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Budde-Rückzug Wut und Tränen

Die SPD-Basis drängte Parteichefin Katrin Budde zum Rückzug. Sie schlug zurück.

15.03.2016, 23:01

Magdeburg l Es ist ein bitterer Moment. Unsicher, sichtlich enttäuscht und müde steigt Katrin Budde am Montagabend um 21.38 Uhr die Stufen der langen Treppe im Magdeburger Kulturhaus Amo hinab. Die seit Stunden wartenden Journalisten springen wie auf Kommando von ihren Stühlen auf und kämpfen um den besten Platz. Es ist klar, was nun kommt. Budde hat die Schlacht um die SPD-Spitze verloren. Jetzt muss sie ihren Rückzug verkünden.

Immerhin – die Parteichefin muss diesen schweren Gang nicht allein antreten. Sie wird von der Landtagsabgeordneten Katja Pähle begleitet. Als sich die Vize-Landeschefin vor der Presse ein wenig hinter Budde verstecken will, wird sie von Budde nach vorn gezogen. „Wir machen das zusammen“, sagt sie. Wenigstens in diesem Moment sollen die Sozialdemokraten Seit‘ an Seit‘ stehen.

Dieses sozialdemokratische Leitmotiv scheint am Tag nach der krachenden Niederlage bei der Landtagswahl ansonsten außer Kraft gesetzt. Es ist Zeit für eine Abrechnung mit Budde. In den vergangenen Monaten hat sich bei vielen Genossen großer Frust angestaut.

Bereits in den Morgenstunden des Montags setzen sich die ersten von der Parteichefin ab. Es sind vor allem Kommunalpolitiker, die sich aus der Deckung wagen. Nachdem Budde einen selbstbestimmten Rücktritt am Wahlabend verpasst hat, fordern die beiden SPD-Landräte Steffen Burchhardt (Jerichower Land) und Markus Bauer (Salzlandkreis) personelle Konsequenzen. Ein „Weiter so“ darf es nicht geben, heißt es.

Buddes Pläne sind jedoch andere. Für 14 Uhr lädt sie zu einer Runde in den Landtag. Einige Landtagsabgeordnete kommen, Mitarbeiter der Fraktion und – Jörg Felgner. Wenige Minuten zuvor, 13.46 Uhr, ist durch eine Agenturmeldung bekanntgeworden, dass der bisherige Finanzstaatssekretär neuer Fraktionschef werden will. Das erwischt Budde kalt. Seit 2006 führt sie die Fraktion. Auch nach dem Wahldebakel strebt sie wieder das Spitzenamt an. Mit dem erstmals in den Landtag eingezogenen Felgner – einem Mann aus ihrem Kompetenzteam – war so nicht zu rechnen.

In der Sitzung wird es laut. Die „Buddisten“, die Vertrauten der Parteichefin, werfen sich für sie in die Schlacht. Es wird gebrüllt und geschrien. Jürgen Barth und Petra Grimm-Benne attackieren Felgner für seinen Vorstoß. Eine Stunde später hat Felgner genug und geht. Er sagt, er tue das für die SPD und einen Neuanfang. Dies sei keine Attacke gegen Katrin Budde.

Das ist ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist, dass der Finanzstaatssekretär um seinen großen Unterstützerkreis weiß. Der trifft sich um 15.30 Uhr im Restaurant „Alberich“ im Magdeburger Stadtteil Cracau. Rund 30 Frauen und Männer versammeln sich: alte und neue Landtagsabgeordnete, Kreisvorsitzende, Kommunalpolitiker. Sie loten aus, wie ein Neuanfang ohne Budde aussehen könnte. Mit von der Partie sind Kultusminister Stephan Dorgerloh und Ex-SPD-Parteichef Holger Hövelmann. Sie haben im Hintergrund viele Strippen gezogen.

Hövelmann und Budde, da war doch was? Ende 2009 setzte sich die Magdeburgerin in einer Kampfabstimmung gegen Hövelmann durch und wurde neue Parteichefin. Nach dem schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl im Herbst 2009 hatte Hövelmann nach massivem Druck zurücktreten müssen. 16,9 Prozent galten damals als katastrophales Ergebnis. Bei der Landtagswahl am Sonntag holten die Genossen nur noch 10,6 Prozent der Stimmen. Da kann eine alte Rechnung beglichen werden.

