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Cheerleading Weltklasse aus Wernigerode

Vier Mädchen aus dem Harz haben sich einen Traum erfüllt. Sie durften bei der Weltmeisterschaft der Cheerleader in den USA teilnehmen.

09.06.2017, 23:01

Wernigerode l Eigentlich sind die vier Mädchen, die zusammen bei den Junioren der Wernigeröder Dymatix-Cheerleader trainieren, ganz verschieden. Antonia Gerlach, 16, ist die Wortführerin der Gruppe. „Das war das größte Abenteuer in meinem Leben“, sagt sie und meint den zweiten Platz, den die vier gemeinsam mit dem deutschen Nationalteam der Junioren Ende April in den USA errungen haben.

Dann ist da noch Lisa Aust, ebenfalls 16. Sie ist die Lässige der Truppe. Vom Besuch in Orlando im Bundesstaat Florida hat sie ein paar Selfies vor dem Schneewittchen-Schloss im Freizeitpark Disneyworld mitgebracht, erzählt sie. Außerdem im Team: Nesthäkchen Marlene Reichel, 14, und Sarah Czoske, 16, ein stilles Mädchen, das sich lieber im Hintergrund hält und auf Fragen nur zögerlich antwortet.

Doch wenn die vier unterschiedlichen Athletinnen miteinander trainieren und die für den Cheerleading-Sport typischen Hebefiguren und Sprünge vorführen, arbeiten sie perfekt zusammen. Antonia und Marlene fassen sich an den Handgelenken und bilden eine kleine Plattform. Ihre Position nennt sich „Base“ – die Sockel der Truppe. Lisa steht hinter ihnen. Sie ist der „Back“ – die hintere Stütze – und umfasst die Knöchel von Sarah, die auf die Hände der anderen klettert. „One, two, three, four“, zählt Antonia. Zusammen mit Lisa und Marlene drückt sie ihre Arme nach oben. Der „Flyer“ Sarah schießt der Decke der Halle entgegen. Aus dem stillen Mädchen wird in dieser Sekunde der Star der Gruppe: Mühelos verbiegt sie ihren Körper, zieht ein Bein hinter ihrem Körper hoch zum „Scorpion“ (Skorpion) oder reckt es kerzengerade in die Luft zum „Heel Stretch“ (Versen-Stretch).

„Five, six, seven, eight“, zählt Antonia weiter. Die Gruppe wirft Sarah in die Höhe und fängt sie im „Basket“, einem Korb aus sechs Armen, auf. Damit ist der „Stunt“ (dt. Kunststück) beendet. Eben noch hoch konzentriert, scherzen die vier Schülerinnen in der nächsten Sekunde schon wieder herum.

Das Vokabular der Cheerleader ist voll mit englischen Begriffen. Die vier Mädchen und auch die Trainer Marcus und Inga Korsch streuen sie ganz selbstverständlich in deutsche Sätze ein. Obwohl Cheerleading heute auf der ganzen Welt als eigenständiger Sport ausgeübt wird, sind seine Wurzeln in den Anfeuerungs-Teams für Football-Spiele an amerikanischen Universitäten immer noch präsent.

Kein Wunder also, dass für die vier Wernigeröderinnen die Weltmeisterschaft in den USA ein Traumziel war. „Alle Cheerleader haben so ein Bild im Kopf, von der Bühne bei den Weltmeisterschaften“, sagt Antonia. Selbst dabei zu sein, war für alle überwältigend. „Wir sind schon ausgerastet, als wir erfahren haben, dass wir einen Medaillenplatz bekommen haben“, sprudelt es aus Lisa heraus. Dass es am Ende für Platz zwei reichte, übertraf die Erwartungen aller Beteiligten. Trainer Markus Korsch sieht den Erfolg der Gruppe als eine Mischung Talent und persönlichem Einsatz. „Wenn man so eine Gelegenheit bekommt, dann muss man sie auch nutzen“, sagt er.

