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Chef des Rechenzentrums Vollmatrose baut auf Teamgeist

Wo heute sein Büro steht, schuftete Friedemann Hass einst in der Papierproduktion.

Von Janet Anders 31.08.2015, 16:54

Wernigerode l Sommer 1992: Die Hochschule Harz ist gerade ein Jahr alt und heißt noch Fachhochschule Harz (FH). Friedemann Hass sitzt zusammen mit dem Gründungsrektor Prof. Heinz Kuckertz und dem ersten Kanzler Klaus Bernert. „Es wurde Pfeife geraucht, alles war sehr familiär. Wir überlegten uns, wie unser Rechenzentrum aussehen muss, was die Studenten und Mitarbeiter brauchen“, erinnert sich der heute 65-Jährige.

Seit 23 Jahren ist Friedemann Hass Leiter des Rechenzentrums; er war dabei, als die Hochschule Harz „erwachsen wurde“ und hat insbesondere ihre technische Entwicklung entscheidend geprägt – mit Pioniergeist und Ehrgeiz. „Wir hatten eine Vision: Besser werden als der Rest der Hochschullandschaft. Das haben wir bis heute beibehalten“, sagt der Darlingeröder.

Das Harzer Rechenzentrum ist technisch führend, kann sich mit Universitäten messen und nimmt speziell im Bereich der Cloud-Nutzung eine Vorreiterrolle ein. Für den Großvater ein guter Zeitpunkt, kürzer zu treten? Der Junggebliebene verrät: „Im September beginnt mein Ruhestand. Jetzt übergebe ich alles an meinen Nachfolger, allerdings werde ich der Hochschule in verschiedenen Projekten eng verbunden bleiben.“

Was kaum einer weiß: Friedemann Hass‘ aufregender Lebensweg ist schon sehr früh verknüpft mit seinem späteren Arbeitgeber. Aber von vorn – und mit Umweg: „Eigentlich bin ich Vollmatrose“, erklärt der IT-Experte. Mit nur 16 Jahren fuhr er auf einem Schulschiff der christlichen Seefahrt nach Afrika, Indien und Mittelamerika.

„Das Gefühl auszubrechen aus der DDR, von Rostock-Warnemünde aus in die Welt zu segeln – und zurück zu kommen – das war unvergleichlich“, erinnert er sich. Er wollte Kapitän werden. Doch dann lag das Mathematikstudium auf der Hand: „Sphärische Geometrie, Astronomie, Ortsbestimmung, es wird viel gerechnet auf See.“ Friedemann Hass holte sein Abitur nach; büffelte abends, schuftete tagsüber als Lagerarbeiter im Kleiderwerk. „Dort war ich auch mal kurz Chefkoch“, erzählt er lachend. Scheinbar war eine Person unter den 300 Bekochten besonders beeindruckt: Der junge Weltenbummler lernte seine Frau kennen. Bis heute sind sie ein Paar, haben ein Kind groß gezogen und sind der Region treu geblieben.

Auch während des Studiums in Leipzig zog es Friedemann Hass stets zurück in den Harz – zu einem ganz speziellen „Ferienjob“. Wo heute sein Büro ist, im 2004 eingeweihten Neubau „Papierfabrik“, stand damals das namensgebende Original.

„Gleich da drüben, über den Flur, da verbrachte ich die Nachtschichten als Holländer-Müller“, sagt der Mathematiker und lässt vor dem inneren Auge geisterhafte Welten entstehen: „Ich stand an einem großen alten Zuber, einer Art Waschwanne, halbiert von einer Walze. Die Maschine rumpelte stundenlang; beim wichtigsten Schritt in der Produktionskette wurden Wasser, altes Papier und Lumpen vermengt.“

Eine andere Industrie, ein anderes Leben habe er kennengelernt. Immerhin: „Jeden Tag gab es einen halben Liter Milch umsonst“, sagt er pragmatisch. Ein bisschen Charles Dickens, ein bisschen Indiana Jones. „In den alten Tonnengewölben lagerten sie verbotene Bücher, ich habe einige mitgenommen“, verrät er. Völlig unbrauchbar seien heute übrigens Musterbriefe und Liebesgedichte aus der Kaiserzeit: „Das versteht kein Mensch mehr.“

Seit Mitte der 1970er Jahre leitet Friedemann Hass Rechenzentren. „Das schlechteste Handy heute ist leistungsfähiger als damalige Rechner“, sagt er lachend. Vor der Wende war er im Kleiderwerk Wernigerode tätig, wo schon 1986 Mode per Computer „berechnet“ wurde. Der Mauerfall war so spannend wie traumatisch, Hass erinnert sich: „Wir haben ein ganzes Rechenzentrum an einem Tag in den Container gepackt und in einem halben Jahr sämtliche Prozesse umgestellt auf Marktwirtschaft. Nachdem ich gezwungen war, der Hälfte meiner Mitarbeiter zu kündigen, ging ich selbst.“

Nach einem kurzen Intermezzo als Chef der hiesigen Kreishandwerkerschaft kam das Angebot der neugegründeten Fachhochschule. Er hat nie bereut, es angenommen zu haben und betont: „Mein Job macht mir unheimlich viel Spaß, ich kenne keinen, der interessanter wäre.“

Entscheidungsspielräume und der Freiraum beim Einwerben von sogenannten Drittmitteln für Innovationen seien dabei die größten Zufriedenheitsfaktoren. Das passt zu seinem Ehrgeiz. „Es ist wie der Tanz auf der Kante, das Ausloten von Möglichkeiten: Wie können wir mit gegebenen Mitteln noch besser, noch effizienter werden?“

Was von nun an anders werden wird, darauf will sich der Technik-Begeisterte nicht festlegen: „Ich trenne Arbeit und Freizeit nicht strikt, beides gehört zusammen. Aber auf jeden Fall kann ich nun öfter als nur einmal im Jahr von Rostock aus in See stechen“. Im Juni hat er zuletzt ein Segelboot gechartert. Zwischen Job und Privatleben wollte er auch dort nicht unterscheiden: „Vier meiner Kollegen waren dabei, das mache ich schon seit 1999. Genau wie im Rechenzentrum muss man nämlich auch beim Segeln ein gutes Team sein“, sagt der Mathematiker, Vollmatrose, ehemalige Holländer-Müller und Rechenzentrumsleiter.