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Kinosaal Mieste Hardrock statt Winnetou

Oli P. und Madsen - sie traten schon im alten Kinosaal in Mieste auf. Ein alternatives Programm soll das Publikum anziehen.

Von Dan Tebel 28.12.2016, 14:18

Mieste l Das hölzerne Parkett auf dem Fußboden glänzt wie die Diskokugel an der Decke. Die Bühne und die roten Vorhänge werden von großen DDR-Rundlampen beleuchtet, die von der Decke baumeln. Ein bisschen muffige und kalte Luft steigt in die Nase. Es liegt ein Hauch von Nostalgie und auch irgendwie etwas Geheimnisvolles in der Atmosphäre des alten und stillen Kinosaals in Mieste. „Wenige Monate bevor Rio Reiser verstarb, spielte er hier“, unterbricht Ulrich Iser die Ruhe und sagt diesen Satz mit einer Mischung aus Stolz und Ehrfurcht. Der Tod des Sängers ist mehr als 20 Jahre her.

Das alte Kino in Mieste hat viele Geschichten zu erzählen. Nur ein Teil, nämlich die vergangenen fünf Jahre, können die Inhaber Ulrich Iser und Steven Heidmann detaillierter Revue passieren lassen. Denn am 24. August 2011 wurden sie die neuen Inhaber des ehemaligen Stadteigentums. Die Gebietsreform ermöglichte ihnen, ein Projekt zu starten, das zunächst eher aus einer Bierlaune entstand, wie die beiden zugeben.

„Wir wollten damit einen Independence-Veranstaltungsort schaffen und keine weitere Mainstream-Disko. So etwas gibt es hier nämlich noch nicht“, sagt Ulrich Iser. In wenigen Monaten und mit vielen fleißigen Helfern bauten sie das alte Kino 2011 zum Veranstaltungstempel um. Seitdem fanden viele unterschiedliche Veranstaltungen statt, die auch immer etwas Besonderes bieten sollten.

Knorkator, Madsen und der Neu-Berliner sowie ehemalige Rocker der „Bloodhound Gang“ Evil Jared und Oli P. standen dort unter anderem schon auf der Bühne. Künstler, die eigentlich Säle füllen, spielten in Mieste vor nur wenig Publikum. Selbst beim berühmten Weltenbummler André Schumacher, der auf der großen Bühne über seine Südamerika-Reise berichtete, blieb eine große Gästezahl aus. „Sonst liest er vor hunderten Menschen“, erzählt Steven Heidmann. Warum der Besucheransturm ausbleibt, wissen die Inhaber nicht. Die Leute kämen dafür aber sogar aus Braunschweig oder Wolfsburg nach Mieste, erzählen die beiden.

Dort stehen Auftritte amerikanischer Hardrock-Bands neben Frühlingsfest und Bockbieranstich, Halloween-Veranstaltungen für Kindern neben Tattoopartys oder dem Herbstfest der Senioren. Im großen Saal feiern die Abiturienten ihren Abschluss mit Chart-Musik, während an der Decke alte DDR-Lampen baumeln, die aus alten ostdeutschen Obstschalen bestehen und mittig von der Radkappe eines Trabants zusammengehalten werden. Im Miester Kinosaal trifft Nostalgie auf Moderne. Damit schaffen die Betreiber eine angenehme Atmosphäre

Auch hinter den Vorhängen, die nicht mehr nutzbar sind, verbirgt sich eine Besonderheit. „Hier hat die Stasi durchgeschaut, ob die Leute auf und vor der Bühne alles richtig machen“, erklärt Steven Heidmann. Er steht hinter der hölzernen Seitenwand, die auf der Bühnenseite mit schwarzem Stoff bezogen ist. Dort ist eine kleine Metallklappe eingebaut. Von der anderen Seite nicht erkennbar, ließ sich dahinter vortrefflich spionieren.

Ein Überbleibsel aus alten Zeiten, das heute glücklicherweise nicht mehr zum Einsatz kommt. Und auch sonst hat sich noch einiges getan, um den Saal in die moderne Zeit zu holen. Eine neue Bar sowie Elektrik haben Steven Heidmann und Ulrich Iser in Eigenregie an- und eingebaut.

Die alten Holzstühle, die vorher im rund 300 Quadratmeter großen Kinosaal standen, sind mittlerweile in das Obergeschoss umgezogen. Sie stehen neben den großen, grünen Filmprojektoren: „Früher ritt hier Winnetou über die Leinwand“, kann sich Steven Heidmann erinnern, der öfter dort saß.

Mittlerweile liegt eine dicke Staubschicht auf den Geräten. „Den Film ‚Haialarm am Müggelsee‘ haben wir mal gezeigt, aber das hat sich nicht gelohnt“, erzählt Ulrich Iser. Eben ein spezieller Film für ein spezielles Publikum. Alternativ zu sein und einen Mehrwert zu bieten, haben sich die beiden ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben.

Finanzieren könnten sie den alten Kinosaal daher hauptsächlich über die Disko-Veranstaltungen. Aber sie müssen auch nicht davon leben, sondern betreiben eigene Firmen: „Das hier ist für uns reines Hobby“, bestätigt Ulrich Iser, der eine eigene Autowerkstatt besitzt. Steven Heidmann ist selbstständiger Trockenbauer.

Zum Gebäudekomplex gehören auch eine Kegelbahn und mehrere Räume hinter der Bühne. Dort haben sich schon Madsen und Evil Jared herumgetrieben und auf ihren Auftritt gewartet. An den Wänden hängen alte Band- und Veranstaltungsposter, überall Kritzeleien. Wer weiß, wer sich dort in den nächsten Jahren noch verewigen wird.