Design war da genau das Richtige.

Inzwischen steht die 21-Jährige am Ende des ersten Semesters. Mit ihren Kommilitonen hat sie eine Ausstellung mit selbst entworfenen Modellen gestaltet. Hiba nippt an ihrem Tee. „Ich denke nicht mehr an Syrien", sagt sie lächelnd. „Am liebsten möchte ich in Deutschland bleiben."