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Grillen Bratwurst war gestern

Sauenfilet vom Smoker, Melone vom Gasgrill: Besonderes Grillen liegt im Trend. Zu Besuch bei einem Kurs der Grillakademie Magdeburg.

Von Elisa Sowieja 13.08.2016, 01:01

Magdeburg l Nicht im Traum wäre Tilo Theile in den Sinn gekommen, beim Grillen mal einen formschönen Wrap zu rollen. Bisher beschränkte sich sein Aufgabenprofil als heimischer Grillmeister darauf, Kohle zum Glühen zu bringen und auf dem Rost Bratwürste zu wenden, um sie dann rechtzeitig vor dem Verkohlen seiner Freundin zu kredenzen. Nun steht der Schönebecker, 48 Jahre alt und Berufsschul-ausbilder, hochkonzentriert am Brettchen und bändigt Teigfladen, Lachs und Salatblatt.
Theile ist einer von 17 Teilnehmern, die an einem Mittwochabend im Magdeburger Elbauenpark einen vierstündigen Kurs an der Grillakademie belegen. Sie wurde vor zwei Jahren eröffnet und ist derzeit heiß begehrt: Sämtliche Schulungen bis Ende Oktober – im Schnitt vier pro Monat – sind seit Wochen ausgebucht.
Der Ansturm ist Teil eines deutschlandweiten Trends zum besonderen Grillen. Immer mehr Menschen tauschen ihr 0815-Holzkohlegerät gegen hochwertige Alternativen. Darauf legen sie dann Obst, Gemüse, Fisch oder teureres Fleisch. Laut Industrieverband Garten (IVG) ist der Umsatz für Grillausstattung in den vergangenen fünf Jahren um ein Sechstel gestiegen – von 1,01 Milliarden auf 1,17 Milliarden Euro.
„Meine Freundin fänd es gut, wenn ich auch mal was anderes grillen würde, zum Beispiel Gemüse“, erzählt Tilo Theile. Als Anstoß hat sie ihm zu Weihnachten einen Gutschein geschenkt. Der ist aber auch in seinem Sinne, sagt der Schönebecker. Sein Verhältnis zu Grünzeug beschreibt er als durchaus gesund. Wichtig ist ihm nur eines: „Es darf nicht zu umständlich werden.“ Bei den Wraps ist das gegeben. Fladen mit Frischkäse einschmieren, Salz, Pfeffer, Salat und Lachs drauf, rollen, rauf auf den Rost, Deckel zu, zehn Minuten warten – fertig.
Neben dem Bedürfnis nach Gesundem steckt hinter dem Trend noch etwas anderes. Der IVG zufolge entwickelt sich Grillen zunehmend zum Lifestyle-Thema. Diese Entwicklung ist auch in Sachsen-Anhalt angekommen, bestätigt Knut Bernsen vom Handelsverband im Land. „Immer mehr Menschen setzen auf hochwertige Technik, denn sie hat heutzutage einen hohen Image-Wert.“
Während die Wraps auf einem Gasgrill brutzeln, gart der zweite Gang im Feuertopf und auf dem Smoker. Im Topf köchelt eine Mischung aus Zucchini, Fenchel, Zwiebel und Westernkartoffeln plus – man muss es mit dem gesunden Kram ja nicht übertreiben – Barbequesoße und und eine ordentliche Portion Streukäse. Angeheizt wird das Ganze mit Briketts unter dem Boden und auf dem Deckel.
Die Feuertöpfe, auch als Dutch Oven bekannt, sind bei Grillfans offenbar angesagt. Die Firma Petromax in Magdeburg, die sie seit fünf Jahren herstellt und weltweit vertreibt, verkauft nach Aussagen der Geschäftsführerin seit etwa zwei Jahren immer mehr Feuertöpfe und Zubehör. Genaue Zahlen verrät sie allerdings nicht.
Der Gemüsemix aus dem Topf wird heute die Beilage für ein Sauenfilet, das schon seit Beginn des Kurses auf dem Smoker liegt – der Lokomotiven-Version des Holzkohlegrills. Dabei wird das Essen in heißem Rauch bei niedriger Temperatur langsam gegart, sodass es besonders zart wird. Der Rauch kommt von Holzspänen in einer Box seitlich des Grills. Dabei gilt: Finger weg von Fichte. Was sonst passiert, erklärt einer der Kursleiter: „Wenn du das auch nur einmal in deinen Smoker packst, schmeckt alles, was du in Zukunft grillst, nach Fichtennadelschaumbad.“ Okay, das kann man sich gut merken.
Erst nach insgesamt zwei Stunden sind Filet und Gemüsemix bereit für den Teller. Das ist zwar hart für jemanden, der hungrig ist – und wer grillt schon mit vollem Magen –, bringt aber auch einen Vorteil mit sich: Wenn man Gäste hat, kann man sich auch mal dazusetzen, statt ständig den Rost zu bewachen.