Im Restaurant wird das Drei-Gänge-Menü für die nächsten Jahre erstellt: Budde soll weder Parteichefin noch Fraktionsvorsitzende bleiben und in einer möglichen schwarz-rot-grünen Landesregierung auch kein Ministeramt übernehmen.

Die Fraktion soll Felgner anführen, das ist schnell ausgemacht. In Sachen Parteivorsitz dauert die Aussprache länger. Keiner der Anwesenden will, dass die SPD auseinanderbricht. Gesucht wird ein Kandidat, der sowohl das Budde-Lager als auch die Budde-Frustrierten einen kann. Irgendwann schauen alle den Magdeburger Bundestagsabgeordneten Burkhard Lischka an. Der windet sich. Die Teilnehmer bearbeiten ihn, wollen ihn in die Pflicht nehmen. Dann sagt er schließlich, als Ultima Ratio würde er zur Verfügung stehen.

Doch es geht nicht nur um Köpfe. Es geht auch um „eine andere Kultur des Miteinanders“. Eine, in der wieder Brücken gebaut werden. „In den letzten Jahren haben wir nicht offen miteinander geredet. Man muss endlich wieder Kritik äußern können, ohne dass man einen Kopf kürzer gemacht wird“, heißt es. Der Kreis um Katrin Budde habe es verlernt, mit Kritik umzugehen.

Budde geht ihren Weg. Um 17.15 Uhr kommt der geschäftsführende Fraktionsvorstand im Amo zusammen. Fragen zu einem möglichen Rücktritt weicht Budde vor der Sitzung aus. Sie sei auf eine „Aufarbeitung“ eingestellt, sagt sie. „Wir werden das jetzt in den Gremien der Partei besprechen“, so Budde. Es sei das Ziel, dass die Partei wieder stärker werde.

Eine Stunde später trudelt das komplette Spitzenpersonal der sachsen-anhaltischen Sozialdemokraten ein: Minister, Abgeordnete, die Spitzen der Kreisverbände. Auch Kultusminister Dorgerloh, der parteiintern teilweise schon abgeschrieben worden war. Als Minister wirkte er zuweilen behäbig. Jetzt macht er einen hochmotivierten Eindruck. Kein Jackett, die Hemdsärmel hochgekrempelt.

Auch Sozialminister Norbert Bischoff sprüht vor Energie. In einer Runde mit Journalisten und einigen Parteimitgliedern verschafft er vor der Sitzung seinem Ärger Luft. Er habe sich als Minister von der Fraktion zu keiner Zeit getragen gefühlt, sagt er. Als ihn eine junge SPD-Politikerin warnt, dass solche Sätze nach Nachtreten klingen würden, redet Bischoff trotzdem weiter. „Nein, das muss man auch mal sagen dürfen. Ich habe ein Jahr meine Klappe gehalten, jetzt reicht es auch mal“, sagt er. Bischoff nimmt der SPD-Landtagsfraktion einige Änderungen des Kinderförderungsgesetzes krumm.

Als vor der Sitzung noch durchsickert, dass der komplette Vorstand zum Rücktritt aufgefordert werden wird, ist die Richtung des Abend klar. Alles andere als ein Rückzug Buddes wäre eine große Überraschung.

In der Runde wird immer wieder Tacheles geredet. Es geht laut zu. Nachdem mehr als ein dutzend Redner ihre Kritik losgeworden sind, fordert Landrat Steffen Burchhardt den kompletten Landesvorstand zum Rücktritt auf. Das Gremium zieht sich 20 Minuten zur Beratung zurück. Was kommt jetzt?

Budde lehnt das ab. Die Partei müsse in den Koalitionsverhandlungen arbeitsfähig bleiben, es dürfe kein Chaos entstehen, erklärt sie. Doch Budde spürt die übermächtige Gegenwehr. Unter Tränen bietet sie an, dass sie ihr Amt als Parteichefin ruhen lassen und auch nicht wieder als Fraktionsvorsitzende kandidieren werde. „Das gab ein richtiges Geheule. Nicht nur bei ihr, sondern auch bei vielen anderen“, wird ein SPD-Mitglied nach der Sitzung sagen.

