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Bundespolitik Aikens Weg über Bonn, Börde, Berlin

Hermann Onko Aeikens war 26 Jahre Politiker in Sachsen-Anhalt. Nun ist er Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium.

15.09.2016, 23:01

Berlin l Ein warmer Spätsommertag in der Hauptstadt: Hermann Onko Aeikens (CDU) hat die Ärmel seines blauen Oberhemdes aufgekrempelt. Durch das geöffnete Fenster dringt der Lärm der Straße in das Zimmer. Seit wenigen Tagen ist der Raum im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft der neue Dienstsitz von Hermann Onko Aeikens. Doch Sachsen-Anhalts früherer Minister für Landwirtschaft und Umwelt hat bislang nur wenig Zeit hier verbracht: Das einzige Bild hat sein Vorgänger hinterlassen.

Es zeigt bunte Ackerflächen, Aeikens will es behalten. Die Regale der hölzernen Schrankwand sind leer. Aeikens hatte keine Zeit, etwas einzuräumen. Seit September ist er Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Mit 64 Jahren hat sich für Hermann Onko Aeikens unerwartet eine Tür in die Bundespolitik geöffnet. Und er ist hindurchgegangen.

Es ist Mitte Januar, als Aeikens auf der Grünen Woche in Berlin unterwegs ist. Die Leistungsschau der Lebensmittelerzeuger aus Sachsen-Anhalt findet in Halle 23 b statt. Aeikens probiert Wacholder-Salami und Baumkuchen. In dem Moment ist ihm nicht klar, dass an diesem Tag sein letzter Besuch als Landesminister auf der Grünen Woche stattfindet.

Wenige Monate später wird er von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zu einem Vier-Augen-Gespräch gebeten. Die Landtagswahl ist gelaufen. Eine starke AfD sitzt im Parlament. In der Koalition aus CDU, SPD und Grüne ist kein Platz mehr für Aeikens als Minister. Vor dem Treffen Anfang April in der Staatskanzlei ist ihm das bereits klar.

Aeikens hätte gerne weitergemacht, aber er ist Realist, kein Träumer. Haseloff berichtet später von „feuchten Augen“, die er gehabt habe, als er seinen langjährigen Minister auf das Abstellgleis beförderte. Ein letzter großer Auftritt steht ihm zu: Auf dem anschließenden Parteitag würdigt Haseloff das scheidende Kabinettsmitglied. Der Applaus der Delegierten bleibt Aeikens im Ohr, bevor er abtritt.

Heute sagt Aeikens: „Es gehört zum politischen Leben dazu, dass man von heute auf morgen eine politische Funktion verliert.“ Nach seinem Aus am Kabinettstisch kehrt Aeikens in sein Haus nach Drackenstedt zurück. In dem kleinen Ort in der Börde ist er seit 1993 zu Hause. Das Leben auf dem Land prägte ihn schon als Kind: Gemeinsam mit einer Schwester wuchs er auf einem Hof in Ostfriesland auf. Die Landluft erdet ihn noch immer. Mit dem Blick auf die Äcker der Börde kommt Aeikens zur Ruhe, spricht mit seiner Frau, die seine engste Ratgeberin ist. Er schmiedet neue Pläne, will sein Haus renovieren, mehr mit der Familie verreisen.

Aeikens grübelt auch: Preise für Milch, Fleisch und Getreide sind im Keller. Höfe geben auf. Die Landwirtschaft ist in der Krise. Zeit seines Lebens hat Aeikens die Probleme analysiert und versucht, Lösungen zu finden. Er ist unruhig. Seine Kontakte in das Landwirtschaftsministerium in Berlin hält er warm. Ab Mai berät er Bundesminister Christian Schmidt (CSU) vor allem in Fragen der Milchkrise. Wenige Monate später wird die Stelle des Staatssekretärs vakant. Schmidt versetzt Robert Kloos in den einstweiligen Ruhestand. Über die Gründe schweigt sich das Haus bis heute aus. Mittlerweile ist Kloos Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau und Hermann Onko Aeikens sitzt auf seinem Stuhl im Ministerium.

Vor wenigen Tagen trifft Aeikens im Seebad Warnemünde an der Ostseeküste auf seine ehemaligen Kollegen: Es ist die erste Agrarministerkonferenz, bei der er auf der anderen Seite steht. Die Begrüßung zwischen ihm und seiner Nachfolgerin in Sachsen-Anhalt, Claudia Dalbert (Grüne), ist herzlich, sagen Beobachter. Aeikens ist Vermittler und Gestalter. Er will den Landwirten in der Milchkrise kurzfristig helfen – und langfristige Sicherungssysteme etablieren, um Preiskrisen besser als bisher überwinden zu können. „Ich kann mitfühlen“, hat er einmal gesagt. Denn in seinen Adern fließt das Blut eines Bauern.

