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Jungwinzer Generationswechsel am Weinberg

Sachsen-Anhalts Weinbranche plagen Nachwuchssorgen. In Freyburg sucht die Winzervereinigung nach neuen Talenten.

28.06.2017, 23:01

Freyburg l Ab und an guckt Stephan Berger wie gebannt den Hang herunter, wenn er auf seinem Weinberg arbeitet: Unter ihm liegt das Unstruttal. Eine Bahnbrücke und das Dörfchen Nebra rahmen seine Aussicht ein. Berger, ein 28 Jahre alter, stämmiger Mann mit ausgewachsenem Bart, ist glücklich, wenn er hier steht. Das war schon als Kind so. Seitdem er zehn Jahre alt war, half Berger seinen Großeltern auf dem Weinberg. Heute gehören ihm die Reben. Dreieinhalb Hektar Müller-Thurgau, Portugieser, Weißburgunder, Gutedel und Traminer. „Hier ist nichts, was dich ärgert“, sagt er. „Das ist einfach nur entspannend, ein bisschen wie Urlaub.“ Wenn die Sonne untergeht, schimmern die grünen Blätter seiner Reben leicht rötlich. Berger gefällt das, doch eigentlich ist er nicht deswegen hier. Berger ist Winzer. Einer der jüngsten im Anbaugebiet Saale-Unstrut.

Ortswechsel: Auf dem Parkplatz vor dem Hauptsitz der Winzervereinigung Freyburg nahe der Altstadt des kleinen Städtchens steht Hans Albrecht Zieger mit einem Glas Weißwein in der Hand. Journalisten von Wein- und Getränkefachzeitschriften lauschen den Worten des Geschäftsführers der Vereinigung, die von 390 Winzern aus der Region die Trauben weiterverarbeitet. Zieger erzählt, wie die Trauben den Weg von den vielen Weinbergen zur Kellerei nach Freyburg finden.

Das Gebiet sei ja ziemlich groß, sagt Zieger: rund 100 Kilometer Ausdehnung von Norden nach Süden, etwa 80 von Osten nach Westen. Flächen in den Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen zählen zur Wein- anbauregion Saale-Unstrut. Später wird Zieger den Journalisten zeigen, wie in Freyburg die kostbaren Trauben zu schmackhaftem Wein werden.

Einige Stunden zuvor sitzt der Geschäftsführer in seinem Büro und trinkt Kaffee. Als das Telefon klingelt, springt er auf. Die Trikots für einen örtlichen Fußballverein seien fertig und könnten abgeholt werden. Die Winzervereinigung ist mittlerweile auch Sponsor. Neben vielen Jugendmannschaften aus der Region trägt auch Profi-Boxer Dominic Bösel, der aus Freyburg stammt, das Logo der Winzervereinigung auf seiner Hose. „Wir versuchen, kontinuierlich im Gespräch zu bleiben und den guten Ruf der Genossenschaft auszubauen“, sagt Hans Albrecht Zieger. Die Image-Politur lassen sich die Weinbauern jedes Jahr eine fünfstellige Summe kosten. Geld, das gut angelegt ist, findet Ober-Winzer Zieger. Denn den 40 Jahre alten Wein-Fachmann plagen Nachwuchssorgen. Nicht nur für die eigenen Lehrstellen fehlen der Winzervereinigung junge Menschen, sondern vor allem als Bewirtschafter für die Weinberge: Von den 390 Winzern in der Region sei ein erheblicher Anteil im Rentenalter, sagt Zieger.

In den kommenden Jahren steht den Saale-Unstrut-Bauern ein beschwerlicher Generationswechsel bevor. Gut 400 Hektar Rebfläche zählen zum Gebiet der Winzervereinigung. Eine Handvoll großer Betriebe fährt die Haupternte ein. Für die Mehrheit der Mitglieder in der Winzervereinigung ist die Arbeit auf dem Weinberg hingegen nur ein Hobby. In ihrer Freizeit schlagen sich die Winzer mit Wind, Wetter, Schädlingen und schwierig zu bewirtschaftenden Hanglagen herum. All das kostet Zeit, Kraft und manchmal auch Nerven.

Auf dem Weinberg von Stephan Berger haben die Reben mit den herzförmigen Blättern in den vergangenen Tagen gelitten. Weil ein Sturm wütete, muss der Jung-Winzer aufräumen. Auf dem Boden liegende Zweige sammelt er auf, Blätter drückt er hinter einen Draht. Berger deutet auf Löcher, die ein Hagelschauer vor ein paar Wochen verursacht hat. Die Arbeit auf dem Weinberg beschäftigt den jungen Mann das ganze Jahr. Im Sommer verbringt er seine Freizeit fast ausschließlich hier. „Es macht Spaß, den Pflanzen beim Wachsen zuzugucken und immer wieder auf eine neue Ernte hinzuarbeiten“, erklärt er.

