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Ayslbewerber Abschiebungen scheitern oft an Bürokratie

Rund 4000 abgelehnte Asylbewerber müssten aus Sachsen-Anhalt ausreisen, doch die Zahl der Rückkehrer in Heimatländer nimmt stark ab.

Von Matthias Fricke 07.01.2017, 06:52

Magdeburg l Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hatte noch im Oktober vergangenen Jahres verkündet, die Zahl Abschiebungen auf 4000 zu erhöhen. Das Ziel wurde deutlich verfehlt. Nur 846 Personen konnten am Ende abgeschoben werden. Rund 1600 weitere reisten freiwillig aus. Zusammen sind dies etwa 2400 Rückkehrer in ihre Heimatländer. Im Vorjahr lag diese Zahl noch bei 3280.

„Das werden wir so nicht mehr hinnehmen“, sagt Innenministeriumssprecher Christian Fischer. Dieser sieht eine ganze Reihe an Ursachen, die für den Rückgang der Abschiebungen verantwortlich sein könnten. Als einen der Hauptgründe nennt Fischer das Nichtantreffen der Personen zum Abschiebe­termin. Andere tauchen gänzlich unter. Obwohl das Land Sachsen-Anhalt schon lange keine Termine für Sammelabschiebungen im Vorfeld angekündigt hat, seien viele der Betroffenen durch soziale Medien, wie Whatsapp, vorgewarnt. Gewährsmänner machen demnach an den Flughäfen ungewöhnliche Charterflüge auf den Plänen ausfindig – und melden diese als potenzielle „Abschiebemaschinen“ ihren Landsleuten.

Zunehmend erschweren laut Fischer auch rechtliche Hürden das Durchsetzen der Ausreisepflicht. Besonders kompliziert ist offenbar die Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Auch, weil die zuständigen EU-Behörden unterschiedliche Formulare verwenden. Häufig fehlen zudem die gültigen Papiere. „Rund 70 Prozent der Herkunftsländer verhalten sich bei der Passersatzbeschaffung unkooperativ“, sagt er. Die meisten Probleme gebe es mit Ländern wie Indien, Guinea-Bissau, Niger und den Maghreb-Staaten. Dazu zählen Tunesien, Marokko und Algerien.

Eine „Taskforce“, bestehend aus vorerst fünf Mitarbeitern, hat inzwischen (seit 1. November) ihre Arbeit aufgenommen. Die Gruppe soll bis zum Spätsommer in den Ausländerbehörden der Landkreise und Kommunen dabei helfen, „abschiebungsreife Duldungsfälle“ zu identifizieren. Zurzeit arbeitet die Gruppe in Magdeburg. Sie war vorher im Landkreis Harz.

Zudem ist erst vor einigen Wochen das „Rückführungsmanagement“ in Sachsen-Anhalt neu organisiert worden. Bisher hatte der Landkreis Harz für die zentrale Abschiebestelle die Regie. Dies übernimmt jetzt das Innenministerium. Das Referat bestehe vorerst aus 15 Mitarbeitern. „Wir wollen damit einen hohen Grad an Professionalisierung erreichen“, sagt Minister-Sprecher Fischer.

Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) wollte verstärkt auf Abschiebehaft setzen, doch die rechtlichen und bürokratischen Hürden sind offenbar groß.

Weil ausreisepflichtige Asylbewerber nicht in normalen Gefängnissen untergebracht werden dürfen, ist eine extra Abschiebehaftanstalt nötig. Sachsen-Anhalt hat keine eigene. Das Land kooperiert deshalb mit dem Nachbarn Brandenburg und teilt sich die Einrichtung. Im vergangenen Jahr wurden 60 Menschen in Abschiebehaft genommen, 35 wurden dann tatsächlich in ihre Herkunftsländer abgeschoben.

