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Erfinderpreis Mit Zauberwatte gegen die Ölpest

Mit einer Patentanmeldung für eine weiße Watte geht eine kleine Firma aus Sachsen-Anhalt ins Rennen um den Europäischen Erfinderpreis.

12.06.2017, 23:01

Elsteraue l Fast wie reguläre Watte aus dem Badezimmer fühlt sie sich an. Ein wenig griffiger vielleicht, denn sie besteht aus feinsten Wachsfäden. Doch das Produkt, das die Firma Deurex in Elsteraue bei Zeitz herstellt, kann mehr als Creme aufsaugen. Es kann eine Ölpest bekämpfen – und nimmt dabei ausgelaufenes Öl effektiver auf als die Mittel, die in der Vergangenheit bei großen oder kleinen Havarien eingesetzt wurden.

Die Präsentation des Wunderstoffes in den Geschäftsräumen des Unternehmens übernimmt Produktmanager Steffen Remdt. Dafür gießt er Salatöl in einen Messbecher mit Wasser und wirft eine kleine Menge der sogenannten Zauberwatte, die offiziell Deurex Pure heißt, hinein. Langsam aber stetig saugt die Watte das gelbe Öl auf. Remdt fischt das Wattebündel wieder heraus und presst es mit einer Gabel aus. „Bei anderen Ölbindemitteln fragt man sich: Wie kriege ich das Öl da wieder raus?“, sagt der 37-Jährige. „Aber die Saugwirkung von Pure ist ein physikalischer Prozess und deshalb umkehrbar.“ Statt mit einer Gabel können große Mengen des Stoffes in einer Zentrifuge vom Öl getrennt und wiederverwendet werden. Herkömmliche Ölbekämpfer wie Kunststoffschwämme, Zellulose oder Kieselalgen-Mehl müssen nach dem Einsatz entsorgt werden.

Am Donnerstag erfährt das 25-köpfige Team um Firmengründer Günter Hufschmid, ob ihr Produkt einen Erfinderpreis des Europäischen Patentamts gewinnt. Und das, obwohl dieselbe Organisation den ersten Antrag auf ein Patent für die Zauberwatte abgeschmettert hatte. „Der Effekt der Wachswatte war wohl einfach zu unglaublich“, erklärt sich der 58-Jährige das. Doch Hufschmid, der Deurex kurz nach der Wende mit Mitteln aus dem Aufbau-Ost-Programm gründete, hatte eine Lösung: Samt Watte beim Amt vorbeischauen. Hufschmid hat sich seit der Erfindung der Watte an ungläubige Gesichter gewöhnt. „Natürlich gibt es hier und da Skepsis, aber eine praktische Vorführung hat bis jetzt meistens die letzten Zweifel ausgeräumt“, sagt er.

2013 kam das Produkt Deurex Pure auf den Markt, bereits 2010 stellte die Fabrik in Elsteraue zum ersten Mal Zauberwatte her – aus Versehen. Ein Mitarbeiter hatte eine Maschine, die eigentlich feines Wachsgranulat produzieren sollte, falsch eingestellt. Über Nacht entstanden 10 Tonnen weiße Watte. Zum Wegschmeißen war sie Hufschmid zu schade. Stattdessen experimentierte sein Team mit dem Zufallsprodukt. Weil zur selben Zeit Bilder der havarierten Bohrplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko um die Welt gingen, probierte Hufschmid aus, ob die Watte Öl aufsaugen konnte – mit Erfolg.

Das Geheimnis der Zauberwatte-Saugkraft ist die große Oberfläche, erklärt Steffen Remdt. Ein Gramm des Stoffes kommt auf drei Quadratmeter. Das Öl verfängt sich in den feinen Fäden, von denen manche nur Nanometer groß sind. Die Wachsoberfläche weist Wasser ab. Deswegen nimmt die Watte nur Öl auf und schwimmt beim Einsatz in Gewässern oben. Weil sie sich anders als herkömmliche Granulate zur Ölbekämpfung nicht verteilt, kann einfach wieder abgefischt werden.

Weitere Vorteile haben dem Produkt zur Nominierung verholfen: Die Watte ist saugfähiger als herkömmliche Ölbekämpfungsmittel, die nur vier bis fünf Liter Öl pro Kilogramm binden. Die durstige Zeitzer Watte schafft 6,6 Liter pro Kilo. Außerdem saugt sie auch dünne Ölfilme von der Wasseroberfläche, wie sie zum Beispiel durch auslaufenden Diesel von Booten enstehen. Freizeithäfen im Leipziger Seenland und der Landesbetrieb Küstenschutz in Schleswig-Holstein beziehen die Pure-Produkte deshalb bereits. Der Küstenschutz nutzt zurzeit noch ein Produkt aus Vlies für die häufig auftreten Diesel-Lecks. „Das Vlies-Material stößt irgendwann an seine Grenzen“, sagt Peter Mause vom schleswig-holsteinischen Landesbetrieb. „Wir wollen uns deshalb technisch weiterentwickeln.“ Auch für den Einsatz in der Windkraft-Industrie haben die Zeitzer schon eine Idee. Zusammen mit der Wartungsfirma Rotor Rope aus Mecklenburg-Vorpommern entwickelten sie eine Manschette, die an Windkraftanlagen austretendes Öl auffangen kann.

Noch werden in Elsteraue nur 100 Tonnen Watte im Jahr hergestellt, eigentlich reicht die Kapazität für 700 Tonnen. Ein Problem hat das ultraleichte, aber voluminöse Produkt nämlich: Beim Versand in alle Welt nimmt es viel Platz weg. Für den großflächigen Einsatz außerhalb Europas müsste es vor Ort hergestellt werden. Vorerst bleibt die Zauberwatte für das Unternehmen also nur ein Nebenverdienst.

Inzwischen bietet Deurex die Watte auch in Netzschläuchen, -säcken und als Kanalabdeckung an. Während des Elbehochwassers im Jahr 2013 entstanden diese Produktideen, als sich Kommunen bei der Firma meldeten und Mitarbeiter und Feuerwehrleute gemeinsam ausrückten. „Es war unglaublich lehrreich, Feedback von den Einsatzkräften zu bekommen“, sagt Steffen Remdt. Neben der Erprobung bei der Sachsen-Anhalt-Flut ist Günter Hufschmid besonders stolz auf den Einsatz des Produkts gegen Ölverschmutzungen im Nigerdelta im Jahr 2015, der zusammen mit einer Münchner Hilfsorganisation organisiert wurde.

Heute reisen Steffen Remdt und Günter Hufschmid, der in München lebt, nach Venedig. Am Donnerstag nehmen sie dort zusammen mit zwei anderen Mitarbeitern an der Preisverleihung des Patentamts teil. In der Kategorie „Kleine und mittlere Unternehmen“ tritt die Zauberwatte gegen zwei andere Erfindungen an. „Egal, ob wir Erster werden oder Dritter bleiben: Dass wir als kleines Unternehmen soweit gekommen sind, darauf sind wir stolz“, sagt Steffen Remdt. Von dem Wettbewerb verspricht er sich, dass die Bekanntkeit der Zauberwatte aus Sachsen-Anhalt weiter steigt. „Hier und da muss der eine oder andere Feuerwehrmann oder Firmenmitarbeiter auf uns aufmerksam werden“, sagt er. „Davon leben wir.“