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CDU In den Kreisen kracht es

Viele in der CDU wünschen sich einen Neuanfang an der Spitze. Doch niemand wagt es, den alten Parteichef Thomas Webel herauszufordern.

17.11.2016, 23:01

Magdeburg l Thomas Webel ist der hemdsärmlige Typ, geradeaus, ungestelzt. Seinem Ministerpräsidenten Reiner Haseloff hält er den Rücken frei – was der Regierungschef denkt und sagt, sagt auch Webel. Zwölf Jahre lang war dies ausreichend, um recht unangefochten den CDU- Landesvorsitzenden zu geben. Seit 2004 ist Webel an der Parteispitze, sechsmal wurde er wiedergewählt. Am Sonnabend tritt er zum siebten Mal an. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Wahlen werden nicht mehr locker gewonnen, seitdem die AfD der Union im Nacken sitzt. Selbst unbekannte Politneulinge schnappten erfolgsverwöhnten CDU-Kandidaten im März bei der Landtagswahl 15 Wahlkreise weg. Hinzu kommen Themen wie die Berateraffäre, Haushaltslöcher, viel zu teure Kitabeiträge, das nachträgliche Abkassieren für uralte Abwasseranschlüsse, die Stendaler Wahlaffäre, der Umgang mit Islam und Kinderehen, die Zukunft von Rente und Familienförderung, die Integration der Flüchtlinge – vieles treibt die Leute um. In der Partei wären Strategiedebatten nötig. Doch die liegen weitgehend brach.

Von der Parteispitze kommen zu wenige Impulse. Das wird vor allem Webel angelastet. „Er ist kein Vordenker, er stößt kaum innerparteiliche Debatten an“, sagt ein Kreisvorsitzender. Zuletzt gab es zwar Regionalkonferenzen. „Doch das waren vor allem Rückwärtsbetrachtungen.“ Ein anderer Kreischef meint: „Eigentlich wäre es Zeit für einen personellen Wechsel. Die Unzufriedenheit ist groß. Doch derzeit kann sie niemand bündeln.“

Niemand wagt den Angriff. Der könnte als Revolte ausgelegt werden. Es gilt das Champignon-Prinzip: Wer seinen Kopf als Erstes raussteckt, wird abgeschnitten. Und so wird Webel wohl auch ein siebtes Mal gewählt. Und er bleibt, was er ist: Der dienstälteste CDU-Landesvorsitzende in Deutschland. „Mit 62 muss man nicht in den Ruhestand“, sagt er fast trotzig. Doch er fühlt: Dies dürfte wohl seine letzte Wahl zum Parteichef sein.

Bei der Nachfolge-Frage verweist Webel auf die Riege seiner Stellvertreter: Die sei ja nicht ohne Grund schon vor einiger Zeit verjüngt worden. Gemeint sind Innenminister Holger Stahlknecht und Finanzminister André Schröder. Deren Wahlergebnisse werden scharf beobachtet. Wer vorn liegt, empfiehlt sich als Nachfolger.

Auch Webels Ergebnis wird mit Spannung erwartet. Es ist ungewiss, wie sich die vielen Scharmützel in den Kreisverbänden und die allgemeine Unzufriedenheit auswirken. Bei 80 Prozent liegt die Schwelle. Alles was darunter läge, wäre schmerzhaft. Vor allem in der Altmark, im Süden und im Jerichower Land hatte es in den vergangenen Monaten viel Ärger gegeben.

Als „Stendaler ,Camorra‘“, betitelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im Sommer einen Bericht über die Briefwahlaffäre in der Stadt und die Erklärungsnöte des damaligen Landtagspräsidenten und örtlichen Abgeordneten Hardy Peter Güssau. Das Blatt spielte damit auf eine Äußerung des SPD-Politikers Tilman Tögel an, der nach Aufdecken der Briefwahlmanipulationen süffisant anregte, die Stendaler CDU könne sich auch in „Camorra an der Uchte“ – einem kleinen Fluss, der sich durch die Stadt schlängelt – umbenennen. Beim politischen Aschermittwoch der örtlichen CDU hatte sogar Innenminister Holger Stahlknecht den CDU-Kreisvorsitzenden Wolfgang Kühnel einmal launig als den „Paten von Stendal“ bezeichnet.

