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Enge Räume Wenn die Anstkurve nach oben geht

Mit Ängsten muss man sich konfrontieren, sagt Psychotherapeutin Martina Minkner im Interview mit Massimo Rogacki.

29.05.2016, 03:00

Volksstimme: Wann wird Angst zum Problem?

Martina Minkner: Die Störung setzt da ein, wo das Leben beeinträchtigt ist. Wenn man spürt, dass die Angst unangemessen ist, die Person mit übermäßigem Vermeidungsverhalten reagiert und der Lebensradius eingeschränkt ist – dann sprechen wir von einer Angststörung.

Was halten Sie von Selbstversuchen?

Das hat bereits Goethe gemacht. Um seine Höhenangst zu überwinden, stieg er auf das Straßburger Münster. Er wusste: Wenn ich meine Angst überwinden will, muss ich mich mit ihr konfrontieren. Die Konfrontation ist ein Behandlungselement in der Verhaltenstherapie und kann bei allen Angst-, bei Zwangsstörungen, Hypochondrie und teilweise auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt werden.

Wie läuft das ab?

Der Patient begibt sich mit einem Verhaltenstherapeuten in die angstbesetzte Situation. Häufig ist das Angstlevel bereits sehr hoch. Dann kann ich als Therapeutin in der Situation motivieren. Nach der Devise: Wir machen das jetzt, du stehst das durch. Und ich kontrolliere, ob sich der Patient der Situation aussetzt. Wenn einige dieser Situationen erfolgreich durchgestanden wurden, entwickeln wir eine Anleitung, wie der Patient allein weitermachen kann.

Und das funktioniert gut?

Das Ziel der Exposition ist ein Gewöhnungsprozess. Die Angst soll erlebt werden und wieder abflachen. Ganz wichtig ist, dass die Exposition langanhaltend ist. Die Angstkurve geht dann häufig nach oben. Wichtig ist, so lang auszuhalten wie möglich. In ihrer Situation: Sie müssen im Fahrstuhl bleiben, bis das Herzklopfen weniger wird, bis es aushaltbar wird. Irgendwann sollte der Gedanke einsetzen: Das macht mir nichts aus, das könnte ich ewig durchstehen. Wenn zu früh abgebrochen wird, tritt die Lernerfahrung nicht ein. Es kommt nicht zu einer korrigierenden Erfahrung, die Angst bleibt. Die Methode funktioniert nur, wenn sie wiederholt wird, sonst ist der Effekt nicht nachhaltig.

Und mein Fall?

Die Flugzeug-Situation klingt typisch. Sie waren körperlich gestresst und dann braucht es manchmal nur einen kleinen Auslöser. Sie haben einen Schreck bekommen, etwas Emotionales hat sie belastet. Vielleicht hat das Fliegen noch etwas in Ihnen verändert. Es klingt nach einer Panikattacke.

Ist es typisch, dass sich die Angst auf andere Situationen übertrug?

Ja. Aufgrund dieser Generalisierung begeben sich viele Menschen in Behandlung. Bei Ihnen ging es um enge geschlossene Räume, viele Menschen. Sie haben offensichtlich eine Lernerfahrung gemacht. Ihr Kopf reagiert, wenn Sie an die Ursprungssituation erinnert werden. Ihr autonomes Nervensystem springt an. Sie können nichts gegen diese Schaltung tun. In einer Therapie können dann aber neue Lernerfahrungen gemacht werden.

Meinen Sie, ich hätte besser Hilfe in Anspruch nehmen sollen?

Sie haben schon ziemliche Einschränkungen erlebt. Klaustrophobie ist eine Form der Agoraphobie (Platzangst, Anm. d. Red.). Sie hätten sicherlich einen Grund gehabt, in eine Psychotherapie zu gehen.

Ich bin aufgeregt, wie ich beim Selbstversuch reagieren werde?

Es deutet bei Ihnen vieles darauf hin, dass es um den geschlossenen Raum geht. Das ist schon eine ordentliche Exposition, die Sie sich zumuten. Es wird ziemlich sicher eine physiologische Reaktion geben, weil es für Sie eine angstbesetzte Situation ist. Sie können keine Spannungen abbauen und sich kaum im Fahrstuhl bewegen.

Kann ein Selbstversuch gefährlich werden?

Eine Stressreaktion ist per se ungefährlich. Der Mensch hält das aus. Klar ist es unangenehm. Vielleicht hilft es Ihnen, zu wissen, dass die Exposition ein Teil der Therapie sein kann. Versuchen Sie sich vor Augen zu rufen: Das ist „nur" Angst und in mir gespeichert. Irgendwann versteht Ihr Körper, dass es eine  ungefährliche Situation ist.

Beratung in Magdburg: „Kobes“, Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen, (0391)40 22 41 84, kontakt@kobes-magdeburg.de. Sozialpsychiatrischer Dienst: (0391) 540 60 75 60 84, Hotline: 115. Auf der Internetseite Ihres Landkreises finden Sie den jeweiligen Sozialpsychiatrischen Dienst. Sprechen Sie vertraulich mit den Autoren über Ihre Ängste: angst@volksstimme.de.