1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Der deutsche Sparer leidet

Geldanlage Der deutsche Sparer leidet

Ralf-Joachim Götz, Chefvolkswirt der Deutschen Vermögensberatung, über unrentable Sparbücher und die Angst vor neuen Anlageformen.

01.11.2016, 23:01

Herr Götz, Sie sind seit 2010 Chefvolkswirt der Deutschen Vermögensberatung. Was sagen Sie den Menschen, die zu Ihnen kommen und fragen: Wie werde ich reich?

Ralf-Joachim Götz: Das Gefühl, reich zu sein, ist relativ. Viele Menschen fühlen sich mit wenig Geld reich, weil sie andere Dinge in den Vordergrund stellen wie etwa die Familie. Jungen Menschen, die ein Vermögen aufbauen wollen, rate ich, zunächst eine gute Ausbildung zu machen, um später einen gut bezahlten Job ausfüllen zu können. Und ich empfehle, sich frühzeitig mit dem Thema Finanzen zu beschäftigen. Denn es ist schade, wenn man das verdiente Geld nicht gut anlegt.

Viele deutsche Sparer sind frustriert. Das Geld auf dem Konto vermehrt sich nicht mehr automatisch. Wer hat schuld?

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgt derzeit dafür, dass Staaten, Unternehmen und Bürger sehr günstig Kredite aufnehmen können. Menschen, die ihr Geld anlegen, bekommen jedoch kaum Zinsen. Das Ziel ist klar: Die Menschen sollen weniger sparen und mehr ausgeben. Das soll die Nachfrage in der Wirtschaft weiter ankurbeln und zu Preissteigerungen führen.

Will EZB-Präsident Mario Draghi den deutschen Sparer bestrafen?

Herr Draghi will die Inflationsrate auf das selbstgesteckte mittelfristige Ziel von knapp unter zwei Prozent anheben. Damit würde auch die hohe Staatsverschuldung in vielen europäischen Ländern erträglicher. Dass der deutsche Sparer darunter leidet, nimmt er in Kauf.

Sehen Sie langfristig Alternativen zu dieser Politik?

Die Frage ist doch, ob diese Politik zielführend ist. Preisentwicklung, Konsum und Investitionen hängen nicht allein von Maßnahmen der EZB ab, sondern auch von weltweiten Entwicklungen, wie zum Beispiel dem Ölpreis. Dazu spielen persönliche Ziele, Empfindungen, Markterwartungen und der Grad der Regulierung eine große Rolle. Menschen nehmen nicht nur Kredite auf, weil die Zinsen niedrig sind.

Lohnt es sich überhaupt noch, Geld zurückzulegen?

Auf jeden Fall. Menschen haben finanzielle Ziele wie die private Altersvorsorge, die eigenen vier Wände oder allgemein das Bilden von Rücklagen. Dafür gibt es Konzepte, bei denen man bei guter Beratung auch einen Rendite-Turbo einbauen kann. Damit ist erfolgreicher Vermögensaufbau noch immer möglich. Aber das Geld auf dem Sparbuch zu parken und zu hoffen, dass man in 40 Jahren besser dasteht – das funktioniert nicht mehr.

Worauf muss ich als Sparer in Zeiten niedriger Zinsen achten?

Ich muss mir über meine Wünsche im Klaren sein. Also: Was will ich erreichen? Inwieweit bin ich bereit, auf diesem Weg auch mal Rückschlage in Kauf zu nehmen? Wie flexibel bin ich? Leider gibt es bei der Geldanlage nicht die eierlegende Wollmilchsau. Es geht darum, die richtige Balance zwischen Ertragschancen, Risiko und der Verfügbarkeit von Geldanlagen zu finden. Übrigens: Je langfristiger mein Anlageziel ist, desto eher kann ich auf dem Weg dorthin auch Risiken eingehen.

Viele Menschen haben vor den relativ neuen Formen der Geldanlage Angst. Wie nehmen Sie dem klassischen deutschen Kleinsparer diese Angst?

Für viele steht das Thema Sicherheit an erster Stelle. Das müssen wir anerkennen. Doch wer langfristig mehr erreichen möchte, muss einen Teil der Sicherheit aufgeben. Risiken können durch professionelle Beratung und sinnvolle Streuung begrenzt werden. Das ist der bessere Weg, als das Geld einfach auf dem Konto liegen zu lassen, nur weil ich Angst habe.

Welche Formen der Geldanlage kommen für private Leute infrage?

Das kommt auf die individuellen Ziele und die Risikobereitschaft an. Wir erklären den Zusammenhang zwischen Rendite, Risiko und Liquidität. Es hat keinen Sinn, einen großen Geldbetrag langfristig zu binden, wenn es dann plötzlich eine Veränderung im eigenen Leben gibt und ich das Geld brauche. Zwei bis drei Monatsgehälter sollten für kurzfristige Ausgaben verfügbar sein. Wichtig ist, dass Vermögen nicht nur aufgebaut, sondern auch abgesichert wird. Da geht es auch um die wichtigen Themen Berufsunfähigkeit, Krankheit, Pflegebedürftigkeit. Bei einem Immobilienwunsch kann man auch über einen Bausparvertrag nachdenken und sich damit gegen das Risiko steigender Zinsen in der Zukunft absichern. Wir empfehlen, staatliche Fördermaßnahmen mitzunehmen. Da kann insbesondere die Riester-Rente sehr attraktiv sein.

