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Denkmal Nährboden für den Fall der Mauer

Eine mutige Aktion des Pfarrers Friedrich Schorlemmer sorgte im Jahr 1983 in der DDR für Aufsehen. Seit Sonntag erinnert ein Denkmal daran.

05.03.2017, 23:01

Wittenberg l Samstagabend, 21.30 Uhr. Im Lutherhof haben sich mehrere Hundert Menschen versammelt. Sie haben Angst – und schauen doch gebannt auf den Mann mit dem Werkzeug in der Hand. Wie Schmied Stefan Nau mit dem Hammer auf das Schwert einhaut. Lieder singen sie. Lesen Gedichte. Dass diese Schmiedeliturgie einmal in die Geschichte eingehen würde, ahnen sie an diesem Abend noch nicht.

Es war am 24. September 1983, als Stefan Nau auf dem Evangelischen Kirchentag in Wittenberg ein Schwert zu einer Pflugschar umgeschmiedet hat. Die Initiative dazu war von dem Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer ausgegangen. Die pazifistische Aktion gilt heute als wichtige Etappe, als Nährboden auf dem Weg zur friedlichen Revolution sechs Jahre später.

„Schwerter zu Pflugscharen“ ist ein biblisches Zitat aus dem Buch Micha. In der Vision geht es um eine Welt, in der Schwerter umgeschmiedet werden und kein Volk mehr Kriege führt. „Wir hatten damals Angst, dass die weltweite Rüstung und Militarisierung nicht zu mehr Sicherheit, sondern zum Weltuntergang führen“, sagt Friedrich Schorlemmer heute. Er erinnert sich noch gut an den Abend im Lutherhof. „Wir wollten den Leuten mit der Aktion Mut machen. Viele wurden wegen ihrer klaren Haltung angefeindet und bedrängt.“ Die Bilder aus Wittenberg gingen 1983 um die Welt. Sie wurden zum Symbol der Friedensbewegung in Ost und West. Tausende junge Menschen, nicht nur Christen, trugen einen vom Staat verbotenen Aufnäher auf Jacken und Parkas.

In vielen Orten sorgte das für scharfe Auseinandersetzungen mit dem DDR-Regime. Heinrich Sonsalla, langjähriger Chef der Wohnungsbaugesellschaft in Magdeburg, hat das als Jugendlicher im Harz erlebt. „Gemeinsam mit Freunden hatte ich an der Milchbar in Halberstadt oft ein Kofferradio aufgestellt und laut Musik gehört. An einem Tag kam plötzlich die Polizei angefahren, hat uns an den Haaren gezogen und die Aufnäher mit einer Schere abgeschnitten“, erinnert er sich. Sonsalla war dem Regime ein Dorn im Auge: christliches Elternhaus, Wehrdienstverweigerer, in der Freizeit Rockmusiker – der junge Mann hat die Folgen seines Lebensstils im Alltag häufig zu spüren bekommen. „Ich hatte Hass auf dieses verfaulte System. Sogar meine Eltern wurden deshalb wegen mir drangsaliert“, sagt er.

Sonsalla blieb wie viele andere schließlich in der Kirche hängen. „Die Kirchen waren der einzige Ort, die offen für alle Menschen waren. Sie boten Räume und nahmen uns auf.“ Die Jugendlichen feierten moderne Beat- und Bluesmessen, durften in den heiligen Hallen sogar Lieder der Rolling Stones spielen.

„Das waren Orte, die frei von Demütigungen waren“, sagt Sonsalla. Ähnlich hat auch Gabriele Herbst die Zeit in den 70er und 80er Jahren als Pfarrerin in Magdeburg erlebt. „In allen kirchlichen Gruppen, ob unter Jugendlichen, Frauen oder Männern, haben wir damals über militärische Gewalt und Gewaltverzicht diskutiert. Das war das beherrschende Thema“, sagt sie. „Bei uns konnte das angesprochen werden, was anderswo totgeschwiegen wurde.“

Herbst und ihr Mann haben die Aufnäher mit dem „Schwerter zu Pflugscharen“-Symbol an die jungen Leute verteilt und Friedensplakate mit Jugendlichen gemalt. „Wir mussten immer ausloten, wie weit wir gehen konnten, um nicht der Stasi in die Hände zu fallen. Wir wollten niemanden in Gefahr bringen“, sagt sie. „Friedrich Schorlemmer war mutiger als andere, seine Aktion in Wittenberg war spektakulär und gefährlich. Das hätten wir uns damals nicht getraut – wir hatten kleine Kinder. Ich hatte immer Angst, irgendwann ins Gefängnis zu kommen.“ Herbst sagt, den wenigsten sei es in der Kirche damals um einen Systemumsturz gegangen. „Wir haben an einen verbesserlichen Sozialismus geglaubt, mit mehr Gerechtigkeit und Frieden.“ Daraus wurde nichts. „Gott sei Dank“, sagt die Pfarrerin heute und fordert: „Die Kirchen müssen wieder politischer werden. Die Demokratie in diesem Land ist am kränkeln. Das erfüllt mich mit Sorge.“ In der DDR sei sie „agressiv“ geworden, wenn jemand zu ihr sagte, die Kirche solle sich nicht in die Politik einmischen. „Die Kirche kann gar nicht anders. Mit ihrem Gründer Jesus Christus ist sie durch und durch politisch.“