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GebietsreformenTausende verlieren ihre alte Adresse

Dörfer und Straßen verlieren in Sachsen-Anhalt ihre Namen, Tausende Bürger ihre Adresse. Die Post will es so, die Landesregierung auch.

Von Jens Schmidt 26.06.2017, 01:01

Magdeburg l Wer in Cattenstedt wohnt, soll Blankenburg aufs Kuvert oder Päckchen schreiben. Wer in Estedt lebt, soll seine Sendungen mit Gardelegen adressieren. Doch nicht nur der Ortsname ändert sich, auch Hunderte Straßen müssen umbenannt werden. Ausweise, Dokumente, Verträge , Schriftwechsel – die Betroffenen haben eine Menge Laufereien.

Grund: Seit 2010 wurden gut 800 Dörfer und Kleinstädte eingemeindet. Die einst Selbständigen sind nun eine Ortschaft. Zum Trost durften sie wenigstens ihre Namen auf den Ortsschildern behalten. Aber: Post, Behörden und viele Firmen schert das wenig; sie adressieren ihre Schreiben mit dem Namen der neuen Großgemeinde. Das Problem dabei: In Großkommunen wie Osterwieck existieren nun zehn Dorfstraßen. Die Post fordert Klarheit. Also auch neue Straßennamen. Die Stadt Gardelegen etwa, die sagenhafte 49 Dörfer eingemeindet hatte, taufte 67 Straßen um.

Blankenburg will jetzt ebenfalls etliche Straßen umbenennen. Aus den Ortschaften kommt heftiger Protest. Stadtrat Ulrich-Karl Engel (Grüne) hat die Landespolitik in einer Petition aufgefordert, den „Zentralismuswahn“ zu beenden und sich für eine bürgerfreundliche Lösung einzusetzen. Heißt: Der alte Ortsname bleibt die postalisch maßgebliche Anschrift – dann müssen auch keine Straßennamen geändert werden. Doch das Innenministerium beschied kühl: Die Dörfer verlieren im Zuge der Fusion auch ihren (Gemeinde-)Namen. Zudem sei das maschinelle Sortiersystem der Post daran ausgerichtet. Die Post AG in Berlin verweist überdies aufs Melderecht. Dort sei ebenfalls der neue Gemeindename „maßgeblich“.

Jürgen Leindecker, Chef des Städte- und Gemeindebundes, regt das auf: „Das ist doch absurd: Die Post will Vorreiter in der digitalen Welt sein, und sieht sich außerstande, Ortschaftsnamen ins Adressfeld aufzunehmen.“ Horst Schnellhardt schimpft: „Das ist untragbar.“ Der frühere EU-Abgeordnete der CDU ist jetzt Chef der Landsenioren, die ein Herz fürs Dorf haben. „Es darf nicht sein, dass eine Demokratie rigide die Namen auslöscht.“

Manche blieben denn auch standhaft. In Oebisfelde-Weferlingen ist das Thema nach zwei Jahren harten Disputs vom Tisch. Alles bleibt, wie es seit Jahrhunderten war. „Das ist für die Identität wichtig“, sagt SPD-Stadtrat Martin Krems-Möbbeck.

Stadtrat Engel hofft, dass der Landtag das Thema nochmal aufruft. Doch dessen Lust hält sich in Grenzen. Die SPD sieht keinen Handlungsbedarf, die CDU weiß nicht so recht. Auch die Linke mag nicht an den Zuständen rütteln. Ihre Innenpolitikerin Christina Buchheim sagt: „Der größte Teil der Gemeinden und Ortschaften hat sich ja doch schon gefügt.“