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AfD Handschlag mit dem Flüchtlingshelfer

Nach langer Sprachlosigkeit sucht die evangelische Kirche das Gespräch mit der AfD. Ein Abend in Köthen macht den Anfang.

Von Hagen Eichler 30.06.2016, 01:01

Köthen l An der Wand hängt ein wuchtiges Holzkreuz, im vollbesetzten Kirchsaal beobachten 100 Köthener, ob das gut gehen kann: Zwei Landtagsabgeordnete der AfD treffen auf jene, die die Partei gern als „Gutmenschen“ verhöhnt. Eine Umweltaktivistin ist darunter, ein Christ – und der Flüchtlingshelfer Tom Aslan, der schon bald mit überraschenden Erkenntnissen aufwartet.

Er kenne mindestens fünf Menschen, die die Direktkandidatin der Linken gewählt hätten und mit der Zweitstimme die AfD, erklärt Aslan den AfD-Politikern Daniel Roi und Hannes Loth. „Hier die AfD, da die Gutmenschen – das ist doch nicht die Lebenswirklichkeit in Köthen!“

Während Pfarrer Wolfram Hädicke als Gastgeber zaghaft ins Publikum blinzelt, fordert Aslan von AfD-Mann Loth Unterstützung für minderjährige Flüchtlinge im Köthener Ortsteil Klepzig. „Die brauchen die bestmögliche Förderung, richtig?“ Loth, in der Nachbarstadt Bitterfeld-Wolfen zuhause, stimmt zu: „Die können ja nicht den ganzen Tag auf die Pferdekoppel gucken.“

Der Flüchtlingshelfer hakt nach: „Können Sie sich vorstellen, bei uns mitzumachen?“ Loth nickt wieder. „Gut, Hand drauf!“, ruft Aslan und schon schlagen die beiden ein. So manchem im Publikum geht die überraschende Verständigung gegen den Strich. „Und was ist mit unseren Jugendlichen? Die werden völlig vergessen“, ruft eine Frau aus dem Publikum.

Es ist das Signal für den AfD-Abgeordneten Roi, der nun von Masseneinwanderung spricht, über Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan und fehlende Aufklärung durch Behörden. „Die Leute gehen auf die Palme, wenn sie aus der Zeitung erfahren, dass hinter ihrem Nachbarzaun ein Flüchtlingsheim entsteht“, sagt Roi. Aslan widerspricht nicht – sieht aber auch die AfD in der Verantwortung. „Das geht nicht, die Bürger immer mit so einer Dagegen-Kultur anzustacheln. Man muss die Probleme konstruktiv angehen, statt die Leute aufzuhetzen“, mahnt er.

Wortmeldungen aus dem Publikum sind an diesem Abend nicht vorgesehen. Aus Sorge, dass die Diskussion aus dem Ruder laufen könnte, dürfen Besucher allenfalls auf Karteikärtchen Fragen an die Podiumsvertreter richten.

Einem altem Köthener passt das gar nicht. Er beginnt, ein mehrseitiges Manuskript vorzutragen, in dem von „speichelleckerischen Parteien“, von „Pressekartell“ und „Nazikeule“ die Rede ist. Als ihn Pfarrer Hädicke unterbricht und auf die Spielregeln hinweist, schimpft der Mann: „Das ist doch keine Demokratie!“

Hädicke hat eigene Fragen im Gepäck. Warum zeichnet die AfD das Bild einer Volksgemeinschaft? Warum soll der Islam in Deutschland keinen Platz finden? Loth redet lieber vom „politischen Islam“, der nicht zu Deutschland gehören könne.

Trotz emotionaler Phasen bleibt die Debatte bis zum Ende zivilisiert – und viele Themen bleiben offen. „Ich würde mir ein solches Gespräch an noch mehr Orten wünschen“, sagt der Pfarrer zum Abschluss. Bislang setzten die evangelische wie auch die die katholische Kirche auf strikte Abgrenzung zur AfD. Bei der Partei ist unvergessen, wie die Magdeburger Domgemeinde AfD-Kundgebungen sogar akustisch bekämpfte – mit dem Sturmegeläut ihrer Glocken.