Raum für weitere Debatten lässt Budde der Versammlung nach ihrer Erklärung nicht. Sie verlässt sofort den Saal und erklärt vor den Journalisten ihren Rückzug. Dann tritt sie hinaus in die Nacht.

Was die meisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: In der Stunde ihres Rückzugs schmiedet Budde mit ihren Verbündeten einen neuen Plan. Sie will Felgner als Fraktionschef verhindern. Ihr Nachfolger soll Andreas Steppuhn werden. Der gebürtige Münsteraner ist ein SPD-Urgestein, er lernte Stahlbetonbauer, bevor er sich der Gewerkschaftsarbeit zuwendete und Anfang der 1990er als Landesvorsitzender der IG Bau nach Sachsen-Anhalt kam. Auffällig: Budde schickt ihn noch am Montagabend in die MDR-Fernseh-Runde der Spitzenpolitiker. Bis Dienstagmorgen wissen die meisten nichts von ihrer Absicht. Erst durch Medienberichte erfahren viele Genossen, dass Steppuhn gegen Felgner antritt.

Die Basis kocht. Viele fühlen sich getäuscht. Davon war am Abend zuvor überhaupt keine Rede gewesen. „Budde hat bei ihrem Verzicht erklärt, dass sie den Weg freimacht. Alle waren sich einig: Wir wollten einen Neuanfang, mit einem starken Kandidaten. Sie suggerierte, dass Felgner der einzige Kandidat ist“, schäumt ein Teilnehmer. Ohne diesen Konsens hätte man es nicht akzeptiert, dass der Landesvorstand nicht sofort zurücktrete. Ein anderer fragt wütend: „Was heißt denn eigentlich, sie lässt das Amt ruhen? Das löst doch die Probleme nicht!“

Bei der SPD-Fraktionssitzung kommt es Dienstagnachmittag tatsächlich zur Kampfkandidatur. Es dauert fast dreieinhalb Stunden, bis das Ergebnis verkündet wird. Fünf der elf Abgeordneten stimmen für Steppuhn, vier für Felgner, zwei enthalten sich. „Jetzt haben wir genau das, was wir nicht haben wollten: Grabenkämpfe“, sagt ein SPD-Politiker. Auch Landrat Markus Bauer ist sauer. „Wo ist das gewollte Ziel des neuen gemeinsamen Anfangs? Die Wähler haben Klarheit erwartet, diese aber nicht bekommen“, sagt er. Der Oschersleber Direktkandidat Wolfgang Zahn, der für die SPD eines der besten Erststimmen-Ergebnisse holte, sagt: „Die Wahl von Andreas Stepphuhn ist das absolut falsche Signal an die Basis.“

In die wichtigen Sondierungsgespräche mit CDU und Grünen, die am heutigen Mittwoch im Magdeburger Landtag beginnen, wird mit Andreas Steppuhn nun ein treuer Gefolgsmann Buddes gehen. Bei diesen Gesprächen und womöglich späteren Koalitionsverhandlungen geht es um Inhalte – und auch um Posten. Die SPD hat bislang vier Ministerien. Trotz der Stimmen-Halbierung bei der Landtagswahl möchten die Sozialdemokraten drei Ressorts in der neuen Regierung haben. Jörg Felgner galt bislang als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Finanzministers. Doch seine Position ist nach der Wahlschlappe gegen Steppuhn zunächst einmal geschwächt. Was wird mit Petra Grimm-Benne? Die Budde-Vertraute ist seit langem als neue Sozialministerin im Gespräch. Spekuliert wird derzeit auch, ob es künftig einen neuen Staatssekretärsposten für Integrationsfragen gibt. Der könnte an die SPD gehen.

Die Niederlage Felgners schwächt auch den Kreis um Hövelmann, Dorgerloh und die Landräte. „Das lassen wir uns nicht gefallen. Das wird nicht folgenlos bleiben“, kündigt ein Mitglied des Landesvorstands an. Nach Informationen der Volksstimme werden nun mehrere SPD-Kreisverbände auf einen außerordentlichen Parteitag dringen, um schneller einen neuen Landesvorstand zu wählen. „Wir hauen uns selbst die Beine weg. Wir machen uns lächerlich.“