Nein, es herrscht keine Polit-Mafia in Stendal. Doch die politische Machtzentrale in Stadt und Landkreis ist nicht allein im Rathaus und im Landratsamt, sondern in einer schlichten Wohnung in der Bismarckstraße 19. Dort sitzt der 62-jährige Wolfgang Kühnel. Er ist seit 26 Jahren Kreisvorsitzender und damit der Dienstälteste in der sachsen-anhaltischen Union.

Kühnel verdient sein Geld seit Jahren offiziell als wissenschaftlicher Mitarbeiter unterschiedlicher Bundestagsabgeordneter. Doch er gilt als der Strippenzieher in Stendal.

Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn in der Briefwahlaffäre. Mehr als 30 Vollmachten trug er im Mai 2014 für seinen damaligen Parteifreund Holger Gebhardt ins Rathaus und übergab diesem dann die Wahlunterlagen. Die Ermittler stellten das Verfahren ein. Kühnel fühlt sich seitdem nicht nur juristisch, sondern auch politisch rehabilitiert. Die Kreispartei wählte ihn Ende Oktober erneut für zwei Jahre zum Kreisvorsitzenden. Gegenkandidaten? Fehlanzeige. Zwei innerparteiliche Kritiker, die einst einen Sonderparteitag mit Neuwahlen gefordert hatten und vom Vorstand abgeblockt wurden, waren erst gar nicht erschienen. Über die Rollen von Kühnel und Güssau in der Wahlaffäre gab es auf dem Parteitag kein Wort. Dabei hatte CDU-Landeschef Webel nach der Durchsuchung der CDU-Kreisgeschäftsstelle vor zwei Jahren „vollständige und schonungslose Aufklärung“ versprochen.

Der Erfolgsmotor der selbsternannten „Stendal-Partei“ stottert. Eike Trumpf, seit 25 Jahren Verwaltungschef in Arneburg-Goldbeck, verfehlte vor einigen Wochen krachend seine Wiederwahl. Er konnte gerade einmal 36 Prozent auf sich vereinen. Eines der größten politischen Talente der Altmark hat die Partei verlassen. Ulrich Siegmund (26) sitzt inzwischen für die AfD im Landtag. Die jüngeren CDU-Politiker werden dagegen spöttisch „die jungen Milden“ genannt.

Im Süden des Landes hat die AfD der CDU besonders zugesetzt. Viele erfahrene CDU-Politiker verpassten bei der Landtagswahl den Wiedereinzug ins Parlament. Die Christdemokraten mussten Büros schließen und Angestellte entlassen. Die Arbeit in den Wahlkreisen ist mühsam geworden. „Ich hätte mir schon gewünscht, dass uns der Landesverband stärker unterstützt. Doch da passiert leider nichts“, sagt die Landtagsabgeordnete Eva Feußner. Viele in der Partei seien gefrustet, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende. „Da kam nach der Wahl niemand aus Magdeburg und hat die Mitglieder motiviert und wieder aufgebaut.“ Ein anderer Funktionsträger sagt, in der CDU fehle ein „Kümmerer“. „Da muss sich ein Herr Webel eben mal die Zeit nehmen und in die Ortsverbände reingehen. Auch bei den letzten drei Kreisparteitagen haben wir ihn hier nicht zu Gesicht bekommen.“ Nur Telefonate führen, reiche nicht aus, wird geklagt.

