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Flüchtlinge Stahlknecht: "Unsicherheiten sind noch groß"

Sachsen-Anhalt will trotz zurückgehender Flüchtlingszahlen die Kapazitäten noch nicht zurückfahren, sagt der Innenminister im Interview.

Von Jens Schmidt 10.04.2016, 06:00

Mit wie vielen Flüchtlingen muss Sachsen-Anhalt in diesem Jahr rechnen?

Holger Stahlknecht: Wir rechnen mit einer Zahl zwischen etwa 9000 und 25 000. Die Unsicherheiten sind noch groß. Wir wissen nicht, wie die Abkommen wirken und wie viele Menschen im Sommer übers Mittelmeer nach Europa fliehen.

Das Land plante Ende 2015 mit 10 000 Erstaufnahmeplätzen. Sind die noch nötig?

Nein, das sicher nicht. Dafür sind zwei Entwicklungen entscheidend: Erstens kommen seit März deutlich weniger Flüchtlinge – und zweitens gehen die Verfahren wesentlich schneller. Was früher Monate und Wochen dauerte, geht in klaren Fällen wie etwa bei Syrern bald in vier Tagen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stockt im April seine Mitarbeiterzahl in der Zentralen Aufnahmestelle Halberstadt nochmals auf. Das bedeutet aber auch, dass die anerkannten Flüchtlinge sehr schnell in die Städte und Gemeinden kommen. Die wenigsten werden in der Lage sein, sich gleich selbst um Wohnung und Job zu kümmern. Daher ist es sinnvoll, wenn die Neuangekommenen für einige Monate erstmal in kommunalen Übergangsheimen wohnen, damit sie zunächst einmal unsere Sprache lernen, um sich zurechtzufinden.

In Magdeburg wurde für sechs Monate ein großes Zelt aufgestellt und für etwa 150 000 Euro gemietet. Nun wird es unbenutzt wieder abgebaut. Wurde da überreagiert?

Nein. Was wir Ende 2015 im Krisenmanagement gemacht haben, war sehr gut. Niemand konnte absehen, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln. Entscheidend ist: Kein Flüchtling musste in Sachsen-Anhalt im Winter in einer Turnhalle oder in einem provisorischen Zelt übernachten. Und was das beheizbare Großzelt angeht: Das war eine Notreserve und keine Geldverschwendung. Wenn man in einer Notlage zu entscheiden hat, muss man auch Risiken eingehen. Ich stehe zu dieser Entscheidung. Mir ist ein leerstehendes Zelt im Zweifel lieber als Menschen, die auf der Straße übernachten müssen.

Die derzeit 6000 Plätze in den Landes-Aufnahmestellen sind nur zu 60 Prozent ausgelastet. Werden Sie die Kapazität zurückfahren?

Das werden wir nicht tun. Wir dürfen uns von der aktuell entspannten Lage nicht blenden lassen. Im Sommer kann die Zahl wieder nach oben schnellen und dann hätten wir dieselben Probleme wie voriges Jahr. Außerdem werden abgelehnte Asylsuchende möglichst nicht mehr auf die Kommunen verteilt – sie verbleiben bis zu 6 Monate in den Landeserstaufnahmen und treten von dort ihre Heimreise an. Dafür brauchen wir Kapazitäten, da erfahrungsgemäß etwa 40 Prozent der Ankommenden kein Bleiberecht bekommen. Also: Erst, wenn sich die Lage dauerhaft entspannt, können wir überlegen, welche Anlagen wir vom Netz nehmen oder anders nutzen. Wie etwa die kleinen Häuser in der Breitscheidstraße in Magdeburg. Daraus könnte man mit ein paar Umbauten künftig vielleicht ein Wohndorf für Studenten machen. Ich bin da mit Oberbürgermeister Lutz Trümper im Gespräch.

Ist es noch nötig, die Kaserne Stendal für Flüchtlinge umzubauen?

Ja, an diesem Projekt halten wir fest. Denn neben Halberstadt soll auch Stendal langfristig eine der beiden Landes-Erstaufnahmen für Asylsuchende sein. Dafür nehmen wir andere Standorte schrittweise vom Netz. Zuerst bis Mitte April die Jugendherbergen; dann bis 30. Juni die Feuerwehrschule in Heyrothsberge; später auch die Kasernen Klietz und Altengrabow. Und wenn es die Lage erlaubt, werden wir den Mietvertrag mit dem ehemaligen Maritim-Hotel in Halle oder den Neustädter Höfen in Magdeburg nach drei Jahren nicht verlängern. Die Kapazität in Halle haben wir ohnehin schon reduziert. Genau wie in der Breitscheidstraße Magdeburg; statt 1500 Plätze sind noch 735 geplant. Die ersten 350 Flüchtlinge sollen ab Mai einziehen. Zuvor werden wir übrigens interessierten Einwohnern eine Begehung der Anlage anbieten.

Der Bund will Flüchtlinge aus überlasteten Großstädten wie Berlin umverteilen und ihnen den Wohnsitz befristet vorschreiben. Ist Sachsen-Anhalt darauf eingestellt?

Eine bundesweite Umverteilung lehnen wir ab und ich denke, die ist auch vom Tisch. Die Menschen gehen dorthin, wo sie Arbeit finden oder Verwandte haben. Eine Wohnsitzauflage innerhalb eines jeden Bundeslandes halten wir aber für angebracht. Gemeinden und auch private Vermieter brauchen eine gewisse Planungssicherheit. Es geht um Schulen, Kindergärten, Wohnungen.

Sie wollen abgelehnte Asylbewerber gar nicht mehr auf die Landkreise verteilen und in den Landes-Einrichtungen behalten. Doch das ist maximal sechs Monate erlaubt. Etwa 5000 Menschen sind noch ausreisepflichtig. Bis März gab es gerade mal 600 Ausreisen. Ist Ihr Plan realistisch?

Ich will, dass wir das schaffen. Da mache ich auch Druck bei den Mitarbeitern. Das ist nämlich auch eine Frage der Akzeptanz in der Bevölkerung. Wer abgelehnt wird, muss raus – das muss klar sein. Am besten freiwillig. Und wer das nicht tut, verstößt gegen das Gesetz – und dem helfen wir dann, das Gesetz einzuhalten. Im vorigen Jahr waren wir nicht schlecht. Da hatten wir 2252 freiwillige Ausreisen und 997 Abschiebungen. Für dieses Jahr habe ich 4000 Ausreisen als Ziel gesetzt, es sei denn, die Anerkennungsquote verändert sich oder die Zahlen der bei uns Schutz Suchenden verringert sich noch weiter. Es darf nicht so sein, dass wir nach sechs Monaten die Abgelehnten dann doch auf die Landkreise verteilen. Dann wären nicht mehr abgelehnte Asylbewerber das Problem, sondern die Mitarbeiter, die das nicht gelöst bekommen.

Aber es gibt Staaten wie Afghanistan, wo eine Rückkehr sehr schwer ist.

Es klappt nicht überall so gut wie mit den Balkanstaaten, das ist richtig. Daher wird es einzelne Fälle geben, wo wir es innerhalb eines halben Jahres nicht schaffen. Aber das Gros der Abgelehnten muss innerhalb von sechs Monaten Deutschland verlassen haben, da lasse ich nicht mit mir verhandeln.