Aeikens ist in Ostfriesland aufgewachsen. In Weener, einer Kleinstadt im Landkreis Leer, hatten seine Eltern einen Bauernhof. Aeikens hat erlebt, was es bedeutet, Landwirt zu sein. „Das Leben auf dem Hof ist harte Arbeit und erzieht zur Disziplin“, sagt er rückblickend. Als junger Mann studiert er Agrarwissenschaften in Göttingen, promoviert 1979 mit einer Arbeit zur Milchproduktion. In seiner Dissertation plädiert er dafür, keine Quotenregelung einzuführen. Fünf Jahre danach kommt europaweit die Milchquote. Heute sagt Aeikens nur: „Ich glaube, manchmal täte die Politik gut daran, stärker auf die Wissenschaft zu hören.“

1977 fängt Aeikens als Redenschreiber im Bundeslandwirtschaftsministerium in Bonn an. Einer seiner Professoren in Göttingen vermittelt die Stelle. Aeikens nimmt sich ein Zimmer in der damaligen deutschen Hauptstadt. Er schnuppert in politische Abläufe hinein, knüpft Kontakte, schreibt seine erste Rede im agrarpolitischen Referat. Damals kann der junge Mann noch nicht ahnen, dass er mit 64 Jahren, nach einer langen Laufbahn, als Staatssekretär in das Ministerium zurückkehren wird.

1981 begegnet er seinem politischen Ziehvater. Der damalige Landwirtschaftsminister in Niedersachsen, Gerd Glup (CDU), stellt den 29 Jahre alten Aeikens als Redenschreiber ein. Er macht seine Sache gut, wird wenig später persönlicher Referent des Ministers. Von Glup lernt er, was es bedeutet Minister zu sein. Glups Methode, den Leuten reinen Wein einzuschenken über den Ernst der Lage und die kommenden Entwicklungen, imponiert dem jungen Aeikens.

Als Aeikens im Dezember 1990 im Magdeburger Landwirtschaftsministerium als Abteilungsleiter für Agrarfragen anfängt, gerät er in Zeiten des Umbruchs. Niemand weiß genau, wie es weitergehen soll mit den ehemaligen Betrieben der DDR-Landwirtschaft. Die volkseigenen Agrarunternehmen sind unproduktiv. Aeikens kann nicht verhindern, dass sich Tausende Menschen einen neuen Job suchen müssen. Aber für ihn sind die Umwälzungen nach dem Fall der Mauer der Startschuss für die eigene Karriere in Sachsen-Anhalt. 2002 wird Aeikens unter der Ministerin Petra Wernicke (CDU) Staatssekretär. Nachdem Wernicke während ihrer zweiten Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten muss, schlägt die Stunde von Aeikens: Im Oktober 2009 wird er Minister für Landwirtschaft und Umwelt.

Die Bauern schätzen Aeikens während seiner Amtszeit als Fachmann. Er hört zu, weiß, wovon er spricht, gibt sich unprätentiös. Wenn er landwirtschaftliche Betriebe besucht, kommt es schon mal vor, dass er auf einem Traktor Platz nimmt und einige Meter fährt. Er bekommt aber auch den Gegenwind der Agrar-Lobby zu spüren. Als er ein neues Gesetz auf den Weg bringen will, das den spekulativen Handel mit Ackerland unterbinden soll, rebellieren viele Landwirte. Vor allem große Betriebe befürchten eine schleichende Enteignung. Auf Druck des Bauernverbandes verschwinden die Pläne in der Schublade. Dort liegen sie bis heute. Doch das Tischtuch zwischen Ministerium und Agrarverbänden ist nicht zerschnitten.

Nach sieben Jahren, als klar ist, dass Aeikens als Opfer der Kenia-Koalition seinen Posten verlieren wird, gehen Landwirte, Jäger und Waldbesitzer auf die Barrikaden. Vor dem Landtag demonstrieren sie für ein Landwirtschaftsministerium in CDU-Hand und den Verbleib von Aeikens. Es hilft nichts.

Für Bundesminister Christian Schmidt ist Aeikens ein Gewinn. Er bringt mit, was dem strammen Bayern fehlt. Aeikens gilt als guter Organisator, ist eng vernetzt mit den Vertretern der agrarpolitischen Verbände. In Berlin schläft Aeikens in einem kleinen Apartment im Ministerium. Es ist ein Quartier auf Zeit. Nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr wird er 65 Jahre alt sein. Wie es danach weitergeht? Aeikens weicht aus.

In den vergangenen Monaten hat er erlebt, dass Dinge manchmal anders geschehen als gedacht. „Unser Leben ist in Gottes Hand“, sagt er. „Warten wir ab, was da kommt.“