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Spargelernte Der frühe Bauer ist eher beim Kunden

Vor Beginn der Spargelsaison hofft mancher Bauer in Sachsen-Anhalt auf besseres Wetter. Doch nicht alle sind von der Witterung abhängig.

Von Alexander Walter 24.03.2017, 00:02

Stendal l Wer zur Königin des Gemüses vordringen will, muss sich erstmal durch den Dreck wühlen. In der Ackerfurche am Ortsrand von Bölsdorf bei Tangermünde kniet Arne Garlipp und buddelt mit den Händen im märkischen Sand. Es ist kalt und stürmisch, schwere Regenwolken ziehen über den Himmel der Altmark. Der Spargel lässt sich Zeit in diesem Frühjahr. Nur zögernd wagen sich die ersten Triebe Richtung Licht.

Es sind Tage banger Erwartung für den Spargelbetrieb der Garlipps an der Elbe. „Eigentlich bräuchten wir jetzt dringend Sonne“, sagt Tim Garlipp, Arnes Vater und Chef des Betriebs. Noch liegt sein Hof im benachbarten Schelldorf im Dämmerschlaf, die Sortiermaschinen sind abgedeckt. Doch schon zu Ostern soll Hochkonjunktur herrschen. „Dann wollen die Leute Spargel essen“, sagt Tim Garlipp. Für die Bauern geht es um nicht weniger als das Jahresgeschäft.

Der Hof der Garlipps ist einer von 44 Spargel-Betrieben in Sachsen-Anhalt. Allein im vergangenen Jahr ernteten diese auf 600 Hektar fast 3000 Tonnen des edlen Gemüses. Mit seinen 60 Hektar gehört das Familienunternehmen zu den mittelgroßen Höfen. 80 Saisonarbeiter stachen zuletzt rund 100 Tonnen.

Wie alle andere stehen die Garlipps jetzt also wieder in den Startlöchern. Die Spargelsaison ist kurz, jede Woche ohne Ernte ist eine verlorene. Im Vorteil ist da, wer früh und lange liefern kann. Längst haben die meisten Spargel-Bauern die Saison deshalb künstlich nach vorn verlängert.

Erntete man Spargel früher zwischen Ende April und dem Johannistag am 24. Juni, stechen manche Betriebe das Edelgemüse heute schon Anfang März, erzählt Garlipp. Auch die Schelldorfer setzen auf die sogenannte Verfrühung. Mit dem Einsatz von Folien auf den Dämmen können sie die ersten Stangen im Idealfall schon Anfang April ernten. „Die Hälfte unserer Dämme decken wir dafür im Februar mit schwarzer und durchsichtiger Folie ab“, erklärt Arne Garlipp.

Die dunkle Farbe soll die Wärme der März-Sonne dabei direkt in den Boden leiten. Die durchsichtigen Planen darüber verhindern ein Auskühlen in der Nacht. Das Ziel: Die Stangen des Frühspargels sollen wesentlich schneller als ohne Foliensystem sprießen.

Die Technik verschafft den Bauern im Wettkampf um eine frühe Ernte Vorteile. Und doch ist sie ein Balanceakt, hochgradig abhängig vom Wetter. Scheint die Sonne im März nicht, wächst der Frühspargel erst spät. Die Bauern stehen dann tagelang mit leeren Händen da.

Der Spargelhof Heinl im 45 Kilometer entfernten Goldbeck hat solche Sorgen nicht. Vor zwei Jahren hat Besitzer Klaus Heinl ein noch aufwendigeres Verfahren für seine Felder eingeführt: 5 seiner 60 Hektar beheizt er mit Abwärme aus einer benachbarten Biogasanlage. Gewächshaus-Tunnel darüber sorgen für ein besonders mildes Mikro-Klima.

„Dank des Verfahrens können wir schon seit dem 6. März ernten“, sagt Heinl. Erst danach seien ab Sonnabend die unbeheizten Flächen dran. Heinl ist damit gänzlich unabhängig vom Klima. Seine Maschinen laufen schon jetzt, ein Drittel seiner 80 Saisonarbeiter steht in Lohn und Brot.