Zwischen fünf und acht Jahren sind die vier Mädchen schon als Cheerleader aktiv. Per Video bewarben sie sich im September 2016 beim deutschen Junioren-Nationalteam, das im vergangenen Jahr zum ersten Mal zusammengestellt wurde. Bereits im Oktober trafen sie auf andere Viererteams aus ganz Deutschland, die zusammen das 23-köpfige Nationalteam bildeten. Für sechs Wochenend-Trainingseinheiten fuhren die Wernigeröderinnen in den folgenden Monaten zusammen mit Trainer Marcus Korsch über Krefeld, Limburg und das Vogtland quer durch die Republik. Zwischen etlichen Autobahnkilometern, aufgeschobenen Hausaufgaben und Ganzkörpermuskelkater wollte trotzdem niemand ans Aufgeben denken. „Unsere Trainer haben schon viele Motivationsreden gehalten“, erinnert sich Marlene an die anstrengende Zeit.

Genauso wichtig war es für die Mädchen, die anderen nicht hängenzulassen. Denn wenn einer aufgibt, hat auch der Rest des Teams umsonst trainiert. „Die Mädchen brauchen viel Disziplin, sagt Trainerin Inga Korsch. „Einfach beim Training fehlen gibt es bei uns nicht.“

Auch in Florida gab es kaum Freizeit. Elf Tage blieben die Sportlerinnen dort, trainierten fast jeden Tag. An einem freien Tag und zum Wettkampftag ging es in den Komplex des Disneyworld-Freizeitparks. Ansonsten bekam das Team eher unglamouröse Ecken des tropischen Bundesstaates zu sehen. Die Trainingshallen, die sich das deutsche Team von amerikanischen Cheerleader-Truppen auslieh, lagen meist in Industriegebieten. Eigentlich genau wie in Deutschland, erzählt Antonia. Einen Trainingsraum, den ein Team mit einem speziellen, federnden Boden auslegen kann, ist in einer alten Fabrikhalle oft am günstigsten zu haben. Das war im Ursprungsland des Cheerleading-Sports nicht anders. Auch in Wernigerode trainieren die Dymatix-Cheerleader am Stadtrand in Gesellschaft von Stadtwerken und LKW-Waschanlage.

Im Kontrast dazu stand die Unterkunft in einer luxuriösen amerikanischen Villa in einem bewachten Komplex mit dem Namen „Champions Gate“ (dt. Tor der Gewinner). Als habe jemand ihren ungeahnten Erfolg vorausgesehen, scherzt Lisa.

Zurück in Deutschland trainieren die vier Mädchen nur noch einmal in der Woche. Im nächsten Jahr wird das deutsche Junioren-Nationalteam neu zusammengewürfelt. Dann sind Antonia, Sarah und Lisa allerdings schon zu alt für die Junioren-Kategorie.

Der nächste Schritt für die drei wäre der Aufstieg ins Nationalteam der Frauen. Doch der Start bei den Erwachsenen ist schwer. „Man muss erst ein paar Jahre im Frauenbereich trainieren, bis man gut genug ist“, erklärt Antonia. Schwierigere Kunststücke kommen in der höheren Altersklasse hinzu. Die 14-jährige Marlene könnte sich einen weiteren Anlauf auf die Junioren-Weltmeisterschaft in diesem Jahr vorstellen, allerdings muss sie erst mal drei neue Mitstreiter finden.

Wichtiger als der große Erfolg in der Frauenriege ist den vier ohnehin, dass der Zusammenhalt im Team stimmt. Denn sie sind überzeugt: Erst der hat sie bei der Weltmeisterschaft so weit gebracht. „Wenn jemand einen Fehler macht, darf man nicht sauer sein“, sagt Marlene. Antonia pflichtet ihr bei: „Wenn man selber etwas falsch macht, kann man die Schuld auch nicht auf andere schieben.“

Wenn den Cheerleadern ein wirklich verheerender Fehler passiert und ein durch die Luft wirbelndes Teammitglied abzustürzen droht, werfen sich die anderen unter den Fallenden und dämpfen so den Aufprall. Antonia hat sich so schon einmal die Nase angebrochen. Lisa drückt sich während des Interviews nach der Trainingseinheit einen Beutel Eis ins Gesicht. Beim Üben von Überschlägen landete ein Fuß in ihrem Gesicht. Alles halb so schlimm für die Cheerleader. „Das steckt man weg und es geht weiter“, sagt Lisa.

 

Wer Cheerleader live erleben möchte, hat dazu am 10. Juni in der Harzstadt Ilsenburg Gelegenheit. In der Harzlandhalle finden von 10 bis 19 Uhr die 5. Harzer Cheeropen statt. 1500 Cheerleader aus ganz Deutschland haben sich auf Einladung des Dymatix-Vereins zum Wettkampf angekündigt. Nähere Informationen gibt es hier.