Im Saalekreis geht es seit Wochen drunter und drüber. Der Kreisverband ist zerstritten. Im Kreistag traten im Oktober 19 von 21 Mitgliedern aus der Fraktion aus und gründeten eine neue. Kreischef Steffen Rosmeisl musste zurücktreten und durfte sich von Landrat Frank Bannert anhören, dass er der „schlechteste Kreisvorsitzende“ gewesen sei, den die Partei je gehabt habe. Zwischenzeitlich ging sogar eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein: Mehrere Mandatsträger sollen der Partei Sonderbeiträge vorenthalten haben. Der Posten des Geschäftsführers ist unbesetzt, Buchungen blieben liegen.

Das ist offenbar kein Einzelfall. Auch im Jerichower Land zahlten einige Mitglieder jahrelang gar nicht. Kreischef Gerd Mangelsdorf holte im Sommer eine neue Geschäftsführerin: Yvette Below, die bereits in Stendal für die CDU tätig war. Sie sollte die Partei wieder auf Zack bringen. Doch Belows forsche Art kam nicht bei allen gut an. Als sie ihren Ehemann beauftragte, in der Kreisgeschäftsstelle eine neue Internetverbindung und eine PC-Software zum Einzug der Beiträge zu installieren, kam es zum Eklat. Eine Mitarbeiterin des Landtagsabgeordneten Markus Kurze, in dessen Haus sich die Kreis-CDU eingemietet hat, schlug Alarm. Die Mitarbeiterin meinte, ihr Computer sei verändert worden.

Aus CDU-Kreisen heißt es, dass Markus Kurze, der Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion ist, von da alles versuchte, die Geschäftsführerin wieder loszuwerden. Das hatte auch mit dem Rücktritt von Landtagspräsident Güssau zu tun. Er hatte intern angekündigt: „Wenn ich gehen muss, werde ich noch einige Leute mitnehmen.“ Kurze zählte sich offensichtlich dazu. Denn: Dem Vernehmen nach bekam Kurze Angst, dass ihm mit der PC-Software aus Stendal ein Trojaner aufgespielt worden sei und der Stendaler Güssau ihn ausspioniere. Die Posse ging sogar so weit, dass Kurze seinen Laptop vom Landeskriminalamt auf Spähsoftware untersuchen ließ. Ergebnis: An den Vorwürfen war nichts dran. Gehen musste die neue Geschäftsführerin trotzdem.

Kreischef Mangelsdorf wurde es zu bunt. Er trat nach 15 Jahren im Amt zurück. Nicht einmal von Kreisverband zu Kreisverband herrscht ungeteiltes Vertrauen.

Nun soll es an der Parteispitze eine gravierende Änderung geben. Erstmals seit 1990 wird die Landes-CDU einen Generalsekretär wählen. Der einzige Bewerber heißt Sven Schulze. Der Europapolitiker sagt von sich, dass er die Partei gut kennt, da er viele Jahre als Chef der Jungen Union unterwegs war: „Ich weiß wie Altmärker, Harzer oder der Süden ticken.“

Schulze soll Schwung in die Union bringen – mit Themen und profilbildenden, klaren Ansagen. All zu viel Rücksicht auf die Koalitionspartner SPD und Grüne soll er nicht nehmen, da er im Gegensatz zu Webel nicht mit am Ministertisch sitzt. „Die Leute müssen wieder klar erkennen, wie die CDU denkt.“ Bei Regierungsmitgliedern mit Parteibuch kommt das nicht immer so klar zum Ausdruck wie sich das die Partei wünscht. Jüngstes Beispiel: die Debatte über Kinderehen. Justizministerin Anne-Marie Keding hatte erläutert, warum es nicht so einfach sei, alle Ausländer-Ehen unter 18 aufzuheben und für Ausnahmen ab 14 Jahren plädiert. „Das mag ja juristisch korrekt sein“, meint Schulze. „Aber am Anfang einer Debatte muss unsere Haltung stehen: keine Ehe unter 18.“

Problematisch ist auch die mediale Außenwirkung. Den Kontakt zur Presse und in sozialen Medien pflegt meistens nur die Fraktion, in der Parteizentrale in der Magdeburger Fürstenwallstraße herrscht da oft Funkstille.

Auf den neuen „General“ wartet reichlich Arbeit.