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Ethnologie Beobachter einer knallharten Welt

Das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung Halle weiht am Donnerstag einen Anbau ein. Doch was erforschen Ethnologen eigentlich?

Von Alexander Walter 15.06.2017, 01:01

Halle l In den Glaskästen im Flur ist es noch zu bestaunen: Das Erbe der einstigen Völkerkunde. In warmes Licht getaucht, stehen Ledersättel und Trinkgefäße aus Asien und Afrika. Es sind Zeugen einer zeitlich nahen und doch weit entfernten Vergangenheit.

Wir sind im Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle, malerisch auf einem Hügel der Altstadt gelegen. In der einstigen Fabrikantenvilla und ihren modernen Anbauten arbeiten mehr als 175 Wissenschaftler. Doch was genau machen eigentlich Ethnologen? Laien fällt dazu ja erstmal die alte Völkerkunde ein. „Die Ethnologie war früher eng verbunden mit der kolonialen Verwaltung“, sagt Institutsdirektorin Marie-Claire Foblets. Es ging darum, die Welt zu verwalten. Damit das gelang, musste man sich mit fremden Kulturen bekannt machen. In der Gewissheit europäischer Überlegenheit zogen Ethnologen aus und bewerteten das Leben in der für sie fremden Welt. „Heute wissen wir, dass dieses Projekt scheiterte“, sagt Foblets. „Wir werden nicht gern an unsere koloniale Vergangenheit erinnert.“

Nicht nur der Name der Wissenschaft hat sich deshalb geändert. Aus Völkerkunde wurde Ethnologie, aus Ethnologie wird zunehmend Sozialanthropologie. Gewandelt hat sich vor allem der Blick auf den Forschungsgegenstand – die menschlichen Kulturen. „Wir haben großen Respekt“, betont Foblets. „Sie sind keine Objekte für uns.“

Die gebürtige Belgierin fasst ihre Wissenschaft so zusammen: „Man versucht einer Kultur offen und ohne Bewertung so nahe zu kommen, wie möglich.“ Das Fasziniertsein davon, wie Gesellschaften funktionieren, das ist aus ihrer Sicht Ethnologie. Um ihrem Forschungsgegenstand auf die Spur zu kommen, gehen Ethnologen weite Wege. Sie lernen die Sprache der zu beobachtenden Gruppe und nehmen an deren Leben teil. „Solche Feldforschungen können ein Jahr und länger dauern“, sagt Forschungskoordinatorin Bettina Mann. Längst sind dabei nicht mehr nur entlegene Völker Gegenstand.

Ethnologen sitzen heute in Gerichtssälen, sind Teil von Bürgerinitiativen oder beobachten Sitzungen der Vereinten Nationen. Die Grundfragestellung dabei ist immer ähnlich: Wie gehen Menschen mit Fragen des Miteinanders und Überlebens um? Die Antworten können wichtige Erkenntnisse liefern, etwa wenn es um das Eindämmen von Hungerkatastrophen geht. So ist es sinnvoll von Kulturen zu wissen: Wie wird die Nahrung verteilt? Wer entscheidet wie und aus welchen Gründen? Solche Forschungen sind stark zweckbezogen. Ethnologen werden damit zu gefragten Beratern der Politik. Erste Aufgabe jedes Max-Planck-Instituts aber ist die Grundlagenforschung. Dabei kann es auch schon mal um Grundsätzliches gehen, etwa die Frage: „Ab wann ist ein Verhalten Kultur?“

Das MPI hat sich daneben auf Asien und Ostafrika spezialisiert. Eine Abteilung hat etwa untersucht, wie sich Religionen in ehemals sozialistischen Ländern entwickelten. Das Geld für die Forschung kommt von Bund, Land und Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG). 18 Jahre nach der Gründung arbeiten heute Doktoranden und Postdoktoranden aus aller Welt im Institut. Mit einem neuen Gebäude erhalten sie mehr Platz zum Arbeiten. Am Donnerstag wird der vier Millionen teure Flügel der Abteilung „Recht und Ethnologie“ eingeweiht. Übergeben werden 20 Büros für 40 Mitarbeiter.

Foblets freut die Einweihung. Aus ihr spricht aber auch die moderne Ethnologin: „Wir wissen, wir tragen eine große Verantwortung“, sagt sie. „Die Welt, die Ethnologen heute erforschen, ist für die Menschen, die in ihr leben, knallhart.“