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DDR-Kaffeekrise "Erichs Krönung" stieß bitter auf

Wegen Devisenmangels wurde 1977 in der DDR "Kaffee-Mix" erfunden. Die Bürger in Sachsen-Anhalt waren sauer.

Von Steffen Honig 26.07.2017, 01:01

Magdeburg l Versorgungsengpässe gehörten zur DDR wie Volkspolizei und Pittiplatsch. Ständig war irgendetwas knapp. Nicht immer war die Planwirtschaft schuld. Der Weltmarkt richtete sich nicht nach dem Fünfjahrplan. Im Falle von Rohkaffee wuchs sich das 1976 zu einer mittleren Katastrophe aus. Durch eine Missernte in Brasilien schnellten die Kaffeepreise nach oben. Die DDR musste für den Import der Bohnen statt rund 65 nun etwa 300 Millionen Dollar ausgeben: Die Kaffeekrise war da!

Um ihr zu begegnen, ersann die Parteiführung folgendes Mittel: Abschaffung des preisgünstigsten Kosta-Kaffees und Ersatz durch einen neuen Mischkaffee.

Georg Jarczewski gehörte damals zur Leitung des Kombinates Nahrungsmittel und Kaffee und arbeitete in dessen Stammbetrieb – der Venag in Halle/Saale. „Unsere Entwickler und das Institut für Getreideverarbeitung Potsdam-Rehbrücke entwickelten den Kaffee-Mix“, berichtet Jarczewski. Herausgekommen sei eine Mischung aus 51 Prozent Bohnenkaffee und 49 Prozent Hülsenfrüchten und Getreide, mit ein wenig Zichorie versetzt.

Das Echo aus der Bohnenkaffee gewohnten DDR-Bevölkerung blieb nicht aus: Es war verheerend. Der Mix schmeckte nach allem Möglichen, aber nur ansatzweise nach Kaffee. Das bei 50 Pfennig mehr für das Viertelpfund und bei ersatzloser Streichung des begehrten Kosta-Kaffees.

Hinzu kam ein technisches Fiasko: Kaffee-Mix machte die Kaffeemaschinen kaputt, in Privathaushalten genauso wie in Großküchen und Gaststätten. Georg Jarczewski weiß, woran das lag: „Die Körnung passte nicht zu den gebräuchlichen Kaffeemaschinen.“ Rückblickend stellt der Experte fest: „Uns als Produzenten war überhaupt nicht wohl dabei, es handelte sich um eine reine Sparmaßnahme.“

Während sich die Hallenser Kaffeeröster mit der Mixerei herumplagen mussten, waren die Kollegen in Magdeburg besser dran: Röstfein musste den Ersatzkaffee nicht produzieren. Bis heute wird das Thema in der Rösterei, die im Gegensatz zur Venag in Halle die Wende überstanden hat, mit spitzen Fingern angefasst. Die Geschäftsführung möchte generell nicht über Kaffeekrise und Kaffee-Mix reden, lässt die Marketing-Leiterin ausrichten.

Der frühere Venag-Mann Jarczewski ist gesprächiger. Er kann sich bestens daran erinnern, wie wütende Mix-Käufer reagierten. Sie bombardierten den Produzenten mit Eingaben, der wirkungsvollsten Waffe des einfachen DDR-Volkes. „Ihr mixt da was zusammen“, sei noch das Harmloseste gewesen, sagt Jarczewski. Der Hallenser Betrieb habe eigens für die Bearbeitung von Eingaben und Reklamationen zwei Leute einstellen müssen: „Es war ein Schuss in den Ofen.“

Für die DDR-Führung war so das ziemlich Schlimmste eingetreten: Statt freudig am Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken, war die Bevölkerung verärgert und unzufrieden, weil sie sich mit Mischkaffee abspeisen lassen musste. Das Problem war nicht auf den Familienkreis beschränkt, sondern weitete sich auf die Arbeitskollektive aus. Die Versogungskrise beim Volksgetränk Bohnenkaffe lief der von Staats- und Parteichef Erich Honecker propagierten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zuwider.

Wie vertrug sich diese verschleierte Sparmaßnahme mit dem seit Honeckers Machtübernahme 1971 beschworenen „Wohl des Volkes“? Der nimmermüde Volksmund meldete sich mit Sarkasmus und Humor. Schnell hatte Kaffee-Mix den Namen „Erichs Krönung“ weg.

Der Bezug zu „Jacobs Krönung“ aus Bremen kam nicht von ungefähr. In ganz Deutschland war Bohnenkaffee nach dem Zweiten Weltkrieg äußerst knapp und sehr teuer. Doch die Versorgung im Westen stabilisierte sich nach der Einführung der D-Mark zusehens. Im Osten war das erst Mitte der 1950er Jahre der Fall. Der Westkaffee wurde zum Inbegriff der entstehenden Konsumgesellschaft. Das verführerische Aroma von Jacobs, Tschibo oder Darboven kroch in der DDR aus den Paketen der Verwandten. Die Fernsehwerbung tat ein Übriges: Wenn Frau Sommer in den 70ern die verzweifelte Kaffeekäuferin mit dem Spruch „Mühe allein genügt nicht!“ und einem Pfund Jacobs Krönung glücklich machte, flimmerte das auch über die Fernsehschirme im Osten Deutschlands.

Daneben nahm sich die Verbrauchertäuschung noch dreister aus. Die SED-Führung zog die Notbremse und ließ die Produktion des verrufenen Pulvers einstellen. „Es war eine Episode“, stellt Georg Jarczewski fest. Ein wenig Erleicheterung schwingt noch immer mit.

Die DDR-Wirtschaftsexperten hatten ihre liebe Not, die Lücken bei der Kaffeeversorgung durch neue Lieferanten devisensparend zu schließen. Dabei wurden auch Rüstungsgüter gegen Kaffee getauscht. Am hoffnungsvollsten ließ sich die Kooperation mit dem Export-Neuling Vietnam an. Dort hatte man schon mal Kaffee in kleinen Mengen angebaut, in den 1920er Jahren unter französischer Herrschaft.

Zwei Regierungsabkommen wurden 1980 und 1986 geschlossen. Sie sahen den Anbau von Robusta-Bohnen auf einer Fläche von 8600 Hektar im Hochland vor, die DDR lieferte Maschinen und Ausrüstungen. Für 20 Jahre sollte dafür die Hälfte der in Vietnam erzielten Kaffee-Ernte für den deutschen Bruderstaat bestimmt sein. Die erste verwertbare Ernte war für 1990 geplant. Da wurde die DDR bereits abgewickelt. Für Vietnam aber lohnte sich das Geschäft: Das Land stieg in der Folgezeit zum weltweit zweitgrößten Kaffeeproduzenten nach Brasilien auf. Deutschland ist einer der Hauptabnehmer für Kaffee aus Vietnam.

Einen entscheidenden Anteil an der Kaffeeversorgung hatten indes die Bundesbürger. Ihre Geschenksendungen deckten zwischen 20 und 25 Prozent des DDR-Bedarfs. Westpakete waren eine feste Plangröße.