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Buchmesse Zwischen Offenheit und Provokation

2400 Verlage, 3400 Autoren aus aller Welt und Zehntausende Besucher präsentieren sich in zwei Wochen auf der Buchmesse in Leipzig.

Von Grit Warnat 24.02.2018, 00:01

Leipzig l Am Abend des 14. März startet die Leipziger Buchmesse, am Morgen danach öffnen sich die Türen auf dem Messegelände. Zehntausende strömen dann vier Tage lang in die Hallen. Im vergangenen März kamen 208 .000 große und kleine Gäste auf das Messegelände. Mit den Veranstaltungen auf den Lesebühnen der Stadt sollen es 285 .000 gewesen sein.

Von Jahr zu Jahr gab es neue Rekorde. Und in diesem März? Buchmesse-Chef Oliver Zille, dessen Terminkalender mit der näherrückenden Messe immer voller wird, sagt: „Wir rechnen mit einer ähnlichen Besucherzahl wie in den Vorjahren – die Vorzeichen dafür stehen gut.“ Es sei eine große Neugier da, eine große Vorfreude, meint er, dazu kämen viele Indikatoren wie Anfragen von Gruppenreisenden, Lehrern und Schülern, dann der Buchmarkt, der stark unter Druck stehe, Verlage und Buchhandlungen, die zu kämpfen hätten.

Bei knapp 2600 Ausstellern wird die Messe landen, alle Großen sind da. Zuwächse gibt es vor allem bei Klein- und Kleinstverlagen, bei den Konzernunabhängigen. In Zeiten der zunehmenden Verlagskonzentrationen suchen sie verstärkt die Nähe zum lesenden Kunden. Zille nennt es „Sichtbarkeit für gedruckte Bücher“. Von dieser Situation profitiere die Messe. Und große wie kleine Verlage beteiligen sich eifrig am Lesefestival „Leipzig liest“. 3600 Veranstaltungen gibt es auf dem Messegelände und in der City. Das ist neuer Rekord.

Leipzig gilt als Stimmungsbarometer. „Die Branche ist Anfang des Jahres immer verhalten optimistisch“, sagt Zille. Er kennt die Zahlen: Der deutsche Buchmarkt sei seit Jahren sehr stabil, er wachse aber nicht. „Das ist schon eine Menge, bei den Rahmenbedingungen, unter denen sich Bücher zu behaupten haben“, sagt er und meint vor allem die Digitalisierung und das veränderte Kauf- und Leseverhalten. „Wir müssen diese Entwicklungen aufnehmen und damit umgehen“, sagt er. Leipzig zeige, dass es auch genügend kleine Verlage gebe, die den Mut hätten, sich auf diesem Markt zu bewegen.

Oliver Zille kam 1991 zur traditionsreichen Buchmesse, zu einer Zeit, als sie fast totgesagt war. Seit 2004 ist er deren Direktor. „Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwann mal einfach war, die Buchbranche ist immer in Bewegung“, sagt er.

Doch in diesem Jahr nun wartet eine besondere Herausforderung. Schon im Oktober in Frankfurt, als die weltgrößte Buchmesse zur Herbstschau lud, hatte es Tumulte gegeben, marschierte die Polizei auf. Da war eine Veranstaltung des rechten Antaios-Verlages aus dem sachsen-anhaltischen Schnellroda mit dessen Verleger Götz Kubitschek und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke aus dem Ruder gelaufen. Im März ist Kubitschek mit seinem Verlag nun in Leipzig vertreten. Es gibt vier Leipzig-liest-Veranstaltungen mit ihm, darunter eine Gesprächsrunde mit Compact-Chef Jürgen Elsässer. Dessen rechtspopulistisches Magazin, nicht zum ersten Mal auf der Messe vertreten, hat den umstrittenen und wegen Volksverhetzung verurteilten Autor Akif Pirincci zu Gast. Das beschäftigt die Messe.

„Wir haben uns sehr genau angeschaut, was in Frankfurt passiert ist“, sagt Zille und fügt an: „Wir sind auf vieles vorbereitet.“ Die Sicherheit der Besucher habe oberste Priorität.

Zilles Frankfurter Amtskollege Juergen Boos hatte damals betont, dass man dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verpflichtet sei. Zille verweist darauf, dass die Verlage nicht verboten sind, er verweist ebenso auf Meinungsfreiheit. „Als Leipziger Messe stehen wir für Offenheit, Toleranz und Vielfalt. Zugleich sind Meinungs-, Presse-, Kunstfreiheit für uns auf der Messe höchstes Gut. Das bedeutet aber auch, dass man Meinungen aushalten muss, die unbequem sind. Das ist anstrengend. Und es wird in den nächsten Jahren noch anstrengender. Damit müssen wir umgehen. In den letzten Jahren ist die Messe politischer geworden. Und sie bleibt politisch.“

Aber was kann eine Messe leisten, an vier von 365 Tagen im Jahr? Zille nennt die Messe einen Sensor. „Wir können nichts lösen, was eine Gesellschaft nicht lösen kann, wir können aber ein Forum schaffen, wo über all diese gesellschaftliche Entwicklungen offen geredet wird. Da ist immer die Gefahr, dass auch provoziert wird. Wir müssen das moderieren, das aushalten. Wenn aber die rote Linie überschritten wird, und die ist vom Gesetz her klar definiert, gibt es das Hausverbot. Dann wird eingeschritten. Natürlich.“

Zille, das spürt man, kommt im Volksstimme-Gespräch gern auf die eigentlichen Kernthemen der Messe zurück, auf frische Bücher, die zuhauf vorgestellt werden, auf die erneut auf die Tagesordnung gerückten Themen Europa, soziale Gerechtigkeit, gesellschaftliche Phänomene, Integration von Flüchtlingen. Die Messe hat in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Reihen ins Leben gerufen – für Selfpublisher, Blogger, Hörbuchfans, den lesenden und schreibenden Nachwuchs. Zum dritten Mal gibt es beispielsweise den Programmschwerpunkt Europa21, einen Denk-Raum für die Gesellschaft von morgen.

Vor allem aber wird gelesen, stellen sich Autoren mit ihren Büchern vor. 3400 Autoren aus aller Welt reisen an. Zille zeigt sich zufrieden mit der großen Vielfalt literarischer Stimmen. Rumänien ist Gastland, Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, im rumänischen Banat aufgewachsen, ist angekündigt. Brasilianische und portugiesische Literaten, die in ihren Ländern Literaturstars, in Deutschland aber weniger bekannt sind, reisen nach Leipzig. Und aus Deutschland werden viele da sein, die in der Literaturszene Rang und Namen haben. Diese Bandbreite sei der Messe immer wichtig gewesen, sagt Zille, und meint mit Bandbreite auch andere Kulturen, andere Länder. Schriftsteller aus 48 Ländern werden vor Ort sein.

Und wenn sich abends die Türen auf dem Gelände an der A 14 schließen, geht es überall in der Stadt weiter mit Lesungen und Gesprächen. Das ist das Besondere dieser Messe: Eine ganze Stadt lebt und feiert das Buch.