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Briefwahlaffäre Einer sagt nicht die ganze Wahrheit

Mit Spannung wird zur Briefwahlaffäre die Sitzung des Innenausschuss erwartet. Warum sind Manipulationen nicht schon früher aufgefallen?

28.11.2016, 23:01

Magdeburg/Stendal l Drei „Ehemalige“ sollen am Donnerstag vor dem Innenausschuss des Landtags Licht in eine dunkle Seite der Stendaler Briefwahlaffäre bringen: Ex-Landtagspräsident Hardy Peter Güssau, Ex-Kreiswahlleiter Carsten Wulfänger und Ex-Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt (alle CDU). Sie verloren vor kurzem diese Ämter, weil sie ihre Rollen vom Sommer 2014 nicht aufklärten.

Die Innenpolitiker nehmen jetzt einen neuen Anlauf, den bislang größten Wahlskandal des Landes aufzuarbeiten. Dabei geht es nicht um die juristische Klärung. Hier hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Urkunden- und Wahlfälschung in 300 Fällen gegen den ehemaligen Stendaler CDU-Stadtrat Holger Gebhardt erhoben. Die Politiker wollen wissen, warum bei der Prüfung der Wahlunterlagen im Juni 2014 diese Manipulationen nicht schon aufgefallen sind.

Rückblende: Am 20. Juni 2014 bat der Stendaler CDU-Abgeordnete Güssau den damaligen Verkehrsstaatssekretär Klaus Klang (CDU) um Rat. Die Stadt habe mehr Briefwahlunterlagen an Bevollmächtigte ausgegeben als erlaubt. Es gebe „Gerüchte“, dass Vollmachten gefälscht seien. Klang erklärte, dass er geraten habe, dies genau zu prüfen und schon „beim leisen Verdacht“ die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Wie man das prüfe, habe Güssau wissen wollen. Der wohl profilierteste Kommunalexperte im Land riet, die Vollmachtgeber direkt zu kontaktieren.

Für 189 Vollmachten wurden in Stendal Briefwahlunterlagen an nur zwölf Bevollmächtige – erlaubt sind nur vier pro Bevollmächtigen - ausgegeben: Je 567 Stimmen für die Kreistags- und die Stadtratswahl.

Doch die 189 Vollmachtgeber sind - entgegen Klangs Empfehlung - weder vom damaligen Stendaler Kreiswahlleiter Carsten Wulfänger noch von Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt kontaktiert worden.

„Gestern einen machbaren Weg mit Klaus besprochen und Kleefeldt hat mitgemacht“, schrieb Güssau am 21. Juni 2014 indess an Stendals CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel. Und drei Tage später hieß es, Klang habe „Carsten eine mögliche Lösung vorgeschlagen“ - „hoffentlich macht Axel mit“.

Klang erinnert sich nur an ein Telefonat mit Kleefeldt am 23. Juni. Es sei sehr kurz gewesen.

Güssau und Kleefeldt haben sich in diesem Sommer jedoch ganz anders geäußert, Wulfänger schweigt bis heute. „Herr Wulfänger teilte mit, dass er ebenfalls mit Dr. Klang Kontakt gehabt habe und eine rechtliche Lösung der Behandlung von Wahleinsprüchen und/oder der Schriftvergleiche der Unterschriften sich abzeichnete“, antwortete Güssau im August auf die Frage, welche „mögliche Lösung“ er meinte, die Klang „Carsten“ vorgeschlagen habe und bei der „Axel“ dann „hoffentlich“ mitmache.

Kleefeldt wiederum ließ Güssau Anfang August eine Einlassung mit einer ganz anderen Version verteilen: „Ich habe mit Dr. Klang Anfang Juli 2014 telefonisch einen fachlichen juristischen und ergebnisoffenen Gedankenaustausch gehabt. Wir haben Rechtsfragen und den Sachverhalt erörtert.“

Ohne einen einzigen Vollmachtgeber angerufen zu haben, plädierten damals beide Wahlleiter für die Gültigkeit der Kreistags- beziehungsweise Stadtratswahl. Stattdessen hatten sie Verwaltungsmitarbeiter die Unterschriften prüfen lassen. „Drei Vollmachten geben Anlass zu Bedenken“, trug Wulfänger am 3. Juli 2014 dem Kreistag vor. Strafanzeige stellte er aber nicht. Eine Sachverständige des Landeskriminalamtes stellte Monate später fest, dass fast alle der 189 Unterschriften gefälscht seien.

Das wäre umgehend aufgefallen, wenn Wulfänger, Kleefeldt und Güssau Klangs Rat befolgt hätten. Warum dies nicht geschah, ist eine Schlüsselszene in der Stendaler Wahlaffäre.

Eines steht jedenfalls fest: Mindestens einer von ihnen hat bislang nicht die ganze Wahrheit gesagt.