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Hochwasser Als die Flut durch die Wand kam

Im Vorharz-Dorf Harsleben hat die Flut schlimm gewütet. Die Bewohner hoffen auf Hilfen vom Land.

Von Alexander Walter 03.08.2017, 01:01

Harsleben l Manfred Fischer kommen immer wieder die Tränen, wenn er von der Flutnacht erzählt. Bis halb vier am Donnerstagmorgen war es ihm, seiner Frau und seiner Schwester noch gelungen, das Wasser jenseits der Türschwelle zu halten. Die drei älteren Leute hatten auf dem Tritt Sandsäcke aufgeschichtet, Decken und sogar Windeln hinter den Eingang gestopft. Es half alles nichts. Am Ende kam sie doch – die letzte Flutwelle, die alles zunichte machte.

Von der Straße, vom Hof, durch den Keller – sogar durch die Wand des Badezimmers seien die Wassermassen in sein Elternhaus gedrängt, erzählt der Rentner und wischt sich mit dem Handtuch über die Wangen. Durch die Dunkelheit der Nacht sei er bis zur Hüfte im eiskalten Wasser über den Hof gewatet, um wenigstens den Hund zu retten. Das ganze Ausmaß des Schadens wurde dann am Morgen sichtbar: Das Erdgeschoss war komplett überflutet, Möbel und Werkzeuge unbrauchbar, Fußböden, Wände und Türrahmen quollen auf. Im Keller hatte das Wasser die Gasheizung zerstört. Im Garten waren zwölf von Fischers Zuchttauben in ihren Brutkästen ertrunken.

Der Familie werden die Stunden als Nacht des Schreckens in Erinnerung bleiben. „Wir hatten ja öfter mal Fluten und auch immer mal Wasser im Keller“, sagt Ehefrau Christiane Fischer. „So schlimm wie diesmal war es aber noch nie.“

Den Eindruck teilen viele im 2000-Seelen-Ort. Dass der schon in dieser Woche wieder harmlos dahinplätschernde Goldbach sich je in einen so reißenden Strom verwandelt hätte, daran können sich auch die Ältesten kaum erinnern. Bürgermeisterin Christel Bischoff sieht Harsleben dann auch am schlimmsten von allen Gemeinden im Harzkreis betroffen. „Auch in Wernigerode, Silstedt oder Ilsenburg gab es schwere Schäden“, sagt sie. „Wir aber hatten hier ein Zweihundert-Jahr-Hochwasser.“ Nach einem Rundgang mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Sonnabend hat Bischoff inzwischen eine Liste erstellt. Mehr als zwei Dutzend Anlieger beklagen demnach teils schwerste Gebäudeschäden.

Im Haus von Thomas Koch etwa, nur wenige Meter von den Fischers entfernt, hat das Wasser ebenfalls das gesamte Erdgeschoss überflutet. Der Wohnzimmerboden – inzwischen vom zerstörten Belag beräumt – sieht aus wie der schlammige Grund eines Tümpels.

Noch ärger hat es die Nachbarn Ralf Meldau und Rainer Erdmann erwischt. In Meldaus Haus stand das Wasser 40 Zentimeter hoch. Bei den Erdmanns haben die Fluten gar so schlimm gewütet, dass die Familie vorerst in einer Wohnung leben muss. „Badewanne und Möbel sind mir in der Flutnacht entgegengekommen“, erzählt Erdmann.

Während jetzt – eine Woche nach dem Hochwasser – noch immer Sandsäcke und zerstörte Möbel das Straßenbild prägen, zögert mancher Anwohner mit den Aufräumarbeiten. Überall stehen die Fenster der Häuser offen. „Erst muss die Feuchtigkeit raus, danach können auch die Reparaturen beginnen“, sagt Ralf Meldau in dem Raum, der einst das Kinderzimmer seiner Tochter war.

Der 62-Jährige wartet allerdings auch aus einem weiteren Grund: Ein Gutachter der Versicherung soll sich die Schäden im Originalzustand ansehen. Meldau hofft auf Erstattung. Ob er die bekommen wird, ist allerdings fraglich. Wie viele im Ort hat er zwar eine Hausrat-, aber keine Elementarversicherung für Hochwasserschäden. Der Harsleber hofft daher auf Reiner Haseloff, der auch sein Haus besucht hatte. „Er hat uns versprochen, auch denen zu helfen, die keine Versicherung haben“, sagt er.

Über solche Unterstützung würden sich auch die Fischers freuen, die ebenfalls keine Elementarversicherung haben. „Aber wir stehen nicht an erster Stelle“, sagt Christiane Fischer bescheiden. Es gebe viele, die Hab und Gut verloren hätten. Dankbar seien sie zudem schon jetzt für die Hilfe, die sie bekommen haben, ergänzt Manfred Fischer dann noch. So tauchte in der Dunkelheit der Flutnacht morgens gegen vier Uhr plötzlich das Technische Hilfswerk in Schlauchbooten vor dem Haus auf. „Die haben uns Pumpen und Sandsäcke gebracht“, sagt Fischer. „Vor allem aber haben sie uns seelisch beigestanden.“ Dann übermannen den Rentner wieder die Tränen: „Ohne die Hilfe hätten wir es nicht geschafft.“

In unserem Liveticker können Sie die Geschehnisse im Harz nachlesen.