1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Zerrissen zwischen Job und Kind

Behinderung Zerrissen zwischen Job und Kind

Wenn Kinder 14 Jahre alt werden, ist es mit der Hortbetreuung vorbei. Für Eltern behinderter Kinder der Beginn einer Zerreißprobe.

Von Alexander Walter 09.01.2017, 00:01

Wolmirstedt l Wenn Steffi Knauer nach sechs Stunden Dienstschluss hat, fährt sie mit dem Betreuungs-Dienst um die Wette. Die Alleinerziehende hat eine behinderte Tochter. Das Mädchen braucht ständig Hilfe. Seitdem Marie im September 14 Jahre alt geworden ist, hat sie laut Kinderförderungs-Ggesetz (KiFöG) allerdings keinen Anspruch auf einen Hortplatz mehr. Statt um 16.30 Uhr wird sie nun schon um halb drei Uhr nach Hause gebracht. Oft schafft ihre Mutter es gerade noch rechtzeitig bis zur Haustür. Von den Behörden fühlt sie sich im Stich gelassen. „Niemand fühlt sich zuständig“, sagt sie. „Es ist der absolute Stress.“

Die Situation von Steffi Knauer ist kein Einzelfall. Allein im Hort ihrer Tochter in der Wolmirstedter Gerhard-Schöne-Förderschuhle stehen in den nächsten Jahren mehrere Eltern vor dem Problem. Grund: Die Betreuung behinderter Jugendlicher am Nachmittag ist in Sachsen-Anhalt gesetzlich nicht geregelt. Eltern im Job müssen damit selbst nach Lösungen suchen.

„Das Thema beschäftigt uns leider seit Jahren“, sagt Adrian Maerevoet, Behindertenbeauftragter der Landesregierung.

Bei der Frage nach Hilfe sieht er zuerst die Kommunen in der Pflicht. Wenn Kinder wegen Behinderungen nicht allein zu Hause bleiben können, müssten die Jugendämter bis mindestens zum 18. Lebensjahr Erziehungshilfe leisten, sagt er. Weil dafür kommunales Geld fließt, sei die Abwehrhaltung in vielen Gemeinden aber hoch. Maerevoet ermutigt Eltern, trotzdem für ihr Recht zu streiten: „Im Zweifel besteht die einzige Chance darin, zu klagen“, sagt er.

Die Kommunen weisen solche Ansprüche zurück: Das Jugendamt sei für die Betreuung von Kindern über 14 Jahren grundsätzlich nicht zuständig, erklärt Matthias Wendt, Mitarbeiter des Bördekreises auf Anfrage.

Wendt verweist stattdessen auf die Pflichten von Förderschulen für Geistigbehinderte (GB). Diese müssten laut Schulgesetz Ganztagsangebote vorhalten. Für die Nachmittags-Betreuung von Mädchen wie Marie wären demnach pädagogische Mitarbeiter zuständig.

Deren Dienstherr, das Bildungsministerium, relativiert ebenfalls. Betreuungsangebote, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichern, seien keine schulische Aufgabe, sagt Sprecher Stefan Thurmann. Unabhängig davon würden GB-Schulen ein Ganztagsangebot vorhalten, das sich am Bedarf der Mehrheit der Schüler ausrichtet. Geht der Bedarf darüber hinaus, müssten individuelle Angebote mit der Schule abgestimmt werden.

Eine Alternative sei die sogenannte Eingliederungshilfe, so Thurmann. Dabei handelt es sich um Landesgeld, das an Personen gezahlt wird, um ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Auch solche Gelder werden allerdings nicht bewilligt, um Eltern die Berufstätigkeit zu ermöglichen, sagt Ute Albersmann, Sprecherin im Sozialministerium. Sie verweist wiederum auf kommunale Jugend- und Sozialämter, die eine Reihe von Unterstützungsmöglichkeiten bereithielten.

Steffi Knauer hat sich an das Sozialministerium gewandt und ihre Schule um Hilfe geben - erfolglos, wie sie sagt. Nach Einzelfallprüfung hat letztlich der Bördekreis Unterstützung in Aussicht gestellt. Ab heute und vorerst bis 30. Juni darf Marie nun wieder in den Hort.

Knauer geht das nicht weit genug: „Nicht alle Eltern sind in der Lage, für ihr Recht zu kämpfen“, sagt sie. Gemeinsam mit Katja Fietz, ebenfalls Mutter eines behinderten Kindes, will sie eine Änderung des KiFöG erreichen: Behinderte Jugendliche sollen einen Anspruch auf Betreuung über das 14. Lebensjahr hinaus erhalten.

Das Sozialministerium räumt Handlungsbedarf ein. „Dass die aktuelle Situation zu Härten führen kann, wird gesehen“, sagt Ute Albersmann. Für die anstehende Novelle des KiFöG seien bislang aber keine Änderungen geplant.