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Briefwahlaffäre Ex-Stadtrat gesteht Wahlfälschung

Prozessauftakt im Stendaler Wahlskandal: Angeklagter Gebhardt belastet CDU-Kreischef Kühnel.

10.01.2017, 23:01

Stendal l Der ehemalige CDU-Stadtrat Holger Gebhardt hat die ihm vorgeworfenen 300 Fälle von Wahl- und Urkundenfälschung eingeräumt. Seine Hoffnung auf eine zweijährige Bewährungsstrafe ließ die Staatsanwaltschaft zum Prozessbeginn jedoch platzen.

Die Anspannung steht Holger Gebhardt ins Gesicht geschrieben, als er am Dienstagmorgen um kurz vor 9 Uhr im Stendaler Landgericht auf der Anklagebank Platz genommen hat. Konzentriert, die Hände auf die Tischplatte gelegt, folgt er mit ausdrucksloser Mine den Ausführungen von Staatsanwältin Annekatrin Kelm.

Diese braucht keine zehn Minuten, um die Anklage vorzulesen: Wahl- und Urkundenfälschung in 300 Fällen wirft sie dem heute 43-Jährigen vor. Kelm liest alle Namen der Geschädigten vor: 140, bei denen die Vollmacht gefälscht wurde und für die er anschließend auch die Stimmen und den Wahlschein gefälscht haben soll. Zudem weitere 20, die eine Vollmacht gaben, deren Wahlunterlagen Gebhardt aber selbst ausgefüllt haben soll.

Es sind weitgehend Namen von Arbeitslosengeld-II-Empfängern. Nur die letzten beiden, die Kelm vorträgt, haben einen prominenten Klang: Ex-Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (CDU) und dessen Vater Peter, die beide eine Vollmacht abgegeben, aber nach Erkenntnissen der Strafermittler dann nicht selbst gewählt haben.

Fast 50 Stendaler verfolgen den Auftakt. Sie sind gespannt, ob sich Gebhardt äußert. Dieser lässt seinen Anwalt Uwe Kühne dann fast 20 Minuten eine mehrseitige Erklärung vortragen. Er habe vom Stendaler CDU-Kreisvorsitzenden Wolfgang Kühnel früh gelernt, „dass bei Wahlen nichts dem Zufall überlassen wurde“. Sein „politischer Ziehvater“ habe ihm dann auch geraten „auf die Briefwahl zu setzen“.

2014 habe er auch Kühnel helfen wollen, der in einem neuen Wahlkreis ein schlechtes Ergebnis und um den Fraktionsvorsitz sowie seinen Sitz im Sparkassen-Verwaltunsgrat gefürchtet habe.

Einen maßgeblichen Vorwurf will Gebhardt indes entkräften: Die als Datenquelle genutzte Liste mit Namen, Unterschriften und Personalnummern aus dem Jobcenter sei nicht von ihm. Die habe ein 2013 plötzlich verstorbener Parteifreund erstellt. Gebhardt sagt es so: „Mir wurde diese Aufgabe dann übertragen.“

Für die Fälschungen übernehme er „die volle Verantwortung“, er bedauere sie „zutiefst“. Er habe die Erwartungen in ihn „nicht enttäuschen“ wollen und „teilweise einen falschen Ehrgeiz entwickelt“. Vorwürfe, dass er Geld gezahlt und auch Druck ausgeübt habe, weist Gebhardt aber zurück.

Staatsanwältin Kelm benennt daraufhin drei neue Zeuginnen. Unter anderem Antje M. Sie soll ihre Angestellte unter Druck gesetzt haben, eine Erklärung abzugeben, die Gebhardt nach Bekanntwerden der ersten Fälschung entlasten sollte und laut Kelm „vorne und hinten nicht stimmte“.

Das Gericht wertet das Geständnis bei den Vollmachten als „vollumfänglich“, bei der Wahlfälschung seien die Ausführungen „noch nicht ganz nachvollziehbar“, so Richterin Henze-von Staden.

Einer zunächst avisierten Einigung – zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung bei vollumfänglicher Aussage, hatte Staatsanwältin Kelm zu Prozessbeginn wegen „neuer Erkenntnisse“ bereits eine Absage erteilt.

Gebhardt selbst will Fragen erst „zu einem späteren Zeitpunkt“ beantworten. Nächsten Mittwoch wird der Prozess mit ersten Zeugen fortgesetzt.

Und was sagt CDU-Kreischef Kühnel? „Kein Kommentar“, erklärte er am Telefon und legte auf. Er ist am 15. Februar als Zeuge geladen.