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Bildernachlass Diese Bilder rüttelten die Welt auf

Horst Faas ist eine Foto­grafenlegende. Seinen Nachlass bewahrt die Hochschule Magdeburg-Stendal.

Von Grit Warnat 10.01.2017, 00:01

Magdeburg l Als die Professoren Michael Ebert und Renatus Schenkel sowie Dr. Berthold Petzinna vom Fachbereich Kommunikation und Medien der Hochschule Magdeburg-Stendal den preisgekrönten Foto-Reporter Horst Faas vor einigen Jahren in München besucht hatten, ging es um freundschaftliche Kontaktpflege und die Frage, ob Faas nicht lehren könne in Magdeburg. Die Hochschule hatte 2008/2009 einen Bildjournalisten-

studiengang aufgebaut – der erste seiner Art in Deutschland.

Gelehrt hat Faas in Magdeburg nie, gehörte aber zum Beirat und hat den drei Wissenschaftlern den Vorlass übergeben und testamentarisch besiegelt, dass er sein Leben in Bildern und Dokumenten der Hochschule in die Hände gibt. Faas war 2012 im Alter von 79 Jahren in München gestorben. Zwar hat die Nachrichtenagentur AP in New York die Rechte an seinen Vietnam-Kriegsbildern, aber Teile der Faas‘schen Bibliothek, Korrespondenzen, unzählige Negative in Tüten, Dokumente aus seinem Berufsalltag wie Presseausweise und ein Gratulationsschreiben des US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey liegen in Kisten und Koffern verpackt in einem Raum der Hochschule. Eine Grundsichtung sei erfolgt, sagt Schenkel. Mehr nicht. Für eine wissenschaftliche Aufbereitung fehle der Hochschule das Geld.

Schenkel blättert in einem der Alben. Der Blick fällt auf eine Fotografie. Sie zeigt Horst Faas 1967 in Vietnam. Mit drei Kameras um den Hals und Stahlhelm auf dem Kopf war der gebürtige Berliner als Fotograf für die Nachrichten- und Presseagentur AP (Associeted Press) mit US-Soldaten unterwegs. Für AP arbeitete Faas schon seit 1956, reiste an die Brennpunkte der Welt. Algerien, Kongo, Palästina, Bangladesch. In Vietnam war er mehr als zehn Jahre.

Einige Seiten weiter ist das Album dicht beklebt mit Artikeln aus deutschen, britischen, US-amerikanischen Zeitungen. Ausschnitte mit seinen Fotos von Vietnam, die ihn berühmt gemacht haben und 1965 den renommierten Pulitzerpreis einbrachten. Zweimal erhielt der Deutsche die Auszeichnung: Neben seinen Vietnambildern wurde er auch für sein fotografisches Festhalten eines Massakers 1972 in einem Fußballstadion in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, ausgezeichnet. Faas sammelte auch Zeitungsausschnitte von seinen Ehrungen. Und zwischendrin fein säuberlich ausgeschnitten und abgeheftet Beiträge, in denen sein Name in der Autorenzeile steht. Faas war auch schreibender Reporter.

„An seine Arbeit hatte er immer einen dokumentarischen Anspruch“, sagt Schenkel. Faas habe immer ungeschminkt die Welt und das Grauen des Krieges zeigen wollen, nie ein ästhetisches Kunstwerk wie es beispielsweise bei James Nachtwey gewesen sei. Weinende Familien, Gesichter voller Todesangst, ein vietnamesischer Mann, der ein napalmverbranntes Kind Soldaten hinhält, Bomben, Leichen von vietnamesischen und amerikanischen Soldaten. Eine Hubschrauberattacke auf ein Camp der Vietcong habe, so sagt Schenkel, den Regisseur Francis Ford Coppola zu einer legendären Szene in dessen Vietnam-Kriegs-Film „Apocalypse Now“ inspiriert.

Es ist aber nicht nur der jahrelange persönliche Einsatz auf den Schlachtfeldern Vietnams, mit dem sich der Deutsche einen Namen gemacht hat. Faas war jahrelang verantwortlicher Bildchef für AP in Saigon, war verantwortlich für all das, was in die Welt gesendet wurde.

Als im Juni 1972 auf seinem Tisch das Foto des vietnamesischen Fotografen Nick Ut landete, auf dem das weinende, nackte, von Napalm verbrannte neunjährige Mädchen Kim Phuc abgelichtet war, das mit ausgebreiteten Armen aus seinem Dorf flüchtete, entschied sich Faas, das Bild über den Ticker zu schicken. Es entbrannte eine Diskussion darum – nicht, weil das Bild zu stark die Brutalität des Krieges zeigen würde, sondern weil ein nacktes Kind zu sehen war. Das war gegen die AP-Regeln.

Zu Besuch bei Faas in München, so erinnert sich Schenkel, war diese Fotografie ein Thema. „Er sprach von einer Gewissensentscheidung. Aber er wollte, dass das die Welt zu sehen bekommt“, sagt der Hochschulprofessor.

Das Foto, das den damals bereits lauten Ruf in Amerika nach einem Ende des Krieges noch stärker werden ließ, hat sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Fast jeder kennt das Napalm-Mädchen. Es wurde zum Symbol für den Vietnamkrieg, es ist ikonisch geworden. So wie auch das Foto des Jungen aus Aleppo, der verletzt und verstört in einem Krankenwagen saß und in vielen Tageszeitungen abgedruckt worden war. Das große Leid der Kinder im syrischen Krieg hat ein Gesicht bekommen.

Und doch gibt es für den Wissenschaftler Schenkel einen Unterschied zwischen beiden Fotos: Im Vietnam-Krieg habe es keine Zensur gegeben. Faas habe als Bildreporter großen Einfluss nehmen können, er habe eine Entscheidungsfreiheit gehabt, die es später in dieser Form nicht mehr geben sollte. Schenkel erzählt davon, dass der damalige US-Präsident Richard Nixon schlussfolgerte, dass dieser Krieg in Fernost in den Medien verloren wurde. Für Schenkel und seine beiden Hochschul-Kollegen bietet der Nachlass vor allem einen Blick in eines der ungewöhnlichsten Kapitel der Mediengeschichte. Hatte Faas Selbstzensur betrieben? Wie entwickelte sich die fotografische Berichterstattung in späteren Jahren? Welche Rolle haben heute Journalisten in Kriegsgebieten? Zweifelsohne hat der Stellenwert der Bilder zugenommen, aber in welcher Form und wie?

Fragen, denen Studenten in Bachelorarbeiten nachgehen können. Und Schenkel erzählt, dass er und die Kollegen auch mit einer Ausstellung liebäugeln. 2008 wurde die Arbeit von Horst Faas schon einmal in Magdeburg gezeigt. Anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie wanderte die Schau „Visible War“ (Sichtbarer Krieg) durch Städte in Sachsen-Anhalt – auch nach Salzwedel. Faas hatte seine Kindheit nicht nur in Berlin, sondern auch bei seinen Großeltern in der altmärkischen Hansestadt verbracht.