Der Rebberg von Stephan Berger liegt nahe dem Dorf Steigra, in dem sich eine kleine Jung-Winzer-Community gebildet hat. Immer mal wieder stoßen neue Mitglieder zu der aktiven Gemeinschaft hinzu, die Weinfeste organisiert, Ausflüge unternimmt oder neuen Entwicklungen beim Weinanbau nacheifert. Der Jung-Winzer-Club in Steigra ist die Blaupause für die Winzervereinigung, wenn es darum geht, junge Menschen für die Arbeit auf den Weinbergen zu begeistern. ­

„In den Weinbaugemeinschaften, in denen es keine Jung-Winzer gibt, ist es schwieriger für uns, Nachwuchs zu finden“, gibt Hans-Albrecht Zieger zu. Kopfzerbrechen bereiten Zieger vor allem die Weinberge an Steilhängen und in Terrassenlagen. „Die Arbeit ist schwer und nicht besonders attraktiv,“ sagt er. Für das Saale-Unstrut-Gebiet sind Weinberge in Steil- und Terrassenlagen jedoch besonders charakteristisch. In der Region würde die touristische und ökonomische Bedeutung dieser Hänge momentan unterschätzt, sagt Zieger. „Wenn diese Anbauflächen wegbrechen, wäre die Region weniger attraktiv für Touristen“, warnt er.

Andere Weinanbau-Regionen haben das erkannt: Baden-Württemberg etwa bezuschusst Winzer, die Steillagen bewirtschaften, mit bis zu 3000 Euro pro Hektar. Als sein Verband mit einem ähnlichen Vorschlag bei Sachsen-Anhalts Finanzminister André Schröder (CDU) herantrat, sei man mehr oder weniger abgeblitzt, berichtet Zieger.

Damit der Weinanbau an Steil- und Terrassenlagen nicht ausstirbt, schichtet die Winzervereinigung bereits seit Jahren Geld um. Winzer, die an Steilhängen arbeiten, bekommen rund 1000 Euro Zuschuss im Jahr. Hinzu kommt das Traubengeld, das die Bauern für ihre Ernte einfahren. Je nach Qualität sind zwischen 10 000 und 15 000 Euro pro Hektar drin, sagt Zieger. Mit dem Verdienst befinde sich die Winzervereinigung deutschlandweit im oberen Drittel.

Der Winzer-Beruf hat in den vergangenen Jahrzehnten dennoch an Attraktivität verloren. Die Eltern von Hans-Albrecht Zieger bewirtschafteten früher in Sachsen einen Weinberg. Als Kind hat er deswegen erlebt, dass Wein mitunter Gold wert sein konnte. Der Traubensaft war in der DDR knapp, Wein als Tauschmittel begehrt, Winzer naturgemäß im Vorteil. „Wein war gut zu gebrauchen, um etwas anderes Wertvolles zu bekommen“, sagt Zieger. Heute hingegen sind Flaschen der Winzervereinigung Massengüter. Rund drei Millionen Stück füllen die Freyburger jedes Jahr ab. Die Ernte von Jung-Winzer Stephan Berger wird voraussichtlich für etwa 30 000 Flaschen reichen. Vieles, was er über Wein weiß, hat er von seinen Großeltern gelernt. Berger ist aber auch nicht müde, Neues aufzunehmen. Bei seiner Lehre, die er im Jahr 2008 abschloss, fielen die letzten Geheimnisse. Seitdem weiß er, wie er seinen Weinberg anlegen muss, damit die Reben möglichst von Schädlingen und Krankheiten verschont bleiben.

Eines ist sicher: Der Generationswechsel wird der Weinqualität im Saale-Unstrut-Gebiet nicht schaden. Konrad Buddrus ist 23 Jahre alt. Er und Stephan Berger kennen sich seit Kindesbeinen. „Durch ihn bin ich zum Weinanbau gekommen“, erzählt Buddrus, der nach seiner Ausbildung zum Winzer die Welt bereist hat. In Österreich und Neuseeland schaute er erfahrenen Weinbauern über die Schulter und zog eigene Schlüsse. Bei Würzburg stillte er seinen Wissensdurst – nun darf er sich Kellermeister nennen. Im Winter übernahm Buddrus bei Karsdorf einen kleinen Weinberg, nur 0,3 Hektar ist das Grundstück groß. Der Jung-Winzer will zurück zur Natur. Seine Trauben wird er mit einer Korb-Presse weiterverarbeiten. „Das ist etwas schonender. Die Weine werden ein bisschen ausdrucksvoller“, erklärt Buddrus. In sogenannten Barrique-Fässern soll der edle Tropfen reifen. Der junge Winzer weiß, dass ein guter Wein Zeit braucht.

„Die Arbeit gibt viel zurück. Am Ende einen Schluck aus seiner eigenen Flasche Wein zu trinken, ist die Belohnung für das ganze Jahr“, sagt Buddrus. Auf dem Weinberg von Stephan Berger wird bis zum Erntebeginn im September noch das ein oder andere Mal die Sonne untergehen. Berger hat bis dahin noch viel zu tun. Den Blick in das Unstruttal wird er wohl erst nach der Weinlese wieder unbeschwert genießen können.