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Gerichte Schwarzfahren bald keine Straftat mehr?

Rund 4000 Verfahren wegen Schwarzfahrens gab es 2017 in Sachsen-Anhalt. Der Deutsche Richterbund möchte Gerichte damit nicht mehr belasten.

Von Bernd Kaufholz 22.02.2018, 00:01

Magdeburg l Wer kennt ihn nicht, den Satz: „Ihre Fahrausweise bitte!“ Und wer hat nicht das Bild vor Augen vom hektischen Suchen in Taschen, um das Ticket zu finden. Ganz gleich, ob nicht bezahlt oder verloren: Kein „Beförderungsnachweis“ – keine Gnade. Nachlösegebühr und Anzeige auf Grundlage des Paragrafen 265a sind fällig.

Doch das soll nun anders werden, wenn es nach dem Willen des Deutschen Richterbundes geht. Der Gesetzgeber solle den Straftatbestand im Strafgesetzbuch (StGB) „überdenken“, so der Vorsitzende der Juristenvereinigung, Jens Gnisa. Als Grund für den erneuten Vorstoß in diese Richtung nennt er die Überlastung der Gerichte.

Gnisa funkt damit auf derselben Wellenlänge wie der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Bisenbach (CDU), der im September 2017 gefordert hat, das „Schwarzfahren“ zu entkriminalisieren und künftig nur noch als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen.

Sachsen-Anhalts Vorsitzender des Richterbundes, Markus Niester, neigt ebenfalls dazu, das Fahren ohne zu bezahlen aus dem StGB zu streichen. Er sieht dafür einen weiteren Ansatzpunkt: „Zu überprüfen ist, ob der Unrechtsgehalt des Handelns wirklich einen Straftatbestand erfüllt.“ Eine abschließende Beschlusslage gebe es allerdings weder im Landes- noch im Bundesverband. Aber auch der Weißenfelser Amtsgerichtsdirektor verweist auf die Überlastung von Gerichten.

Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) lehnt den Vorstoß des Richterbundes hingegen rundweg ab: „Schwarzfahren verursacht Schäden in Millionenhöhe. Das zu entkriminalisieren, ist ein völlig falsches Signal an all diejenigen, die ihren Fahrschein kaufen.“

Einen Aufschrei gibt es von den Verkehrsbetrieben. So bezeichnet der Landesverband der Omnibusunternehmer Sachsen-Anhalts die angedachte „Herabstufung auf eine Ordnungswidrigkeit als inakzeptabel“. Das seien eine „unerwünschte Signalwirkung und ein Freibrief für das Schwarzfahren“.

Die Zahl der Verfahren gegen Schwarzfahrer in Sachsen-Anhalt ist von 5227 im Jahr 2015 auf 4085 im vergangenen Jahr zurückgegangen. Eingestellt wurden 2017 47 Verfahren. Mit Strafbefehlen geahndet – also ohne Prozess – wurden 412 Fälle. 276 landeten vor dem Richter, weil Schwarzfahrer den Strafbefehl nicht akzeptiert haben.   

Die Differenz zwischen der Zahl der eingeleiteten Verfahren und den geahndeten Fällen ergebe sich daraus, dass mehr als zwei Drittel der Schwarzfahrer Kinder und Jugendliche seien, gegen die die Verfahren eingestellt werden, sagt Klaus Tewes von der Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg.

Für die oberste Anklagebehörde Sachsen-Anhalts sei die geforderte Herausnahme des Delikts aus dem Straftatenkatalog eine „rechtspolitische Angelegenheit“. Darum müsse sich die Politik kümmern. „Die Staatsanwaltschaft setzt die Gesetze um. Sie macht sie nicht.“ 

Persönlich könne er damit gut leben, wenn Schwarzfahren weiter eine Straftat bliebe. „Es wird der Eindruck erweckt, dass die ganz große Keule eingepackt werde, wenn aus der Straftat eine Ordnungswidrigkeit würde. Dabei wird vergessen, dass die kleine Keule, die dann die Ordnungsämter schwingen würden, vielleicht viel effektiver ist.“

Der Bund der Richter, aber auch die Politik sehen in stärkeren vorbeugenden Kontrolle durch die Verkehrsbetriebe eine Möglichkeit, die hohen Schadenssummen, die durchs Schwarzfahren entstehen, zu senken. Bundesweit immerhin 250 Millionen Euro jährlich.

Das werde bereits seit Jahren praktiziert – „auf eigene Kosten“, so Tilman Wagenknecht vom Verband der Omnibusfahrer Sachsen-Anhalt. „Aber die Praxis ist schwierig. Die Leistungserschleicher werden immer dreister.“ Ein beliebter Trick sei, einen Fahrschein bis zur Zwischenhaltestelle zu lösen, dann aber weiter zu fahren.

Der Vorsitzende des Richterbunds Gnisa hält Zugangskontrollen für den besten Weg, um Abhilfe zu schaffen, und moniert: „Wenn das die Verkehrsbetriebe aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht tun, darf nicht der Steuerzahler als Lückenbüßer herhalten.“

Lesen Sie hier den Kommentar zum Thema von Bernd Kaufholz.