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Eliten Für Ostdeutsche wird oben die Luft dünn

Die Führungsschicht der DDR wurde nach der Wende ausgetauscht - fast komplett. Ostdeutsche sind heute selten an der Spitze.

Von Steffen Honig 21.06.2017, 01:01

Berlin l „Fruchtbare Ergebnisse“ wünscht Michael Ermrich dem Symposium im Haus des Ostdeutschen Sparkassenverbandes in Berlin-Mitte. Ermrich ist als Präsident der Organisation Hausherr und kann zum Tagesthema selbst etwas beitragen: Debattiert wird über Eliten in Ostdeutschland.

Dazu gehört der Träger des Verdienstkreuzes am Bande seit Jahren auf unterschiedlichen Ebenen. Der studierte Ingenieur stieg nach der Wende 1990 in seiner Heimat Wernigerode in die Politik ein, wurde Oberkreisdirektor und später mit CDU-Mandat Landrat. Damit gehört der Harzer 2010 zu einer raren Spezies, wie sich im Weiteren herausstellen sollte.

Denn was vier Wissenschaftler von der Universität Jena und der Fachschule Zittau/Görlitz an Expertise vorlegen, ist ernüchternd: Die Ossi-Präsenz in Führungsjobs – egal ob Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik – hält sich in strengen Grenzen und liegt meist unter dem Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik. Insofern gibt es keine großen Unterschiede zu früheren großen Studien zur Ost-Elite von 1996 und von 2007.

Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, konstatiert in einem Grußwort, dass mehr als die Hälfte der Staatssekretäre in ostdeutschen Landesregierungen und drei Viertel der Abteilungsleiter aus Westdeutschland stammen. „Es existiert de facto eine Lücke in der Vertretung ostdeutscher Interessen“, stellt die thüringische SPD-Politikerin fest.

Für die Ursache steht ein Begriff: Elitenaustausch. Der wurde mit dem Zusammenbruch des DDR-Staatswesens 1989/90 und dem Beitritt zur Bundesrepublik auf allen Ebenen durchgesetzt. Mit einer Gründlichkeit, die in der deutschen Geschichte ihresgleichen sucht.

Das sei auch dringend geboten gewesen, sagt der emeritierte Professor Wolfgang Bergsdorf in einer Diskussionsrunde, die so mit Emotionalität aufgeladen ist, als seien die Schlagbäume zwischen Ost und West erst gestern hochgegangen.

Politologe Bergsdorf leitete u. a. Helmut Kohls Büro als CDU-Vorsitzender und erinnert warnend: „Wir dürfen nicht vergessen, dass es zwei Millionen SED-Mitglieder gab und vier Millionen Profiteure des Regimes, die ihre Loyalität nicht abgegeben haben.“

Der Ritter der Ehrenlegion und zweifache Träger des Bundesverdienstkreuzes wurde selbst auf einen Elite-Posten im Osten berufen: Im Jahr 2000 wurde er Rektor der noch jungen Universität Erfurt: Von den dort Beschäftigten seien in der Verwaltung bis auf zwei Spitzenleute alle Ossis gewesen, bei den Professoren wäre das Verhältnis umgedreht gewesen.

Völlig normal findet das der ehemalige Rektor: Die Leute hätten nicht in zehn Jahren das lernen können, was die Fachkräfte in 50 Jahren an Wissen gesammelt hätten. Im übrigen sei der Systemübergang in der Ex-DDR am besten von allen Ostblockstaaten geglückt, „weil es gelungen ist, die Eliten auszutauschen“, findet Bergsdorf.

Heinrich Best kam als Soziologieprofessor bereits 1992 aus Köln an die Friedrich-Schiller-Universität Jena. Best fühlt sich als Wossi wohl unter den Ost-Kollegen. Die alten Eliten hätten schon damals keine Rolle mehr gespielt: „Die Uni war schon gereinigt.“

Mitdiskutantin Sylivia Bretschneider aus Waren an der Müritz, seit 2002 Landtagspräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, hält es kaum noch auf ihrem Stuhl. Sie zweifelt an, dass zwei Millionen Parteimitglieder auch alle treue Gefolgsleute der Führung gewesen seien: „Nach meinen Erfahrungen waren über 50 Prozent nicht loyal.“ Andererseits habe es viele Menschen gegeben, so die SPD-Politikerin, die die Sozialismus-Idee toll fanden, ohne in der SED zu sein.

Als die Bamberger Politologin Ursula Hoffmann-Lange nochmals den Eliten-Austausch lobt und darauf verweist, dass es nach der Nazizeit eine Eliten-Kontinuität gegeben habe, fährt ihr Bretschneider entschieden in die Parade: „Die Eliten der Nazizeit sind nicht zu vergleichen mit denen der DDR.“ Zu den personellen Westimporten hat sie eine klare Meinung: Viele haben helfen wollen, viele seien aber auch in den Osten abgeschoben worden.

Wie geht es nun weiter mit der schwachbrüstigen Ost-Elite?

Raj Kollmorgen, der in Magdeburg promoviert hat und sich derzeit an der Fachschule Zittau mit dem Management des sozialen Wandels befasst, setzt für Forschungszwecke die neue, nicht ausgetauschte Elite mit den Jahrgängen ab 1976 an, also von gut 40 Lebensjahren abwärts. Es gelte auch hier: „Je höher es geht, umso dünner wird die Luft für Ostdeutsche. Bundesrichter aus dem Osten kann man mit der Lupe suchen.“

Ohne Eingriffe werde sich daran nichts ändern, meint der Leipziger, schon weil auch jüngere Ossis zur „Selbstmarginalisierung“ neigten. Sprich: Ihnen fehlen Selbstbewusstsein und Ellbogen-Mentalität der westdeutschen Konkurrenz. Die früher geplante Karriere ist dem persönlichen Konkurrenzkampf gewichen.

Die Überlegungen des Wissenschaftlers führen geradewegs zu Spitzenposten. Die hält Kollmorgen jedoch für politisch nicht durchsetzbar. Möglich wäre eine solche Quotierung nur, wenn auch andere soziale Gruppen wie „Frauen, Migranten und Milieus unterhalb der Mittelschicht“ in die Eliten aufsteigen könnten.

Einem Gast im Publikum, nach seiner Aussage in der letzten, demokratisch gewählten DDR-Regierung mitverantwortlich für die Abwicklung der Nationalen Volksarmee, ist die gesamte Debatte zu abstrakt: „Ich musste 50  000 Soldaten, 54  000 Zivilbeschäftigte und 110  000 Rüstungsarbeiter entlassen. Ich träume heute noch davon“, sagt er sichtlich bewegt.

Das wären schon mal gut 200  000 Menschen, die für eine Eliten-Bildung im neuen Ostdeutschland verloren gingen. Ex-Professor Bergsdorf ficht das nicht an. Das Thema Ost-Eliten hat für ihn ohnehin „abnehmende Relevanz“.