Grillschüler Stefan Söder übt sich gern in Geduld. Der Magdeburger Straßenbahnfahrer besitzt selbst einen Smoker – und beeindruckendes Vorwissen. Stolz zählt er seine Referenzen auf: „Ich hab schon ein paar Bücher gelesen, und ich schaue oft Grillshows im Fernsehen.“ Die haben dem Trend in den vergangenen Jahren Aufwind verliehen – allen voran „Grill den Henssler“ auf Vox und der „BBQ Battle“ (Dmax).
So gut vorbereitet wie Stefan Söder sind die Teilnehmer allerdings nur selten, sagt Steffen Witzmann, Leiter der Grillakademie. Er arbeitet eigentlich als Verkaufsleiter beim Radio, die Kurse organisieren er und seine Frau nebenbei. Auf die Idee, sagt Witzmann, sei er gekommen, als er selbst jemanden suchte, der ihm zeigt, wie man auf einem teuren Grill mal was anderes brutzelt als Würste. 2014 warb er die ersten drei Dozenten an und legte los. Im ersten Jahr kamen 130 Teilnehmer, dieses Jahr waren es bis Ende Juli schon 550. Der Frauenanteil ist stets mickrig.
In Sachsen-Anhalt ist die Magdeburger Grillschule – nach eigenen Angaben übrigens eine herstellerunabhängige – die einzige. Deutschlandweit findet man viele weitere: Allein der Prestigegrill-Hersteller Weber betreibt bundesweit 24 Schulen, die nächstgelegene im niedersächsischen Lehre.
Die beiden Leiter des Kurses heute machen, wie die meisten ihrer Kollegen bei der Grillakademie, hauptberuflich etwas völlig anderes: Nick Polzin leitet eine Agentur für Onlinemarketing, Christian Schöning ist Erzieher. Wobei – zwischen Erziehern und Grilllehrern gibt es ja schon eine große Parallele: Bei beiden sind Unterhaltungskünste gefragt.
Ihre Grillkünste haben sich Polzin und Schöning selbst beigebracht, und zwar durch exzessives Praktizieren. Nick Polzin grillt zu Hause fast jeden Tag – auch im Winter. „Meine Frau kocht eigentlich nur noch, wenn ich Lust auf Grießbrei habe“, erzählt er grinsend. Auf seinem Gasgrill brät er sogar Spiegeleier – also nicht auf dem Rost, versteht sich, dafür nimmt er dann eine Platte. Christian Schönings Grillobsession ist ähnlich ausgeprägt.
Und so können die beiden ihren Schülern genau erklären, wie man Lachs lecker würzt (das Zauberwort lautet Sweet-Chili-Soße) und ihn dann auf dem Gasgrill gart, ohne dass er schwarz wird (auf einem Holzbrett). Oder wie man ein perfektes Rindersteak grillt – nämlich rückwärts. Letzteres klingt erstmal komisch, ist aber im Ergebnis sehr, sehr lecker. Einziger Haken: Man braucht – mal wieder –Geduld. Denn bei dieser Methode wird das Steak bei niedriger Temperatur vorgegart, erst zum Schluss dreht man den Grill auf volle Pulle, für die Röstaromen.
Die Magdeburger Grillakademie hat ihr Personal wegen der gestiegenen Nachfrage inzwischen auf fünf Kursleiter aufgestockt. Auf den Grilltrend reagieren in Sachsen-Anhalt aber auch Baumärkte. Ein Beispiel ist der Baufachmarkt Scharff in Burg. In den vergangenen zwei Jahren wurde dort die Grill-Verkaufsfläche um das Sechsfache vergrößert, berichtet Leiter Sebastian Braune: „Viele haben die Nase voll von Billiggrills. Sie setzen auf Qualität und geben dafür auch 1600 bis 2000 Euro aus.“ Etwa 40 Prozent der Kunden würden sich heute für hochwertige Grills entscheiden – früher seien fast nur billige weggegangen. Besonders gefragt seien Gasgrills, lässt sich bei ihnen doch die Temperatur leichter regulieren als bei der Holzkohle-Variante.
Mit Gas wird heute auch der Nachtisch zubereitet: Gaumensex. So zumindest bezeichnet Christian Schöning seine Kreation. Dahinter verbirgt sich gegrillte Melone mit einem Joghurt-Schaum. Für Letzteren streut man einfach ein paar Päckchen Brausepulver in eine Schüssel mit Naturjoghurt, rührt um und wartet ein paar Minuten. Auf dem Teller angerichtet sieht das aus wie im Restaurant. Straßenbahnfahrer Stefan Söder schickt gleich mal per Whatsapp ein Foto an seine Frau – allerdings lieber ohne den Sex-Vermerk.
Auch Tilo Theile ist begeistert. „Das ist wirklich lecker!", schwärmt er. Beim Rindersteak war sein Gaumen zwar auch schon verzückt. Die Brause-Melone schlägt aber alles. Denn das Gericht hat einen entscheidenden Vorteil: „Es ist nicht viel aufwändiger als Bratwurst."