Einer der Abschiebehäftlinge war Anfang November dieses Jahres ein 20-Jähriger aus Guinea-Bissau. Er hatte bereits am 19. November 2015 in Sachsen-Anhalt einen Asylantrag gestellt. Dabei verwendete er einen falschen Namen, weil er vorher bereits nach Italien eingereist und dort registriert wurde. Der Schwindel flog auf, so dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Antrag am 12. Januar 2016 mit der Begründung ablehnte, dass der Asylbewerber seinen Antrag hätte in Italien nach dem Dublin-III-Abkommen hätte stellen müssen. Er muss deshalb dorthin zurück.

Bis zur Rückführung sollte der junge Mann in der Gemeinschaftsunterkunft in Bernburg im Salzlandkreis wohnen. Doch als er laut Akten am 17. Mai vergangenen Jahres nach Italien zurückgebracht werden sollte, war der Asylbewerber unauffindbar.

Bis am 1. November 2016 der 20-Jährige erneut bei der Ausländerbehörde in Bernburg auftauchte und um eine Aufenthaltsverlängerung bat. Noch am gleichen Tag ordnete das Amtsgericht Bernburg die Abschiebehaft an. Über seinen Anwalt legte der Mann daraufhin Beschwerde dagegen ein. Sechs Tage später sollte dann die Rückführung erfolgen, die aber an formalen Gründen scheiterte. Weil Italien ein neues Formular eingeführt hat und nur noch dieses akzeptiert, könne der Asylbewerber nicht zurückgeführt werden.

Die Ausländerbehörde habe daraufhin am 28. November einen erneuten Versuch gestartet, doch das BAMF hatte zu diesem Zeitpunkt das neue Formular nicht in den Computer einpflegen können. „Als einen Tag später vor dem Magdeburger Landgericht  über die Haftbeschwerde verhandelt wurde, lag das Formular immer noch nicht vor“, erklärt Landgerichtssprecher Christian Löffler.

Weil das BAMF keine Aussage darüber treffen konnte, wann das Formularproblem behoben sein wird, ließen die Richter den Mann frei. Löffler: „Das kann dem Betroffenen schließlich nicht zur Last gelegt werden.“

Inzwischen soll das Problem mit den italienischen Behörden aber behoben sein, sagte eine Sprecherin des BAMF der Volksstimme. Sie bestätigte, dass Italien am 9. November  mitgeteilt hatte, dass von italienischer Seite nur noch Überstellungen von Deutschland nach Italien akzeptiert werden, die mit einem bestimmten Standardformblatt (dem sog. Annex VI; dieser ist von der EU empfohlen für die Übermittlung von Daten einer Überstellung) angekündigt worden sind. Bislang verwendete Deutschland dieses von der EU empfohlene, jedoch nicht vorgeschriebene, Standardformblatt nicht. Der Datenumfang des von Italien gewünschten Dokumentes (dort sind alle EU-Sprachen hinterlegt) war mit dem System des Bundesamtes nicht kompatibel. Das Standardformblatt wurde deshalb bisher in leicht abgewandeltem und datenreduziertem Format eingesetzt.

„Kein Mitgliedstaat nahm bisher an diesem Format Anstoß“, so die Sprecherin. Die Anpassung dieses Standardformblattes an die technischen Gegebenheiten des Bundesamtes habe sich als zeitaufwändig erwiesen. Deshalb konnten Überstellungen im Rahmen der Dublin-Verordnung von Deutschland nach Italien für wenige Wochen nicht terminiert werden, bestätigte sie. Wo sich der abgelehnte Asylbewerber zurzeit aufhält, ist offen.

Insgesamt kamen 2016 rund 9000 Flüchtlinge nach Sachsen-Anhalt. Im Vorjahr waren es noch 34.340. Knapp 4000 sogenannte Geduldete gibt es aktuell in Sachsen-Anhalt. Die Duldung ist nach der Definition des deutschen Aufenthaltsrechts eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ von ausreisepflichtigen Ausländern.