Heinls Betrieb hat sich auf den Großhandel, Hotel-Ketten und Edeka-Märkte spezialisiert. Auf die Idee für die frühe Ernte kam er bei Reisen durchs Land. „Die Spargel-Bauern in Süddeutschland sind klimatisch begünstigt“, sagt er. Um mithalten zu können, sei die Innovation nötig gewesen.

Der Landwirt hat den Spargelanbau von der Pike auf gelernt. Als einer der ersten habe der elterliche Betrieb bei Nürnberg die Technik der Verfrühung eingesetzt, erzählt er. Und doch ist der 57-Jährige heute frustriert. Die Zeiten, in denen man mit Spargel das große Geld verdienen kann, seien vorbei, sagt er.

Aus Sicht Heinls hat das gleich mehrere Gründe. In Deutschland gebe es eine Überproduktion an Spargel durch Großbetriebe, meint der Landwirt. Diese verkauften die Stangen zu Ramschpreisen. „Die Königin des Gemüses ist zum Billig-Produkt verkommen“, so Heinl. Gleichzeitig seien die Lohnkosten für Saisonarbeiter durch den Mindestlohn gestiegen. Inzwischen machten sie mehr als 60 Prozent der Kosten aus. Die Schere ist einfach zu groß geworden, sagt Heinl. Für ihn steht deshalb fest: Früher oder später muss der Ernte-Roboter kommen.

Das Problem liegt allerdings nicht nur bei den Kosten. Bei seinen teils polnischen, teils deutschen Mitarbeiterinnen erlebt Heinl derzeit einen Generationenwechsel. Zuverlässige Ältere hören auf, Jüngere brechen manchmal schon nach zwei Tagen ab. „Sie hören vom Mindestlohn und denken, das bekommen sie netto“, sagt Heinl.

Die Garlipps beschäftigen seit elf Jahren Rumänen und sind zufrieden. „Wir haben gute Kontakte ins Land und fahren auch einmal jährlich hin“, erzählt Arne Garlipp. Mit Deutschen hätten sie dagegen schlechte Erfahrungen gemacht. „Da hatten wir viel Trödel, viele meldeten sich krank“, sagt Arne Garlipp.

Bei der Ernte setzt der Betrieb inzwischen auf ein Anreizsystem. Alle Mitarbeiter bekommen dabei garantiert den Mindestlohn von 8,60 Euro. Wer mehr als zehn Kilogramm pro Stunde schafft, erhält mehr Geld. Die Motivation sei damit erheblich gestiegen, sagt Vater Tim Garlipp.

Im Verkauf hat der Betrieb dagegen durchaus Personalsorgen. Die Garlipps haben sich auf den Direktvertrieb mit Ständen an Supermärkten und Straßen spezialisiert. Nach Beginn der Saison sollen auch in diesem Jahr rund 20 Verkäuferinnen in Stendal, Magdeburg oder auch Bernburg stehen. „Allerdings wird es immer schwieriger, geeignete Mitarbeiter zu finden“, sagt Arne Garlipp.

Für den 26-Jährigen herrscht auch deshalb schon vor Beginn der Saison Hochbetrieb. In den nächsten Tagen wird er in ganz Sachsen-Anhalt Bewerbungsgespräche führen. Zu Hause holen Mitarbeiter derweil die Verkaufsstände aus den Lagern. In den nächsten Tagen werden sie gesäubert, gestrichen und an ihre Standorte gefahren. Vor allem aber sind die Garlipps jetzt täglich auf den Feldern. „Wir beseitigen Schäden und schauen, ob die Triebe schieben“, sagt Arne Garlipp. Sobald es so weit ist, gibt es ein Signal an die Rumänen. „Innerhalb von 24 Stunden kommen sie dann mit dem Bus zu uns.“

45 Kilometer nördlich schmiedet Klaus Heinl derweil neue Pläne. „Mein Hof ist gut aufgestellt“, sagt er. Aber es soll Änderungen geben. Welche, will er noch nicht verraten, nur so viel: An der Produktion von Billig-Spargel will Heinl sich künftig möglichst weniger beteiligen.