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Feuerwehr Zündeln für die Forschung

Die Feuerwehr arbeitet unter extremen Bedingungen. Am Institut in Heyrothsberge werden neue Verfahren getestet und erforscht.

Von Matthias Fricke 12.10.2016, 01:01

Heyrothsberge l Die tödliche Gefahr kann im Einsatz hinter jeder Wohnungstür lauern. So wie in Hamburg vor zwei Jahren: Dreimal in einer Nacht rücken die Rettungssanitäter in die gleiche Straße aus. Um 22 Uhr klagt zunächst ein 60-Jähriger über Herzprobleme, gegen 2 Uhr stürzt eine 75-Jährige und um 4 Uhr klagt ein 21-Jähriger über Übelkeit. Niemand sieht zunächst einen Zusammenhang. Erst als am nächsten Tag die Feuerwehr erneut zu dem Mehrfamilienhaus gerufen wird, haben die Einsatzkräfte einen schlimmen Verdacht.

Weil ein Schornsteinfeger zufällig in der Nähe ist, kann der mit einem Kohlenmonoxid-Messgerät (CO) aushelfen. Die Konzentration des geruchlosen und nicht sichtbaren Gases ist so groß, dass die Feuerwehrmänner das Haus ab sofort nur noch mit Atemschutz-Masken betreten. Sie beschließen, alle Wohnungen zu durchsuchen. Am Ende steigt die Zahl der Opfer auf 13 Verletzte und drei Tote. Eine defekte Heizungsanlage soll am Ende für die Entstehung des giftigen Kohlenmonoxides verantwortlich sein.

Nicht nur dieser Vorfall hat die Experten und Forscher alarmiert: Auch die Feuerwehr Wiesbaden machte 2015 eine interessante Entdeckung, als sie ein halbes Jahr lang alle Rettungseinsätze analysierte. Sie rüstete die Sanitäter mit Messgeräten aus und stellte fest, dass in 60 Fällen die Kohlenmonoxid-Warner ansprangen. Bei 34 Einsätzen gab es mehr als 50 vergiftete Patienten und drei Tote.

Jan Voigt, Leiter der Abteilung Forschung des Institutes für Brand- und Katastrophenschutz in Heyrothsberge: „Das Gefährliche daran ist, dass die Einsatzkräfte keine Chance haben, ohne Warngerät diese Gefahr zu erkennen.“ Die Sinnesorgane erfassen sie nicht. Auch Mediziner können die Vergiftungssymptome wie Kopfschmerzen, Schwindel oder Erbrechen nicht immer gleich der CO-Vergiftung zuordnen.

„Wir haben festgestellt, dass die CO-Vergiftungen auch in Sachsen-Anhalt zu nehmen“, sagt Voigts Kollege Michael Neske. Ob Suizide oder Unfall durch einen Grill in Innenräumen, defekte Heizungsanlagen oder verstopfte Schornsteine – die Ursachen seien vielfältig. Der Forscher ist nun damit beauftragt, einen Leitfaden für die 1500 Freiwilligen Feuerwehren und die Rettungsdienste im Land zusammenzustellen. Einige Feuerwehren haben bereits die rund 200 Euro teuren Geräte. Doch die Ausstattung durch die Kommunen sei oft unterschiedlich. Außerdem müsse den oft ehrenamtlichen Einsatzkräften für die Messgeräte eine Hinweiskarte an die Hand gegeben werden, in denen alles Wichtige zur Gefahr durch Kohlenmonoxid zusammengefasst ist.

Insgesamt gibt es neun solcher Projekte, an denen aktuell im Institut geforscht und gearbeitet wird. Vier Aufträge stammen aus der Innenministerkonferenz, drei aus dem Land Sachsen-Anhalt und zwei vom Bund.

Eine Studie beschäftigt sich mit der zentralen Frage: Welchen Temperaturen sind Feuerwehrleute in der heutigen Zeit ausgesetzt? Die Antwort ist unter anderem für die Ausrüstung der Feuerwehrmänner entscheidend und könnte lebenswichtig sein. Die letzten Untersuchungen stammen aus den 70er oder 80er Jahren.

„Heute werden aber mehr Kunstoffe verbaut, die einen viel höheren Heizwert haben“, sagt Voigt. Auch der Rauch und Qualm könnte die Temperaturen beeinflussen. Das Ergebnis der Studie könnte auf alle 1,3 Millionen Feuerwehrleute in ganz Deutschland Einfluss haben. Den Auftrag für diese Untersuchung gab die Innenministerkonferenz.

Um Daten von tatsächlichen Wohnungsbränden zu erhalten, statteten die Heyrothsberger Forscher Einsatzkräfte der Feuerwehren in Bochum, Dortmund und Amsterdam aus. Diese sollen nun bei Innenbränden die Geräte an den Atemschutzgeräten tragen. „Wir haben extra große Feuerwehren ausgesucht, um möglichst viele solcher realen Brände untersuchen zu können“, sagt Voigt.

Bisher gebe es nur Daten, die unter Laborbedingungen durch das Bundesamt für Materialforschung (BAM) erhoben wurden. „Die realen Bedingungen haben aber sehr großen Einfluss, weil bei Wohnungsbränden sehr komplexe Prozesse ablaufen“, sagt der Forschungschef. Die aktuelle Schutzkleidung der Feuerwehren sei zwar sehr gut, nur müssten die Normen angepasst werden.

„Die Probleme, denen sich die Einsatzkräfte in der heutigen Zeit stellen müssen, werden immer komplexer“, ist auch der Direktor des Institutes, Frank Mehr, überzeugt. Die Gefahren, die sich zum Beispiel aus neuen Stoffen oder Entwicklungen ergeben, müssten erkannt und sofort in die Lehre gegeben werden.

Aus diesem Grund hat das Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2014 das seit 1967 bestehende Institut der Feuerwehr und die 1938 gegründete Brand- und Katastrophenschutzschule zusammengelegt. Während jährlich rund 5000 Männer und Frauen zu Gruppenführern oder Katastrophenschützern ausgebildet werden, arbeiten die Forscher unter anderem an neuen Löschmethoden. „Man kann es auf den Punkt bringen. Wir sind die Dienstleister für die Einsatzkräfte im Ehrenamt“, sagt Mehr.

Dazu können sie auf vier Laborhallen zurückgreifen, die zum Beispiel Sprinkleranlagen in mehr als zehn Meter Höhe testen können. „Das ist in der Größe einzigartig in ganz Deutschland“, meint Forschungsleiter Jan Voigt.

Aktuell stehen moderne Hochdruck-Löschverfahren in den Brandlaboren auf dem Prüfstand. Dazu entzünden die Feuerwehr-Experten einen Holzstapel, der acht Minuten lang vor sich hin lodert. Die Zeit entspricht ungefähr der, die von einer Feuerwehr im Durchschnitt zur Anfahrt benötigt wird.

Brandingenieur Michael Neske: „Wir entwickeln hier Prüfvorschriften für Hochdrucklöschsysteme, um sie miteinander vergleichbar zu machen.“ Noch gäbe es dafür keine Normen.

Die Geräte sollen die Feuerwehren erheblich entlasten. Der Vorteil: Während ein Feuerwehrmann pro Minute mit einem herkömmlichen Strahlrohr 135 Liter Wasser pro Minute verbraucht, sind es unter Hochdruck nur 35 Liter. „Das liegt daran, dass der Strahl mit etwa 100 bar Druck zu feinem Nebel zerstäubt wird“, sagt Neske. Das Forschungsprojekt soll in Kürze abgeschlossen sein.

Dann kommen neue Forschungsaufträge aus ganz Deutschland.