Welche Aktien sind für eine private Geldanlage attraktiv?

Langfristig betrachtet sind viele der Unternehmen, die im Deutschen Aktienindex Dax notiert sind, interessant. Aber auch der internationale Markt kann sehr profitabel sein. Allerdings würde ich eher zu Aktienfonds raten, die professionell gemanagt werden.

Neben möglichen Gewinnen durch steigende Kurse gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb sich Aktien lohnen: die Dividenden. Was macht sie interessant und wie hoch können sie ausfallen?

Dividenden, also der Teil des Gewinns, den eine Aktiengesellschaft an ihre Aktionäre ausschüttet, sind oft weit mehr als nur ein Zubrot für die Anleger. Mitunter können hier auch drei, vier oder fünf Prozent Rendite drin sein. Das übertrifft jedes Sparbuch. Dividenden sind für Aktionäre sozusagen die neuen Zinsen. Aber gleichzeitig darf man die Entwicklung des Aktienkurses und der Perspektiven des Unternehmens nicht aus den Augen verlieren.

Der Dax steht derzeit bei etwa 10600 Punkten. Geht der Höhenflug noch weiter?

Seit 1988 hat der Deutsche Aktienindex im Durchschnitt um über 8,5 Prozent im Jahr zugelegt. Vieles spricht dafür, dass sich der Höhenflug langfristig – allerdings mit Turbulenzen – fortsetzt. Ein Risiko durch fallende Kurse gibt es bei Aktien immer. Dies können Anleger auch durch regelmäßiges Sparen in Fondsanteile verringern.

Sind die Deutschen eher Aktien-Muffel?

Ja. Im internationalen Vergleich setzen wir zu wenig auf Aktien – und dies mit Folgen. Schließlich haben die niedrigen Zinsen Anleger begünstigt, die in Aktien oder Immobilien investiert haben. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die ihr Geld auf Sparbüchern parken. Den Deutschen fehlt hier der Mut.

Weil in der Niedrigzinsphase Darlehen besonders günstig sind, investieren viele Bürger in Immobilien. Allerdings steigen dadurch auch die Immobilienpreise rasant. Wie sehen Sie die Entwicklung im Immobilienmarkt?

Für viele Menschen ist eigene Immobilie ein wichtiges Ziel. Dieses muss gut geplant werden und zur persönlichen Lebensplanung passen. Wer die Immobilie als Kapitalanlage wählt, sollte auch bedenken, ob Preis und erzielbare Mieterträge im Einklang stehen. Das ist in Deutschland sehr unterschiedlich.

Wie haben Sie Ihr Geld angelegt?

Ich habe zum Beispiel eine Riester-Rente, Lebensversicherungen und auch Aktienfonds. Ich habe breit gestreut, bin aber auch überzeugt von manchen Einzelaktien. Nur muss man sich mit diesen intensiv auseinandersetzen. Es gab auch Rückschläge. Denn Gewissheit auf den Anlageerfolg gibt es hier nicht. Vieles kann man im Lehrbuch nachlesen, aber an den Kapitalmärkten ist auch viel Psychologie im Spiel. Dazu gibt es unerwartete Einflüsse. Ein Beispiel sind die politischen Folgen in Deutschland nach dem Fukushima-Atomunglück in Japan. Der überraschende Kurswechsel der deutschen Regierung beim Thema Atomkraft hat das Geschäftsmodell großer Energieversorger ins Wanken gebracht und ihre Aktienkurse auf Talfahrt geschickt. Dividendenzahlungen wurden reduziert oder ganz gestrichen.

Sparen ist also deutlich komplizierter geworden als noch vor einigen Jahren.

Ja, denn den risikolosen Zins gibt es nicht mehr. Früher war die Beratung einfacher, weil man schon auf dem Sparbuch drei Prozent Zinsen bekam. Bei so einem Zinssatz konnte man innerhalb einer Generation sein Vermögen verdoppeln. Heute ist die Geldanlage sehr erklärungsbedürftig.

Glauben Sie, das Sparen aus der Mode kommen könnte?

Natürlich macht Sparen mit hohen Zinsen mehr Spaß. Aber man muss vernünftig sein. Die Lebenserwartung nimmt weiter zu. Jeder Mensch muss schauen, wie das zu finanzieren ist. Was ist denn, wenn das Leben noch da ist, aber das Geld ist weg? Selbst die Bundesregierung warnt davor, dass das Versorgungsniveau künftiger Rentner ohne zusätzliche eigene Altersvorsorge in Gefahr ist. Sparen darf also nicht aus der Mode kommen.